Hagen/Dallas. . Der Hagener Autor Thomas Pletzinger hat Basketballer Dirk Nowitzki über Jahre begleitet. Wie er ihm für sein Buch näher gekommen ist.

Was uns so schmerzt an diesem Ende ist, dass die Jugend endet. Für die mittleren und späten 1970er-Jahrgänge und viele Kinder der 80er-Jahre ist der Verlauf derweltweit einmaligen Karriere des Basketball-Superstars Dirk Nowitzki so etwas wie eine Versicherung ­gewesen: Wenn du diesen Typen ­rennen, springen, werfen und siegen siehst, dann bist du selbst noch im Spiel.

Dann bist du, wenn du vielleicht selbst ein Amateur-Basketballer bist, noch nicht alt, fertig, kaputt. Dann sind die Stiche in deinem Knie, die Arthrose in den Füßen, der Rücken und das Aufwachen nach dem Training nur verfrühte Streiche, die dein Körper dir spielen will. Dirk Nowitzki ist der Stellvertreter aller Hinauszögerer und Ausdehner körperlicher Grenzen und Leistungsfähigkeit gewesen. Und jetzt hat er aufgehört.

Wie ein Schatten folgt er der Sport-Legende

Dieser Verlust geht einem Mann mit Hagener Wurzeln besonders nah: dem Schriftsteller Thomas Pletzinger, der Nowitzki die letzten sieben Jahre seiner Karriere wie ein journalistischer Schatten begleitet hat. In Trainingshallen, Hotelzimmern, auf Autofahrten, im Öffentlichen und Privaten. Das literarische Ergebnis seiner, wie Pletzinger sagt, „unglaublichen Reise“, erscheint im kommenden August: „The Great Nowitzki“ wird sein Buch heißen. Ein Werk, in dem allein durch die DNA seines ­Autors so viel Hagen steckt, dass es alle, die den Basketball lieben, tief berühren dürfte.

Selbst einst guter Basketballspieler

Basketball-Legende  Dirk Nowitzki von den Dallas Mavericks in Aktion.
Basketball-Legende Dirk Nowitzki von den Dallas Mavericks in Aktion. © Tony Gutierrez

Thomas Pletzinger ist ursprünglich ein Junge vom Kuhlerkamp. Geboren in Münster, sozialisiert in Hagen. Vielmehr aber noch: angesteckt durch die kulturelle Basketball-Identität dieser Stadt, die hier überall verankert ist, von Turnhallen, die so klein sind, dass Heizkörper auf die Spielfelder ragen und blaue Turnmatten auf den Aus-Linien der Basketball-Felder stehen, bis zu magischen Orten wie der Ischelandhalle. Basketball ist eine große Klammer in Hagen. Ein Sport, der ganze Familien durchzieht, der wie in kaum einer anderen Stadt Deutschlands Gespräch ist.

„Wenn du in Hagen in eine Kneipe gehst, dann kannst du ein gutes ­Gespräch über Basketball führen“, sagt Thomas Pletzinger, „Basketball ist in Hagen eine kulturelle Angelegenheit.“ Es ist wichtig, das an dieser Stelle herauszuarbeiten. Denn Pletzinger trägt dieses kulturelle Erbgut in seine Recherchen, letztlich auch durch sein Buch. Er betrachtet die Karriere des Dirk Nowitzki als jemand, der einst selbst ein guter Basketballspieler war, aber nur fast das Zeug zum Profi hatte. Der Basketball riechen, fühlen und atmen kann.

Keine gerade Linie hin zu Dirk Nowitzki

Sein Weg zu Dirk Nowitzki war keine gerade Linie. Sein eigener ­Lebensweg ist es genau so wenig. Nach dem Abitur in Hagen geht er nach Hamburg, studiert Amerikanistik, dann zieht es ihn nach New York, wo er für einen Buchverlag arbeitet. Eigentlich wollte er immer Lektor werden. Doch unverhoffte Begegnungen und Wendungen schicken Pletzinger immer wieder auf einen neuen Weg.

Profis von Alba Berlin begleitet

So war das auch, als er einen Stapel seiner Gedichte ans Deutsche Literaturinstitut nach Leipzig schickte. Einer der begehrten Studienplätze war das Ergebnis. Oder als er das Werk schuf, für das er vor allem in der sportliterarischen Szene große Anerkennung erntete. „Ich kam ­damals mit einem halb fertigen Roman nicht weiter, und mein Lektor schlug mir vor, für ein paar Monate etwas ganz anderes zu machen“, erinnert sich Pletzinger.

Autor Thomas Pletzinger
Autor Thomas Pletzinger © Juliane Henrich

Etwas ganz anderes? Basketball! Durch seine Verbindungen in die Basketballwelt geriet er an den ehemaligen deutschen Nationalspieler und damaligen Sportdirektor von ­Alba Berlin, Henning Harnisch.

Harnisch, der bis heute selbst journalistisch tätig ist, ließ sich auf ein ungewöhnliches Projekt ein. „Eine Saison lang begleitete ich das Profi-Team von Alba Berlin“, sagt Pletzinger. „Im Training, bei Bundesligaspielen und auf europäischen Auslandsreisen.“

Romanartiges Sportbuch geschrieben

Es entstand das romanartige Sportbuch „Gentlemen, wir leben am Abgrund“. Pletzinger kehrt zurück in eine Welt, in der er einst zu Hause war: Kabinen, Hallen, Mannschaftsbusse. Er kommt den Spielern und Funktionären unglaublich nah. Er beschreibt in diesem Buch gleichsam die ganze Monotonie der ewigen Reiserei, er geht Reiz, Schrecken und menschlichen Dramen des Profisports nach. Titel und Abgründe. „Nach dem Buch wurde ich für eine Story über Dirk Nowitzki gebucht“, sagt Pletzinger. Das war 2012.

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Pletzinger reiste nach Dallas, traf Nowitzki. Von da an schrieb er immer wieder über den Würzburger. „So lernten wir uns kennen. Ein paar Jahre später fragte mein Verlag, ob ich nicht ein Buch über Nowitzki schreiben wolle.“ Wollte er. Bis ­dahin und ab diesem Moment war Pletzinger längst ein Begleiter Nowitzkis geworden.

Den größten NBA-Erfolg nicht erlebt

Wenn dieser lange Recherche-Weg überhaupt einen Makel hat, dann die Tatsache, dass Pletzinger erst nach der NBA-Meisterschaft 2011 zu Dirk Nowitzki kam. Dem großen Ziel, dem der 2,13 Meter-Mann sein ganzes Sportlerleben untergeordnet hatte. Dieser Triumph des spitzbübischen Jungen aus Würzburg, der den Dallas Mavericks ihre erste und bisher einzige NBA-Meisterschaft ­sicherte, elektrisierte die ganze ­Basketballwelt. Und BasketballDeutschland.

Basketball Bundesliga: Dirk Nowitzki (S. Oliver Würzburg, links) gegen Matthias Grothe (Brandt Hagen
Basketball Bundesliga: Dirk Nowitzki (S. Oliver Würzburg, links) gegen Matthias Grothe (Brandt Hagen © Marco Siekmann

Nowitzki war keine Randfigur, sondern der entscheidende Faktor, das Zugpferd, der Kerl, dem alle den Ball gaben, wenn es ­irgendwie gut werden musste. „Es ist natürlich schade, dass ich diesen Moment nicht live miterlebt habe“, sagt Pletzinger.

In seinem Buch zeichnet der Schriftsteller den Weg nach, wie ­Nowitzki überhaupt zu diesem Superstar werden konnte. Und wie er es so lange bleiben konnte. Das ist eine der Kernfragen von „The Great Nowitzki“. Pletzinger sieht sich als Autor einer schweren Aufgabe gegenüber: Er muss eine Geschichte schreiben, die die Welt noch nicht über Dirk Nowitzki gelesen hat, ­anders als die, die die Suchmaschinen längst tausendfach ausspucken. Und sie muss erklären, was Nowitzki so besonders macht. Warum ­dieser Kerl erreichen konnte, was er erreicht hat.

Eine lange ­Reportage

Pletzinger schreibt allerdings keine Biografie. „Es ist eine lange ­Reportage über meine Sicht auf diesen Spieler“, sagt er. „Seine Entwicklung, seine außergewöhnlichen Merkmale.“ Pletzinger begleitete den Hünen auf Autofahrten, in der Trainingshalle oder an sogenannten „Zoo-Tagen“, wenn der medienerfahrene Nowitzki 20, 30 Journalisten in seiner gewohnten Seelenruhe hintereinander empfing. Er sei ­„teilnehmender Beobachter“, sagt Pletzinger. Er betrachte den Superstar genauso wie den Mann hinter den Kulissen.

Dem Star Auszüge vorgelesen

Nach dem weltweit beachteten Karriereende Nowitzkis vor wenigen Wochen wurde Pletzinger selbst sentimental. „Ich war während der letzten Spiele in Dallas und San Antonio dabei, und als ich anschließend zurück nach Hause flog, wurde mir klar, dass meine Recherche jetzt ­beendet ist. Das war ein melancholischer Moment.“

Es ist eine durchaus bizarre Situation für den Autor Thomas Pletzinger. „Nowitzki ist kein Mensch, der anderen Leuten seine Story aufdrücken will. Deswegen war es für mich umso komischer, als ich ihm Auszüge aus Teilen des Buches über ihn vorgelesen habe.“ Pletzinger beschreibt Nowitzki als einen Weltbürger, für den der Planet angesichts seiner Bekanntheit und seiner Möglichkeiten sehr klein sei.

Ein zutiefst verwurzelter Mensch

Zugleich jedoch sei Nowitzki ein zutiefst verwurzelter Mensch. Seine drei Kinder wachsen dreisprachig auf, deutsch, schwedisch, englisch. Sie leben in Dallas, haben Familie in Deutschland, Kenia und Schweden. Pletzinger erzählt, dass seine Frau und er ihre drei Kinder ebenfalls in der Zeit der Arbeit am Buch bekommen haben. „Wenn man meine Töchter fragt, was ich beruflich mache, sagen sie ‚Dirk Nowitzki‘“, lacht er.

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Sie werden sich umgewöhnen müssen. Dirk Nowitzki spielt kein Basketball mehr, und Pletzinger wird wieder Romane und Drehbücher schreiben. Aber zunächst wird er als Stellvertreter einer ganzen ­Generation von Nowitzki-Begleitern seinen Weg, seinen Antrieb und sein Vermächtnis festhalten. „The Great Nowitzki“ kommt im August in den Handel.

>> HINTERGRUND: Kleine Rolle für Bernd Kruel

Eine kleine, aber feine Rolle in Thomas Pletzingers Buch wird auch der Hagener Ex-Bundesligaspieler Bernd Kruel einnehmen. Ein Mann, der mit ähnlichen körperlichen Voraussetzungen wie Nowitzki eine, wie Pletzinger sagt, „leuchtende Karriere“ im deutschen Profi-Basketball hingelegt hat.

Pletzinger und Kruel waren einst Mannschaftskollegen, Kruel und Nowitzki, genau wie der viel zu früh verstorbene Matthias Grothe, waren in jungen Jahren Teamkameraden in der Nationalmannschaft. „Bernd war ein herausragender Spieler, einer der besten deutschen Spieler auf seiner Position“, sagt Pletzinger, „er konnte werfen, war smart und beweglich. Er hat ähnlich lange gespielt wie Dirk.“ Es gehe an dieser Stelle nicht darum, zu erzählen, was Bernd Kruel nicht erreicht hat. „Mitnichten“, sagt Pletzinger.

Die Basketballer Dirk Nowitzki und Bernd Kruel bei der Premiere des Nowitzki-Films in Köln.
Die Basketballer Dirk Nowitzki und Bernd Kruel bei der Premiere des Nowitzki-Films in Köln. © Archiv

„Aber der Vergleich zeigt, dass es auch Glück und besondere Umstände braucht, um dahin zu kommen, wo Nowitzki hingekommen ist. Körperliche Voraussetzungen, Mentalität, großes Talent, Willensstärke und dazu die ungewöhnlichen Trainingskonzepte seines Mentors Holger Geschwindner. Das macht die extra fünf Prozent aus. Das ist nicht nachbaubar.“

Bernd Kruel erinnere sich noch heute an ein Duell mit Dirk Nowitzki in der Ischelandhalle. Nowitzki sei einfach an ihm vorbeigezogen. „Es muss sich um einen nichtgeahndeten Schrittfehler gehandelt haben“, lacht er. Tatsächlich war Nowitzki schon zu Bundesligazeiten seinen Gegnern meist einen Schritt voraus.