Hagen. . Nach tödlichen Unglücken informieren speziell geschulte Polizisten Hinterbliebene. Ein Hauptkommissar aus Hagen erklärt, wie man das aushält.

Es ist Teil seiner Arbeit – und doch so schwer zu packen. „Sie bringen unschuldigen Menschen die schlechteste Nachricht, die sie bekommen können“, beginnt Raimund Riedl, „und wissen nicht, was dann passiert.“

Seit zwanzig Jahren gehört der Hauptkommissar, sportlich schlank, kahler Kopf, zur Führungsriege der Hagener Polizei. Als Dienstgruppenleiter fällt ihm die Aufgabe zu, Hinterbliebene vom Tod eines Angehörigen zu informieren. Dabei handelt es sich um tragische Unglücke, meist Unfälle im Verkehr. Fälle also, die Polizeimeldungen in neutrale Begriffe verpacken. Ein wichtiges Verfahren, um seriös die Distanz zu wahren.

Wenn Hinterbliebene vom Tod eines geliebten Menschen erfahren, hilft diese Neutralität allerdings nicht. Raimund Riedl muss die Distanz brechen. „Ich würde lieber um den heißen Brei herumreden, aber damit helfen sie den Leuten nicht“, so Riedl. Um auf Nachfragen vorbereitet zu sein, muss er die Umstände des Todes bis ins Detail kennen. „Sie müssen direkt sein.“ Eine Gratwanderung, verlangt diese Haltung doch auch ein hohes Maß an Feingefühl. Denn: „Sie können Menschen mit Fakten sehr wehtun.“

Organisierte Hilfe für Polizeibeamte

Das Team „Psychosoziale Unterstützung NRW“ (PSU) hilft Polizisten in der Region, die besonders belastenden Situationen ausgesetzt waren.

Die Teams bestehen aus Polizeiärzten und Polizeibeamten des Höheren Dienstes und werden bei Einsätzen von der Landesleitstelle in Duisburg eingeteilt.

Ergänzt wird das Angebot von Polizei-Seelsorgern der katholischen und evangelischen Kirche.

Trotz vieler Schulungen steht jede Begegnung, jeder Todesfall, für sich. „Einmal habe ich einer Mutter sagen müssen, dass ihr Sohn gestorben ist. Sie wollte es nicht wahr haben und hat auf mich eingeschlagen“, erzählt Riedl, selbst Vater zweier Kinder. In solchen Momenten sei es unmöglich, das Richtige zu tun. Raimund Riedl hat die verzweifelte Mutter fest in den Arm genommen.

Erfahrung gibt Halt

Halt und Sicherheit gibt ihm nach rund zwanzig Jahren als Hauptkommissar die Erfahrung. Vor dem Gespräch mit Hinterbliebenen stellt er sein Funkgerät ab, schaltet das Handy aus und konzentriert sich ganz auf die Situation vor Ort.

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Anfangs hatte der 53-Jährige meist einen Seelsorger an seiner Seite, als Hilfe für die Betroffenen. Mittlerweile geht Raimund Riedl häufig erst allein und wartet ab, wie die Hinterbliebenen reagieren.

Aber ganz gleich wie gut vorbereitet er ist, wie viel Feingefühl und Empathie er mitbringt: „Ich bleibe der Überbringer der schlechten Nachricht.“ Die Reaktionen sind dabei höchst unterschiedlich. Er erzählt sowohl von Menschen, die zusammenbrechen, als auch von Menschen, die ihn überraschten. „Bei einem Fall musste ich einer 96-Jährigen die Nachricht vom Tod ihrer mehr als 70-Jährigen Tochter überbringen“, erinnert sich Raimund Riedl. Er habe sich gewundert, wie gelassen die alte Frau während des Gesprächs war. „Vor unserem Abschied nahm sie kurz meine Hand und sagte: ,Was Sie machen müssen, das möchte ich nicht tun’.“

Wann er sich von den Hinterbliebenen verabschiedet, entscheidet er nach Gefühl. Er bleibt, bis alle Fragen beantwortet sind oder er nicht mehr gewollt ist. Erreichbar ist der Polizeibeamte für die Betroffenen aber weiterhin, auch über seine private Nummer. Wie viele Todesnachrichten er in den Dienstjahren bereits überbringen musste, das weiß er nicht. „Aber es gab Jahre, da war jeden Monat ein Fall.“ Wie verarbeitet er die Eindrücke, die sich nach den Begegnungen angesammelt haben?

Gespräche als Therapie

„Sprechen“, antwortet Riedl. Sei es mit Kollegen oder der Partnerin. Mittlerweile gibt es für Polizisten zudem ein großes Angebot an geschulten Hilfskräften, wie etwa Sozialberater und Notfallseelsorger von Feuerwehr und Kirchen. „Schmerz gehört zum Leben dazu. Wenn Sie nicht mitfühlen können, dann stumpfen Sie ab und machen nur noch kühl ihre Arbeit.“

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Was nicht helfe, sei der Versuch, die Gespräche mit Hinterbliebenen zu vergessen. Vielmehr müssten die Eindrücke kontrolliert werden. Er muss selbst entscheiden können, wann die Bilder im Kopf auftauchen sollen und wann nicht.

Es hilft die Routine, die tägliche Arbeit und es helfen die vielen schönen Erlebnissen, die der Polizeiberuf hat – und die für Riedl überwiegen. „Als mein Sohn Polizist werden wollte, habe ich ihn gefragt, warum. Er antwortete: ,Wenn jemand über dreißig Jahre denselben Beruf macht und immer noch so gern dahin geht wie du, dann kann das nicht schlecht sein’.“