Hagen. . Der Liebestrank wird am Theater Hagen zur Droge für Einsame. Warum die Isolde so wütend ist und der Tristan Adiletten trägt, verraten wir hier
Nach dem großen Auftritt tauscht der Held sein Schwert gegen Adiletten und bewundert sich fortan selbst. Tristan könnte Krieger sein – oder Tenor. Das Theater Hagen zeigt Richard Wagners „Tristan und Isolde“ jetzt als Protokoll einer Selbstzerstörung im Versuch, Einsamkeit zu überwinden. Liebe gibt es für die Protagonisten nur mit Hilfe von Drogen, als phantastischen Rausch. Die Inszenierung fasziniert, und gesungen wird der Hagener „Tristan“ einfach großartig. Das begeisterte Publikum steht auf, sobald der Vorhang fällt.
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Der „Tristan“ handelt nicht von Ehebruch. Die Gesellschaft, die Wagner zeichnet, basiert auf freiwilligen Treueversprechen. Das Private ist politisch. Deshalb bricht alle staatliche Ordnung zusammen, wenn Tristan, Gefolgsmann, Neffe und Freund von König Marke sich in dessen Braut Isolde verliebt. Und nur vor der Folie dieser Ungeheuerlichkeit kann auch die Liebe so monströs, so exzessiv, so vernichtend aufblühen. Tristan ist ein mehrfacher Treuebrecher. Bereits vor seiner Bindung an Marke hat er sich Isolde verpflichtet, die ihn vor dem Tode rettete, nachdem er ihren Verlobten ermordete.
Objekt der Begierde
In einer so gefährlichen Konstellation steckt viel Musik, aber das interessiert Regisseur Jochen Biganzoli weniger. Er konzentriert sich auf die Figur des Tristans selbst, das Objekt der Begierde von Kurwenal, der die Wände mit Zeitungsausschnitten und Fotos seines Idols pflastert, und von König Marke, der im Bett Dinge tut, die das Publikum nicht sieht.
Wolf Gutjahr hat eine Simultanbühne entworfen, welche die Protagonisten in Zellen ohne Ausgang agieren lässt. Sie projizieren, sie phantasieren, aber sie können nicht zueinander kommen. Alle sind zu jeder Zeit auf der Szene. Es handelt sich um ein Experiment, eine Laboranordnung, und es wird hart getrunken, und zwar nicht nur Liebestrank.
Simultan-Erzählung
Auch wenn man Tristan und Isolde bei der heißesten Musik aller Zeiten im zweiten Akt mehr wünschen würde als eine Phantasiereise, funktioniert das Regie-Konzept gut. Was Wagners Figuren antreibt, wird deutlich herausgearbeitet. Wobei die Deutung sich auf Tristan fokussiert, der in seiner verspiegelten Zelle zunächst auf ein gigantisches Porträt seiner selbst blickt und dann ein blutiges „Ich“ an die Wand pinselt. Für das Publikum hat die Raumarchitektur allerdings Nachteile. Nur in der Mitte des Parketts kann man die Erzählung tatsächlich gut verfolgen, ansonsten müssen die Besucher mit Sichtbehinderungen leben.
Tristan und Isolde sind wie Schwarz und Weiß. Er dreht sich in seiner hellen Spiegelwelt um sich selbst, während sie versucht, sich mit Emily-Dickinson-Gedichten aus dem Dunkel frei zu schreiben. Dickinsons „Immured in heaven“ liefert die Idee für das Bühnenbild: „Im Himmel eingemauert. Was für eine Zelle“.
Rollendebüt als Isolde
Mit den Solisten hat das Theater Hagen Glück, obwohl ein guter Tristan noch schwerer zu finden ist als die wahre Liebe. Der ungarische Tenor Zoltan Nyari begegnet dieser in jeder Hinsicht extremen Partie mit viel Respekt und gut eingeteilter Kraft. Immer wieder lässt er die lyrischen Glanzlichter der Partie kultiviert aufscheinen, aber wenn es drauf ankommt, übertönt er mühelos das laute Orchester. Der Hagener Bass Dong-Won Seo ist stimmlich ein raumfüllender König Marke, der die Figur allerdings irritierend karikaturhaft anlegt. Khatuna Mikabedridze durchwacht als Brangäne mit wild-glühendem Mezzosopran die Liebesnacht. Wieland Sattler legt den Kurwenal mit seltsam großem Vibrato an. Vor Magdalena Anna Hofmann verbeugt sich das Publikum. Die Sopranistin debütiert in Hagen als Isolde; sie macht aus der Titelfigur eine wütende Kriegerprinzessin mit geheimnisvoller Tiefe, satter Mittellage und einer Höhe voller bittersüßem Glanz, die ihre Leidenschaft wie eine Naturgewalt zulässt. Magdalena Anna Hofmann ist eine sensationelle Entdeckung im Wagner-Fach.
Hexenstimmung beim Zaubertrank
Wagners Tristan-Partitur ist ein Universum für sich, ein musikalisches Nachtstück, das auch Dirigenten in den Liebestod treiben kann. Der Hagener Generalmusikdirektor Joseph Trafton nimmt die Herausforderungen sportlich und modelliert bevorzugt die illustrativen Aspekte, die Hexenstimmung bei der Zaubertrankszene, die Jagd- und Seemotive. So wirkt der Tristan stellenweise wie Filmmusik, aber Feinzeichnung sowie Puls gehen darüber ein wenig verloren. Die Hagener Philharmoniker musizieren mit äußerstem Engagement und begegnen zwei zentralen Stellen im dritten Akt mit großem Können: Oboistin Almut Jungmann singt die Englischhornklage mit großem Atem aus, und Solotrompeter Andreas Sichler kündigt Isoldes Schiff mit einem erlösenden Holztrompeten-Solo an - ganz wie bei den Bayreuther Festspielen.
Tristan schneidet sich die Pulsadern auf
Am Ende ereilt der Liebestod alle Protagonisten außer Isolde. Tristan schneidet sich die Pulsadern auf, Marke und Brangäne nehmen Pillen. Nur Isolde entschwindet mit einem unfassbar ergreifenden „Mild und leise“ in der Dunkelheit „des Welt-Atems wehendem All“.
Nach 30 Jahren ist dies die erste Tristan-Produktion in Hagen. Sie wird wegen des enormen Aufwandes nur fünfmal gespielt, und zwar wieder am: 14., 21. April, 26. Mai und 10. Juni. Www.theaterhagen.de