Hagen. . Der Hagener Dachdecker-Betrieb Jakobs hat dem gehörlosen Adem Yabancioglu das Vertrauen geschenkt. Ein Schritt, den der Chef nicht bereut.

Adem Yabancioglu schultert schwere Materialien, klettert auf Gerüste und Dächer. Der 37-Jährige arbeitet bei einem Hagener Dachdeckermeister. Das Besondere: Yabancioglu ist gehörlos und kann nicht sprechen. Den Berufsalltag meistert der Tischler trotzdem problemlos.

„Wir haben in der Vergangenheit einfach auf Nachwuchs gehofft. Jetzt haben wir diesen Schritt gewagt“, sagt David Jakobs, selbstständiger Dachdeckermeister. In Zeiten des Fachkräftemangels sei dies ein guter und wichtiger Schritt gewesen, wie Ralf Nickel, Mitarbeiter im Einkauf, sagt. Jakobs ist froh über seine Entscheidung, Adem eingestellt zu haben. „Es gibt keinerlei Einschränkungen. Adem ist ein vollwertiger Mitarbeiter. Er ist fleißig, versteht schnell und setzt seine Aufgaben auch schnell um.“

Gehörloser Dachdecker geht auf jeden Mitarbeiter zu

Adem Yabancioglu ist gelernter Tischler und kam über ein Praktikum in den Betrieb. Schnell erkannte Jakobs das Talent des 37-Jährigen. Trotzdem sei man anfangs noch verunsichert gewesen, wie man mit Yabancioglu umgehen solle. „Anfangs waren alle etwas verunsichert in der neuen Situation, doch Adem hat selbst den ersten Schritt gemacht und ist auf jeden zugegangen“, sagt Nickel.

Nun erlernen vier Mitarbeiter in einem Kurs der Volkshochschule die Gebärdensprache, um sich besser mit Yabancioglu verständigen zu können. „Die Kommunikation ergibt sich mit der Zeit von selbst. Man entwickelt ziemlich schnell ein Verständnis für die Zeichen“, erklärt Nickel. Gebärden für Begriffe wie „Mischmüll“, „Holz“ oder „Dachdecker“ gäbe es zwar auch, erzählt Jakobs und gebärdet nebenbei, meistens würden die Fachbegriffe aber umschrieben werden. „Für die Weihnachtsfeier werden wir einen Gebärden-Dolmetscher bestellen, damit jeder mit Yabancioglu sprechen kann. Das ist uns wichtig. Adem ist ohne Ausnahme einer von uns und gehört dazu“, ergänzt Nickel. Dazu gehöre auch, dass Scherze über den gehörlosen Kollegen nicht toleriert werden würden. „Das haben wir am Anfang ganz deutlich gemacht und daran halten wir uns auch.“

Gehörloser Dachdecker trägt ein spezielles Armband

Yabancioglu, der seit dem frühen Kindesalter gehörlos ist, ist nun seit September fest angestellt und fährt mit zu den Terminen. Momentan erlernt er noch das Bearbeiten von Blech. „Die Softskills hat er als Tischler schon, den Umgang mit Blech, für beispielsweise Dachrinnen, erlernt er hier“, erklärt Nickel.

80.000 Gehörlose in Deutschland

Laut Deutschem Gehörlosenbund leben in der Bundesrepublik etwa 80.000 Gehörlose.

Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes gibt es ca. 16 Millionen Schwerhörige. Etwa 140.000 davon haben einen Grad der Behinderung von mehr als 70 Prozent und sind auf Gebärdensprach-Dolmetscher angewiesen (Quelle: Deutscher Gehörlosenbund).

Gründe für einen späteren Hörverlust können Gehirnhautentzündungen, Schädelbrüche, Virus-Infektionen wie Mumps oder Masern, chronische Mittelohrentzündungen oder bestimmte Medikamente sein.

Doch wie kommunizieren sie, wenn ein Kollege auf dem Dach und damit außer Sichtweite ist? Um die Aufmerksamkeit von Adem Yabancioglu zu bekommen, wenn man gerade keinen Augenkontakt herstellen kann, trägt der gelernte Tischler auf der Baustelle ein spezielles Armband. Dieses vibriert, sobald sein Kollege auf einen Knopf drückt. „Das ist auch wichtig, für den Fall, dass mal Gefahr besteht“, sagt Jakobs. Dazu kam noch ein technischer Helfer: ein Gehörlosen-Wecker, der den Ton durch Licht und Vibration ersetzt. „So können wir sicher sein, das Adem nicht verschläft. Was bei der körperlich anstrengenden Arbeit sonst schnell mal passieren kann“, erklärt Nickel.

"Wir wollen Adem langfristig im Betrieb haben"

Doch Unternehmen, die Menschen mit körperlichen Einschränkungen einstellen, werden auch gefördert. Eine Förderung, die viele Unternehmen oft ausnutzen würden, wie Ralf Nickel sagt. „Wir haben Adem eingestellt und wollen ihn langfristig im Betrieb haben“, sagt Nickel.

Über ihre positiven Erfahrungen will der Dachdeckermeister Jakobs beim nächsten Unternehmerfrühstück berichten. „Soweit ich weiß, sind wir bisher in Hagen der einzige Dachdeckerbetrieb, der einen Gehörlosen eingestellt hat“, sagt Jakobs. „Vielleicht können wir auch andere Betriebe zu diesem Schritt motivieren.“