Hagen. . Fett bildet sich an ihren Beinen und Oberarmen – Nicole Heine aus Hagen hat eine Selbsthilfe-Gruppe Lipödem gegründet.

Dass dieses Thema endlich Fahrt aufnimmt, finden sie gut. Die Titelzeilen in den Tageszeitungen der Republik aber nicht. „Kassen sollen jetzt fürs Fettabsaugen zahlen“, sagt Christian Erlemeyer (33), „das erweckt einen völlig falschen Eindruck. Es geht nicht darum, aus dicken Menschen dünne zu machen, sondern aus kranken gesunde.“

Lipödem oder Lymphödem heißt die schwere Erkrankung, die dazu führt, dass in den allermeisten Fällen Frauen an Stellen ihres Körpers Fett und/oder Wasserablagerungen ansammeln, an Gewicht zulegen und es trotz aller Diäten nicht mehr loswerden.

Gesundheitsminister Spahn startet Vorstoß

Seit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Thema auf die Tagesordnung gebracht hat, hat die Diskussion um die Kostenübernahme bei sogenannten Liposuktionen (Fettabsaugungen) Fahrt aufgenommen.

Erlemeyer selbst hat sich quasi halbiert. Unglaubliche 225 Kilogramm wog der Vorsitzendes des Adipositasnetzwerks NRW einst, 125 sind davon noch übrig gelblieben. Er selbst leidet nicht an Lipödem, betroffen aber ist seine Frau Jasmin (35). Gemeinsam mit Nicole Heine (49) hat Erlemeyer jetzt die Selbsthilfegruppe Lipödem und Lymphödem gegründet.

Diagnose erfolgt per Ultraschall

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Ausgerechnet sie, die Ernährungsberaterin, die selbst Abnehmkurse gibt, legte vor einigen Jahren zu. 15 Kilo in fünf Jahren. „Das Fett sammelte sich vor allem an den Oberschenkeln und den Unterarmen“, sagt die 49-Jährige, „ich wurde immer dicker, obwohl sich an meiner Ernährung nichts geändert hatte. Wir sind nicht fett, sondern krank.“

Eine Physiotherapeutin tippt auf Lipödem. Ein Haut- und Venenspezialist (Phlebologe) diagnostiziert die Erkrankung schließlich mit einer Ultraschalluntersuchung. „Ich gehe offen mit meiner Erkrankung um“, sagt Nicole Heine, „gerade gegenüber denjenigen, die ich berate. Sonst würde ich unglaubwürdig wirken.“

Starke Schmerzen quälen die Betroffenen

Fine Kerkhoff leidet an Lipödem. Sie schreibt im Internet einen Blog.
Fine Kerkhoff leidet an Lipödem. Sie schreibt im Internet einen Blog. © Johannes Erkes

Dabei ist es nicht nur die äußerlich wahrnehmbare Veränderung des Körpers, die die Betroffenen belastet. „Hinzu kommen starke Schmerzen“, sagt Nicole Heine, „ich habe schon Abende heulend zu Hause auf dem Sofa gesessen, weil ich es einfach nicht ausgehalten habe. Wenn es mich juckt, kann ich mich nicht kratzen.“ Die Haut spannt sich. Ein Taubheitsgefühl stellt sich ein. Sie neigt zu blauen Flecken. „Manchmal sehe ich aus, als würde mein Mann mich misshandeln.“

Die Betroffenen leiden. Aber: „Hilfe gibt es kaum“, sagt Christian Erlemeyer, „Lymphdrainagen verschaffen Linderung, heilen die Krankheit aber nicht. Aber es gibt einige Ärzte, die nicht bereit sind, die zu verschreiben, weil sie das eigene Budget belasten.“

Kompressions-Wäsche wirkt wie in einem Panzer

Hinzu kommen Kompressionsstrümpfe- und Wäsche als Hilfsmittel. „Darin aber“, sagt Nicole Heine, „fühlt man sich eingeschnürt wie in einem Panzer. Gerade bei Hitze im Sommer ist das kaum auszuhalten. Die Wäsche erleichtert das Laufen. Die Schmerzen nimmt sie nicht.“

Rund 5000 Euro kostet ein Patient im Schnitt pro Jahr. „Auch wirtschaftlich gesehen kann eine Fettabsaugung für die Kassen Sinn machen“, sagt Nicole Heine, „hinzu kommt, dass die Frauen unter ihrer Krankheit auch psychisch extrem leiden. Viele fühlen sich diskriminiert. Vor diesem Hintergrund unterstützen Betroffene und Selbsthilfegruppen den Vorstoß von Minister Spahn.“

Noch aber wehren sich viele Kassen. „Ob Patienten nach einer Absaugung endgültig Ruhe haben – darüber gibt es noch keine Studien“, sagt Nicole Heine, „aber mir würden schon ein paar Jahre mit einer höheren Lebensqualität reichen.“