Hagen-Boele. . Seit 44 Jahren fährt Ludwig Hermesmann einen Traktor im Rosensonntagszug. Ihn und alle anderen Narren feiern 38.000 Jecken beim Straßenkarneval.
Mit dem linken Fuß lässt er sacht die Kupplung kommen. Der rechte drückt vorsichtig das Gaspedal. Ein kleiner Ruckler nur, der Diesel heult kurz auf, der Sitz vibriert. Der Hanomag – Baujahr irgendwann in den 60 Jahren – setzt sich in Bewegung.
Hier schlägt das Herz des Hagener Karnevals
Der Traktor, der Anhänger, darauf das Oberloßrock-Nachwuchspaar, dahinter das Oberloßrockpaar und davor und dahinter all die anderen Wagen und Fußgruppen der KG Grün-Weiß Vorhalle, der Heidefreunde Boelerheide, der Volmefunken, der Blau-Weißen Funken, der KG Rheingold, des KCH 77, des Club 99 und der Loßröcke Boele. Der Rosensonntagszug, ihr Rosensonntagszug, er rollt durch Boele. Durch jenen Ort, in dem das Herz des Hagener Karnevals schlägt.
Rosensonntagszug in Boele ein Spektakel
„Auf geht’s“, sagt Ludwig Hermesmann, der diesen Lindwurm der Freude eigentlich nur aus dieser einen Perspektive kennt. Mit 16 Jahren hat er zum ersten Mal am Rosensonntag auf einem Traktor gesessen. Heute ist Ludwig, den der blaue Kittel und die rot-weiße Kappe unzweifelhaft als Loßrock ausweisen, 62 Jahre alt.
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„Und nur bei einem Umzug habe ich seither mit meinen Kindern am Rand gestanden“, sagt er. „Aber bei jedem Wagen habe ich zuerst geguckt, wer den Traktor fährt. Als meine Frau das gesehen hat, hat sie zu mir gesagt: Das hat ja keinen Sinn. Im nächsten Jahr fährst du wieder selbst.“
Orden für Fahrer und die Begleiter
Ludwig fährt. Und der Orden, den seine Fahrgäste, Charlotte I. und Till I., ihm schon vor den Start verliehen haben, baumelt um seinen Hals. Ihm und all den anderen Helfern, die an diesem Tag rund um den kleinen Prunkwagen mit der Krone Dienst tun. „Das ist eine große Verantwortung für uns alle“, sagt Ludwig Hermesmann, „man mag sich gar nicht ausmalen, wenn mal etwas passieren würde.“
Hagener Straße: Charlotte und Till strahlen. Popcorn, kiloweise Bonbons und gelbe Plastikbälle fliegen in die Menge. „Vieles vom Verein gekauft, einiges gespendet“, sagt Ludwig Hermesmann. Direkt dahinter schmeißen Oberloßrock Markus I. und seine Herzdame Nancy I. süße Köstlichkeiten in das Narrenvolk. Die Zuschauer stehen hier dicht an dicht. Trotz Nieselregens und gewöhnungsbedürftiger Temperaturen. Barbara, eine Bekannte, reicht Frikadellenspieße und heißen Kaffee in die Fahrerkabine. „Damit du mir nicht verhungerst“, sagt sie und lächelt.
Friedliches Fest mit wenigen Ausreißern
Rund 38 000 Narren feierten an den Straßen in Boele. Dabei ist es nach Angaben der Polizei Hagen weitestgehend friedlich geblieben.
Lediglich 13 Narren, die zu tief ins Glas geguckt hatten, wurden vorübergehend von den Einsatzkräften in Gewahrsam genommen.
Der Jugendspielmannszug Wetter-Volmarstein marschiert direkt vor dem Hanomag. „Viva Colonia“. Die karnevalistische Hitparade spielt die Kapelle rauf und runter. „Die haben richtig ‘was drauf“, sagt Ludwig. Als vor einem Haus an der Helfer Straße das Oberloßrock-Lied erklingt, singt er mit, der Mann im blauen Kittel, der das Vereinsleben und den Zusammenhalt hier im Norden so sehr schätzt: „Nichts geht über Boele. Wir bleiben dir treu.“
Ein Schokoriegel für den Löwen
Osthoffstraße, kurz vor dem katholischen St.-Johannes-Hospital: Hier wo die Jugendlichen stehen, wo (zu) viel getrunken wird, wo sich Zivilbeamte unter die Feiernden mischen, um Schlimmeres zu verhindern, ist Millimeterarbeit gefragt. Beherzt packen die Wagenbegleiter zu, als sich ein junger Mann im Schlumpfkostüm zwischen Traktor und Anhänger schleichen will. „Wir haben’s geschafft“, sagt Bernd Heitkötter ein paar Minuten später, als das gelbe U-Boot vom Club 99 am Horizont um die Ecke biegt.
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Ein kleiner Löwe am Rand jubelt und strahlt. 150 kleine Schokoriegel hat Ludwig in einer Kiste im Führerhaus. Der Löwe bekommt einen davon, ebenso wie ein Krokodil, das nicht leer ausgegangen ist. „Wenn die Kleinen mich so niedlich angucken, da werd’ ich schwach“, sagt Ludwig Hermesmann und lächelt.
Ein Bierchen gibt es erst am Abend
Schokoriegel für die Kinder, eine Zigarette für den Mann hinter dem großen Lenkrad. Die Kabine des Hanomag ist offen, die Windschutzscheibe hat Ludwig hochgeklappt. Eine Zigarette darf sein. Ein Bier auf keinen Fall. „Erst heute Abend, wenn ich mit Freunden feiere, gibt’s ein, zwei Pils“, sagt er, „aber nicht zu viel. Beim Rosenmontagszug durch Hagen fahre ich wieder das Oberloßrock-Nachwuchspaar. Da kann ich mir keinen Rest-Alkohol erlauben.“