Hagen. . Einst hat Karin Thoma-Zimmermann an der Hauptschule Vorhaller unterrichtet. Heute hilft sie Flüchtlinge in einer neuen Welt.

Cassie lässt ihre rosafarbene Zunge weit aus der Schnauze hängen. Der Eindruck täuscht: Sie ist die sportlichste von uns an dieser Steigung hinauf zum Eugen-Richter-Turm. Ein Schäferhund im besten Alter. Hellwach, spitzt die Ohren. Die niedrigen Temperaturen an diesem Wintertag im Stadtwald machen einer Hundedame wenig aus.

Das Laub am Rand des Wegs knistert bei jedem Schritt unter den Füßen. Wer auf dem Drei-Türme-Weg marschiert, spürt auch mitten im Dezember noch eine gewisse Wärme. Weil er wie Cassie ein Fell hat, weil er wie wir bergauf geht oder weil er mit einer Frau unterwegs ist, die mit ihrem großen Herz, ihrem Engagement und der Leidenschaft für die Dinge, die sie tut, eine ganz eigene Wärme ausstrahlt.

Viele Funktionen, aber nicht gern im Mittelpunkt

Ein starkes Team: Karin Thoma-Zimmermann mit Hund Cassie.
Ein starkes Team: Karin Thoma-Zimmermann mit Hund Cassie.

Karin Thoma-Zimmermann, die so viele Funktionen vereint und die gar nicht gern im Mittelpunkt steht. Deshalb hat sie auch gezögert, als wir sie gefragt haben, ob sie mit uns auf diesen Weg, auf diesen besonderen Weg gehen möchte. Und dann immer wieder betont, dass sie ja nur eine von vielen sei und was sie für ein tolles, für ein starkes Team um sich herum habe. Also mag der Spaziergang ein Stellvertreter-Spaziergang sein. Karin Thoma-Zimmermann steht stellvertretend für die vielen, die sich in Hagen für Menschen aus anderen Ländern engagieren.

Sie, die ehemalige Lehrerin an der Hauptschule Vorhalle, die einst ein Projekt ins Leben gerufen hat, bei dem Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport getrieben haben. Sie, die so viele Kinder, die nicht immer auf der Sonnenseite standen, ins Leben begleitet hat.

Mit zwei Eseln beim Kirmeszug in Haspe

Spielt auch beim Kirmeszug eine wichtige Rolle: Karin Thoma-Zimmermann.
Spielt auch beim Kirmeszug eine wichtige Rolle: Karin Thoma-Zimmermann.

Sie, die sich mit Engagement um Flüchtlinge aus aller Herren Länder kümmert. Und sie, die mit ihren Eseln Erna (19) und Emma (15) beim Hasper Kirmeszug eine so wichtige Rolle spielt.

Erna und Emma dürfen nicht mit auf den Drei-Türme-Weg. Dafür Cassie, die sich wohl erzogen von der ehemaligen Hunde-Ausbilderin Thoma-Zimmermann vor uns auf den Boden legt, als wir für einen Moment auf einer Bank Platz nehmen. Karin Thoma-Zimmermann erzählt: von den „tollen Jungs“, die in einer fremden Welt angekommen sind und um die sie und ihre Freunde sich kümmern. Von jungen Männern, die alles hinter sich gelassen haben, die teilweis nicht einmal lesen können und nun eine fremde Sprache lernen sollen. Und von jenen, denen sie erst ein Praktikum und nun eine Ausbildungsstelle vermittelt hat und die schon nach kurzer Zeit in ein neues Leben durchstarten können. „Das“, sagt Karin Thoma-Zimmermann, „sind Fälle, die machen einem Mut, die geben einem Kraft für die tägliche Arbeit. Eine Arbeit, die mein Leben sehr bereichert.“

Viel Arbeit nach der Arbeit

Gemeinsam auf dem Drei-Türme-Weg: Karin Thoma-Zimmermann und WP-Redakteur Jens Stubbe.
Gemeinsam auf dem Drei-Türme-Weg: Karin Thoma-Zimmermann und WP-Redakteur Jens Stubbe.

Eine Arbeit, die für Karin Thoma-Zimmermann erst so richtig Fahrt aufnimmt, als ihre eigentliche Arbeit ein Ende nimmt. „Als Lehrerin aufzuhören“, sagt sie, „das ist mir schwer gefallen. Ich habe überlegt, ob ich noch ein halbes Jahr dranhängen soll. Ich hatte zu dem Zeitpunkt eine Auffangklasse. Die Schüler kamen aus allen möglichen Ländern – aus Rumänien, aus Afghanistan und aus Syrien. Die wollte ich nicht allein lassen. Ich war stolz, als fünf von ihnen nach dem Jahr zur Gesamtschule wechseln konnten. An meinem letzten Schultag vor den Sommerferien fühlte ich mich schlecht. Ich bin erstmal mit Cassie in den Wald gegangen.“

Dabei hatte sie sich vorbereitet: „Ich habe mir Gedanken gemacht: Was machst du dann?“ sagt Karin Thoma-Zimmermann. „Man kann nicht den ganzen Tag über nur zu Hause sitzen. Man braucht ja Struktur.“

Kaffee, Kekse und kein Flüchtling

Ein Weg, zwei Wanderer: Karin Thoma-Zimmermann und WP-Redakteur Jens Stubbe.
Ein Weg, zwei Wanderer: Karin Thoma-Zimmermann und WP-Redakteur Jens Stubbe.

Schon Monate vorher entwickelt sie gemeinsam mit Freunden die Idee, in einer Kapelle gegenüber der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Spielbrinkschule Flüchtlinge auf einen Kaffee einzuladen. „Beim ersten Mal saßen wir mit unserem Kaffee alleine da“, sagt Karin Thoma-Zimmermann, „beim zweiten Mal kam ein Syrer, der kein einziges Wort Deutsch sprach. Das hatten wir so gar nicht bedacht.“

Das Engagement der Ehrenamtlichen spricht sich in der Einrichtung herum. Und so werden es immer mehr, die den Weg in die Kapelle finden. „Kaffee, Keks und Deutsch“, beschreibt Karin Thoma-Zimmermann kurz das, was sich in dem Gotteshaus abspielt.

Einige können nicht einmal die Muttersprache lesen

Der Weg führt hinab von der Höhe. Cassie zieht vorweg. Und wedelt an einem Bachlauf vor Freude mit dem Schwanz. „Sie liebt Wasser“, sagt Karin Thoma-Zimmermann und gönnt der Schäferhund-Dame ein kurzes Bad.

Als die Landeseinrichtung geschlossen wird, verlagert sich auch die ehrenamtliche Arbeit. Heute unterrichten Karin Thoma-Zimmermann und ihre Freunde Flüchtlinge in der städtischen Unterkunft in der ehemaligen Grundschule Kückelhausen. „Wir arbeiten in Kleingruppen“, sagt Karin Thoma-Zimmermann, „der Leistungs- und Wissensstand ist sehr unterschiedlich. Es gibt Flüchtlinge, die haben noch nie eine Schule von innen gesehen, die können nicht einmal in ihrer Muttersprache lesen und schreiben. Das ist wie in der ersten Klasse: Sie lernen jeden Buchstaben einzeln.“

Wer nicht mitzieht, fliegt raus

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Was die Menschen, die in die Deutschstunden kommen, eint, ist die Tatsache, dass sie etwas lernen wollen. „Wer ein paarmal nicht erscheint, den schmeißen wir raus“, sagt Karin Thoma-Zimmermann. „So etwas haben wir nicht nötig. Wir machen das ja ehrenamtlich, bieten Materialien und dazu einen qualifizierten Unterricht.“

Sie weiß, dass nicht alle Menschen gleich sind. Sie hat gelernt, mit Rückschlägen umzugehen. Als Lehrerin, aber auch als Frau im Ehrenamt. „Letztlich“, sagt sie, „können wir nur Angebote machen. Wir haben ja mit erwachsenen Menschen zu tun, die für sich selbst verantwortlich sind.“

Rückschläge können auch Tage sein, an denen einer derer, um die sich das Team gekümmert hat, das Land verlassen muss. „Anfangs hat mich das sehr mitgenommen. Uns ist ja auch klar, dass nicht jeder, der nach Deutschland kommt, hier auch leben kann. Aber die Verfahren dauern viel zu lange. Die Menschen werden in Wohnungen untergebracht und man weckt Hoffnungen“, sagt Karin Thoma-Zimmermann, „dann werden sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt und man interessiert sich nicht mehr dafür, was aus ihnen wird.“

Lernen über die deutsche Bürokratie

Es sind die letzten Meter bis zum Parkplatz. Den Drei-Türme-Weg haben wir verlassen. Eine Brücke führt hinüber über den Bach. Vorbei am Wildgehege, wo Cassie Blickkontakt mit einem Hirsch aufnimmt.

Die Flüchtlinge lernen, aber auch Karin Thoma-Zimmermann, die ehemalige Lehrerin, lernt. Das Meiste über die deutsche Bürokratie. „Bei allem muss man festhalten: Die Ausländerbehörde in Hagen ist schon sehr kooperativ. Aber was die Flüchtlinge, die ja zum Teil nicht einmal lesen können, an amtlichen Schreiben bekommen – das ist ein Witz.“ Auch hier sind die Helfer gefordert. Sie übersetzen Amts- in normales Deutsch. Sie vermitteln, und sie begleiten bei Behördengängen.

Cassie trottet die letzten Schritte bis zum Auto. Kofferraum auf, ein großer Satz, Hund drin. Klappe zu.