Hagen. . Der Hagener Heinrich Brocksieper ist einer der ersten Studenten am Bauhaus. Das Emil-Schumacher-Museum würdigt ihn jetzt mit einer Ausstellung

Manchmal wird ein Ausstellungs-Kurator zum Archäologen. „Von diesem Werk sind teilweise nur zufällig überlieferte Fragmente erhalten“, konstatiert Rouven Lotz, der wissenschaftliche Leiter des Emil-Schumacher-Museums in Hagen. Das Haus widmet dem Hagener Bauhaus-Künstler Heinrich Brocksieper (1898–1968) jetzt eine umfassende Werkschau. „Die Stofflichkeit der Dinge“ ist auch der Versuch einer Wiedergutmachung der Stadt an ihrem großen, wenngleich eher vergessenen Sohn, denn sein Werk wird seit 40 Jahren erstmals wieder in Hagen gezeigt. Im neuen Bauhaus-Museums in Weimar werden die Experimentalfilme des Hagener Künstlers ab April gewürdigt; sowohl das Harvard Arts Museum wie auch das Getty-Center in Los Angeles haben das Material angefragt.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen eine Filmkamera und eine Plattenkamera. Beide kann Brocksieper 1927 gebraucht kaufen. Der Hagener ist 1919 einer der ersten, die am neu gegründeten Bauhaus studieren. Er folgt dem bewunderten Lyonel Feininger, der im Museum Folkwang seine erste große Ausstellung zeigen konnte. Der junge Künstler beginnt als Maler, widmet sich aber rasch dem experimentellen Medium des Films und der Fotografie. Mit der Kamera wird er zum Pionier der frühen Industriefotografie, er hält die Kulturlandschaften seiner Heimat fest, in der industrielle Schornsteinwälder in den Himmel wachsen und sich mit den Bäumen auf den naheliegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen abwechseln.

Von den Nazis hält er sich fern

Aber Heinrich Brocksieper geht mit der Kamera auch ganz nah an Alltagsgegenstände heran, erforscht ihre Struktur, ihre Oberfläche. „Die Nahsicht hat ihn interessiert“, erläutert der Bildhauer Utz Brocksieper, der Sohn des Künstlers, „die Perspektive der Nähe“. Im Hof des elterlichen Hauses in der Hagener Alleestraße richtet Brocksieper sich ein Atelier ein, ein zweites in Hagen-Wehringhausen, wo er regen Austausch mit Künstlerfreunden wie dem jungen Emil Schumacher pflegt. Von den Nazis hält er sich fern. Atelierbesuche und Ausstellungsanfragen lehnt er ab. Gleich 1939 muss er als Soldat an die Front, es ist bereits der zweite Weltkrieg, in den man ihn schickt.

1944 trifft eine Bombe Haus und Atelier in der Alleestraße. Dabei werden seine Arbeiten zerstört. Nur 75 Fotografien und vier Filme in Sequenzen sind erhalten.

Diese gelten heute jedoch international als herausragende Zeugnisse, wie die Anfragen aus Harvard und Los Angeles belegen. Rouven Lotz: „Mit seinen filmischen Experimenten schuf er einen eigenen Beitrag. Besonders der abstrakte Film „Flächen, perpelleristisch“ (1930) veranschaulicht, wie tiefgehend Brocksieper sich mit den avantgardistischen Möglichkeiten des künstlerischen Trickfilms auseinandersetzte.“

Spannende Spurensuche

Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf eine spannende Spurensuche zu den Schaffensperioden eines großartigen Künstlers von den Anfängen an der Hagener Malerschule über die ersten Zeichnungen am Bauhaus bis zu den späten Pastellen. Obwohl die beiden Kameras gerettet werden, kann Brocksieper 1945 nicht mit der Fotografie fortfahren, er kommt nicht an das nötige Material. Trotzdem gibt er nicht auf. Er besinnt sich wieder auf die Zeichnung, später auf das Pastell. Diese Arbeiten nach 1945 verraten allerdings weiterhin das experimentelle Auge des Fotografen.

Alltagsgegenstände

Auch mit Kohle und Kreide geht Brocksieper ganz nah heran an Alltagsgegenstände mit ihren Gebrauchsspuren und Oberflächen, wieder interessiert ihn, wie sich das Licht auf Glühbirnen und Brillengläsern bricht, wie die Stofflichkeit des Materials sich am Beispiel von Brotlaiben und Blumenablegern darstellen lässt. „Form, Farbe plus Materie, das war seine Formel, die stammt aus der Bauhaus-Zeit“, so Utz Brocksieper.

Dass diese Spurensuche im Werk Heinrich Brocksiepers überhaupt möglich wird, ist der Familie zu verdanken. Sohn Utz hat nach dem Tod seines Vaters begonnen, das Werk zu sichern. „Eine Wiederentdeckung des Künstlers wäre nicht möglich ohne das Archiv, das Utz Brocksieper aufgebaut hat“, hebt Rouven Lotz hervor. Der künstlerische Nachlass Heinrich Brocksiepers wird in Dessau und Weimar gepflegt – in Hagen hatte man kein Interesse daran. Und so kommen die Leihgaben für die erste große Hommage seit vier Jahrzehnten an den Hagener Bauhaus-Künstler Heinrich Brocksieper in seiner Heimatstadt aus Weimar.

Ein Brief an Lyonel Feininger

Seine Bauhaus-Freundschaften hat Heinrich Brocksieper weiter gepflegt. 1950 schreibt er an seinen Lehrer Lyonel Feininger in New York. Der Brief gibt in knappen Worten Aufschluss über einen Künstler, der die Katastrophen zweier Weltkriege bewältigen muss: „Sie fragen mich, wie es mir geht und was ich mache. Nun stehe ich wieder wie vor 30 Jahren am Anfang. Damals entwertet, heute ausgebombt. Meine Arbeit von 20 Jahren, Studien für den Abstrakten Film, liegen in Trümmern. Die Zeit hat mich gelehrt, nahe an die Dinge heranzutreten.“

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