Hagen. . Am Dienstag spielt das Orchester Hagen die Fantastische Symphonie von Berlioz. Wir haben mit Chefdirigent Trafton in die Partitur geschaut.
Der französische Komponist Hector Berlioz (1803 bis 1869) kam als Außenseiter zur Musik. Und er reüssierte mit einer für Außenseiter typischen Haltung. Berlioz ignorierte die Regeln des klassischen Systems und schuf etwas völlig Neues: seine 1830 uraufgeführte Fantastische Symphonie ist ein musikalischer Bewusstseinsstrom, eine tobende Lebenserzählung, ein erotisches Manifest. „Eben ein Meisterwerk“, sagt Joseph Trafton (40).
Der Generalmusikdirektor des Hagener Theaters hat dieses Meilenstück der Musikgeschichte mit 16 Jahren zum ersten Mal gehört und sich seitdem immer und immer wieder damit beschäftigt. Er nennt die Partitur skurril, genial, abgefahren und radikal subjektiv. „Ich mag den Begriff eigentlich nicht, weil er zu oft benutzt wird, aber die Fantastische Symphonie ist ein Psychothriller“, so der US-amerikanische Dirigent, der in der zweiten Spielzeit den Chef-Taktstock in Hagen schwingt: „Und obwohl ich sie so gut kenne, entdecke ich, wenn ich mich mit ihr beschäftige, stets etwas Neues darin.“
Unglücklich Verliebter
Trafton vermag aus der Komposition aber auch den Charakter ihres Schöpfers herauszulesen. „Berlioz war ein ziemlich durchgeknallter Typ“, sagt er und verweist auf den vierten Satz, in dem ein abfallendes Arpeggio (d, b, g, g) deutlich hören lasse, dass ein abgeschlagener Kopf übers Straßenpflaster hüpfe. Nun ja, Berlioz war ein von seinen Leidenschaften Getriebener.
Vielleicht konnte er deshalb auch so zärtliche Melodienfolgen komponieren wie jenes Leitmotiv, mit dem er die irische Hamlet-Darstellerin Harriet Smithson, in die er unglücklich verliebt war, charakterisierte. Auf dieser unerwiderten Liebe basiere im Grunde die gesamte Symphonie, glaubt Trafton.
Unberühmter Tondichter
Die berühmte Schauspielerin hatte den unberühmten Außenseiter, der ihr unzählige Liebesbriefe schrieb, abblitzen lassen. Berlioz betäubte seinen Kummer mit Opium, doch das funktionierte nicht. Also schrieb er die Symphonie: „Und das funktionierte“, so Trafton. Harriet Smithson ließ sich zwei Jahre später zu einem Treffen mit dem nun berühmten Außenseiter überreden und wurde kurz darauf seine Ehefrau. „Als Irin hatte sie bestimmt rote Haare und ein feuriges Temperament, das kommt in dieser atemlosen Musik zum Ausdruck“, sagt Trafton.
Auch ein Bild seiner selbst entwirft Berlioz in der Einleitung dieser großartigen Dichtung. Trafton schließt aus dem Crescendo zu Beginn auf eine naive und launische, aber auch pfiffige und romantische Wesensart. „So lernt man auch Auto zu fahren“, greift der Hagener Dirigent zu einem Vergleich: „Man fährt eine lange Strecke, aber die ersten Schaltversuche sind schwierig.“
Unregelmäßige Begleitung
Trafton redet gern in Metaphern, das hat er mit dem exzentrischen Komponisten gemein, der ganze Romanwelten im Kopf hatte und in musikalische Bilder und Erzählstränge umzusetzen vermochte. Die flott gehaltene Introduktion wird trotz der Crescendi-Wellen zu einer langen Phrase und mündet in einen kleinen Halbton (von e auf f), der häufig wiederkehrt und für Trafton Amors Pfeil, abgeschossen auf ein liebendes Herz, darstellt: „In moderner Sprache: Vielleicht handelt es sich um einen Fotografen, der den Blick einer Frau auf seinen Fotos fixiert.“
Die impulshafte, unregelmäßige Begleitung des Orchesters stehe für das Herzklopfen eines bis über beide Ohren unglücklich verliebten Mannes: „Der Herzschlag eines Menschen wird schließlich auch unregelmäßig und setzt zuweilen aus, wenn er seine Angebetete sieht.“
Unerhörte Bandbreite
Zum Thriller à la Hitchcock werde die Symphonie im vierten und fünften Satz, in dem Berlioz die ganze Bandbreite seiner schrecklichen Gedanken hörbar werden lässt. Die von ihm so geliebte Frau ist nun zu einer Hexe mutiert, das sie beschreibende Leitmotiv wird durch den Einsatz einer Es-Klarinette, die die Töne um eine Quart höher (man könnte auch sagen: quäkender) klingen lässt, verzerrt und zynisch entstellt.
Drei Werke zeichnen die musikalische Entwicklung im 19. Jahrhundert nach
Die symphonie fantastique von Hector Berlioz ist im Rahmen des 5. Symphoniekonzertes des Philharmonischen Orchesters am Dienstag, 15. Januar, um 20 Uhr (Einführung: 19.15 Uhr) in der Stadthalle zu hören. Unter der Leitung von Joseph Trafton werden außerdem die Egmont-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven sowie das Cellokonzert in a-Moll von Robert Schumann (Solist: Steven Isserlis) aufgeführt.
Trafton hat diese Auswahl wohlüberlegt getroffen, denn die drei Werke stehen in enger Beziehung zueinander, die Lebensspanne ihrer Komponisten zeichnet die musikalischen Entwicklung im 19. Jahrhundert nach.
Berlioz orientierte sich in seiner Sinfonie ganz bewusst am musikalischen Übervater Beethoven (1770 bis 1827), dessen Freund und Orchesterkollege Anton Reicha eine Zeit lang sein Lehrer war.
Robert Schumann (1810 bis 1856) wiederum, ebenfalls ein Verehrer Beethovens, bewunderte die Fantastische Symphonie von Berlioz als eines der schönsten Werke der Romantik.
Karten für das Symphoniekonzert: 207-3218.
Zwei Tuben und vier Fagotte leiten schließlich den dies irae ein, den Tag des Jüngsten Gerichts, sie bedrohen die Melodie in ihren tiefsten Registern, das Zittern des Tremolo in der Lohengrin-Lage dagegen spiegelt Angst und Bestürzung. „Das erinnert mich an den Herrn der Ringe, wenn der Balrog aus dem Berg kommt“, sagt Trafton: „Einen fetten Bass haben die Menschen also nicht erst in der Rock-Ära gemocht.“
Unruhiger Schlusssatz
Der finale Akt sei pure Rockmusik, er habe etwas Gruseliges, Düsteres, Wildes an sich, biete pulsierende Grooves. Die Licht- und Showeffekte eines Rockkonzertes in einem ausverkauften Stadion hätte Berlioz bestimmt gemocht, ist der Hagener Dirigent überzeugt.
Neulich habe jemand ironisch-herabwürdigend über seine Arbeit gesagt, klassische Musik sei etwas für Omas, berichtet Trafton: „Diese Symphonie ist ganz bestimmt nichts für Omas.“ Trafton hält sie für eines der wichtigsten Musikstücke aller Zeiten – bahnbrechend, kontrastreich, stark. Noch einmal wirft er einen Blick auf die Partitur. „Das ist Wahnsinn“, sagt er und deutet auf jene Takte, in denen die Streicher aufs Holz trommeln: „Wie bei Spielberg. Wie beim großen, weißen Hai.“