Hagen. Am Montag startet der Mordversuch-Prozess gegen einen Bandido (31) wegen der Schüsse auf einen Freeway-Rider. Das Wichtigste gibt es hier vorab.

Einen großen Rockeraufmarsch wird es wohl nicht geben, wenn am Montag am Landgericht Hagen der erste Prozess rund um den Hagener Rockerkrieg beginnt. Jedenfalls nicht von den Bandidos. „Die Jungs werden nicht kommen“, sagt Reinhard Peters im Gespräch mit der WESTFALENPOST. Er ist der Rechtsanwalt jenes 31-jährigen Bandido aus Hagen, der sich nach den Schüssen auf einen BMW auf der Saarlandstraße wegen versuchten Mordes verantworten muss. „Es werden sicherlich einige enge Angehörige kommen, sonst aber niemand.“ Aber man wisse natürlich nicht, was „die Anderen“ machen.

„Die Anderen“, das sind die Freeway Riders, also jene Rocker-Gruppe, die eng mit Hagen verbunden ist, in diesem Jahr ihr 45-jähriges Bestehen feiert und hier in der Volmestadt auch ihr Gründungs-Chapter hat. Hagen gilt als die Hauptstadt der Freeway Riders – und lange hielten sich andere Rockergruppen auch fern. Seit Herbst 2016 ist das anders. Seitdem versuchen die Bandidos in Hagen Fuß zu fassen.

Und seitdem, da sind sich die Ermittler sicher, gibt es auch die teils blutigen Machtkämpfe, die sich zum Hagener Rockerkrieg entwickelt haben. Mit massiven Straftaten auf offener Straße und zum Teil lebensgefährlich verletzten Opfern. Es ist wohl eher dem Glück zuzuschreiben, dass es bislang keine Todesopfer gab.

Polizei und Justiz nehmen die Sache entsprechend ernst. Die Polizei wird am Montag mit verstärkten Kräften im Einsatz sein, im Landgericht gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Das Tragen von „Kutten“ der Bandidos, der Freeway Riders und von einer Reihe weiterer Clubs ist im Gerichtsgebäude, aber auch im Umkreis verboten.

Angeklagter wird schweigen

Der Prozessauftakt indes könnte unspektakulär verlaufen. „Mein Mandat wird zur Sache nichts sagen“, kündigt Anwalt Reinhard Peters an. Und so könnte schon nach der Verlesung der Anklageschrift Schluss sein für den ersten Verhandlungstag. Sechs weitere sind aber terminiert, um den Fall juristisch aufzuarbeiten, der sich nur wenige Hundert Meter entfernt vom Landgericht am 13. Oktober ereignet und für Schlagzeilen gesorgt hat.

An jenem Samstagabend fährt ein Mitglied der Freeway Riders in seinem BMW auf der Saarlandstraße in Richtung Autobahnkreuz Hagen. Mit im Auto sitzen seine Lebensgefährtin und deren Onkel, der nach WP-Informationen ebenfalls den Freeway Riders angehört. Als sie zwischen der Radaranlage und der Ausfahrt Feithstraße unterwegs sind, werden vier Schüsse auf das Fahrzeug abgegeben. Letztlich bleiben die drei Insassen unverletzt. Eine Kugel trifft den Tankdeckel – das hätte schlimme Folgen haben können.

Wer hat geschossen?

Abgegeben, da ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, wurden die Schüsse aus einem ebenfalls fahrenden Mercedes Cabrio. Am Steuer soll eben jener 31-jährige Hagener gesessen haben, der sich nun vor Gericht verantworten muss, und der als führendes Mitglied der Hagener Bandidos gilt. Ob er auch geschossen hat? Das ist bislang unklar. Es soll noch einen Beifahrer gegeben haben, dessen Identität bislang aber unklar ist. Gleichwohl: Auch, wenn er nur am Steuer gesessen haben sollte, droht ihm eine Verurteilung wegen versuchten Mordes aus Heimtücke – so die Anklage.

Doch wird es zu einer Verurteilung kommen? Der 31-Jährige sitzt seit Oktober in Untersuchungshaft. Ein SEK der Polizei hatte ihn nur wenige Stunden nach den Schüssen an der Frankfurter Straße festgenommen. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass die Ermittlungsergebnisse für eine Verurteilung ausreichen. Anwalt Reinhard Peters dagegen sagt: „Ich halte den Ausgang für völlig offen. Wir müssen sehen, was die Verhandlung bringt.“

Und die wird aufwändig: „Bislang sind 19 Zeugen geladen, ferner ein Sachverständiger in Bezug auf die Auswertung von Blutproben und ein Sachverständiger betreffend der Schmauchspuren nach den Schüssen“, sagt Landgerichtssprecher Bernhard Kuchler. Wie aussagewillig einige Zeugen sind, wird sich noch erweisen müssen. Bislang sind die Ermittler – ob bei Bandidos oder Freeway Riders – meist auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Selbst die teils schwer verletzten Opfer kooperierten nicht. Und auch die Schüsse von der Saarlandstraße wären wohl geheim geblieben, wenn nicht die Lebensgefährtin des Freeway Riders darauf gedrängt hätte, zur Polizei zu gehen. Sie gilt jetzt als wichtige Zeugin. Ihr Onkel dagegen will geschlafen haben, als die Schüsse fielen.

>> STICHWORTE: Fakten zum Rockerkrieg

Outlaw: Grundsätzlich unterscheidet die Polizei zwischen Motorradclubs und Outlaw-Motorcycle-Clubs (OMCGs). Und zu letzteren gehören sowohl Freeway Riders als auch Bandidos. „Bei den OMCGs und deren Mitgliedern besteht nach eigener Auffassung ein selbstdefinierter Macht- und Gebietsanspruch, der auch mit Gewalt durchgesetzt und verteidigt wird“, so Frank Scheulen, der Sprecher des Landeskriminalamtes NRW. „Bei den anderen Motorradclubs, die sich gerne auch als „MC“ verstehen, handelt es sich um motorradfahrende Mitbürger, die Spaß am Motorradfahren und -kult haben, aber keinerlei Macht- und Gebietsansprüche für sich reklamieren.“

Nummer 1 und 2: Die Bandidos gelten als größte Rockergruppe in Nordrhein-Westfalen. Das Landeskriminalamt geht aktuell von 25 Chaptern in NRW mit etwa 840 polizeilich bekannten Mitgliedern aus. Gefolgt werden sie allerdings von den Freeway Riders: 29 Chapter in NRW mit etwa 430 polizeilich bekannten Mitgliedern zählt das LKA. Im Hagener Rockerkrieg trifft Nummer 1 also auf Nummer 2.

Prozesstage: In dem am Montag startenden Mordversuch-Prozess sind bislang sieben Hauptverhandlungstage bis kurz vor Ostern vorgesehen. Die Termine: 25. und 28. März, 4., 5., 11., 12. und 18. April.

Szene-Anwalt: Der Bochumer Rechtsanwalt Reinhard Peters ist schon öfter als Verteidiger von Bandidos-Mitgliedern aufgetreten. Er kämpft sogar bis vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das „Kuttenverbot“ , das Rockergruppierungen das Zeigen ihrer angestammten Symbole – schießender Mexikaner bei den Bandidos, Totenkopf bei Hells Angels – verbietet. Ist er damit selbst Bandidos-Sympathisant? „Quatsch“, sagt Peters im WP-Gespräch: „Ich bin Anwalt und verteidige auch Mörder und Räuber, ohne Sympathisant zu sein. Aber wenn man einmal jemanden aus der Gruppe erfolgreich verteidigt hat, kommen auch weitere.“

Kuttenverbot. Speziell für Hagen ist auch ein Kuttenverbot erlassen worden. Allerdings räumlich und zeitlich begrenzt. Betroffen ist eine Reihe von Outlaw Motorcycle Clubs, insbesondere aber Freeway Riders und Bandidos sowie deren Unterstützer wie „Los Compadres MC“,  „Iron Bloods“ oder „Free Gang“. Das Verbot gilt immer während des laufenden Prozessetages im Landgerichtsgebäude und auch in diesen Straßen rund um das Gericht: Fleyer Straße, Gneisenaustraße (inklusive Fußgängerbrücke über Saarlandstraße), Beethovenstraße , Lützowstraße, Yorckstraße, Heinitzstraße, Eduard-Müller-Straße, Karl-Halle-Straße.

Auflösung: Die angebliche Selbstauflösung der Bandidos Hagen in der vergangenen Woche sehen die Ermittler skeptisch. Auch mit Blick auf Köln, wo sich das Bandidos-Chapter auch im Januar aufgelöst hat. „Die Akteure sind nach wie vor in der Stadt und deshalb machen wir mit unseren Ermittlungen weiter“, so Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob.

Aktuelle Berichterstattung zum Prozess finden Sie am Montag auf dieser Seite.