Wehringhausen. . Seit 60 Jahren gibt es den Kegelclub Namenlos“, in dem ehemalige und aktuelle Führungskräfte der Firma Varta bzw. Hawker zusammen sind.
- Im Kegelclub „Namenlos“ sind seit 60 Jahren Varta-Führungskräfte vereint
- Die Accu war eine bedeutende Firma und stellte für die Mitarbeiter ein eigenes Universum dar
- Im Accu-Universum gab es Tragödien, aber auch Zusammenhalt und Stolz
Dieser Kegelclub ist ein Stück Stadtgeschichte. Er reicht zurück in eine Zeit, in der es im Vereinshaus St. Michael keine elektrische Kegelbahn gab, sondern ein Kegeljunge die Pinne aufstellte. Eine Zeit, in der noch Verzehrzwang herrschte und Ärger mit dem Wirt bekam, wer beim Kegeln nicht ausreichend aß und trank.
Und eigentlich geht es in diesem Kegelclub gar nicht ums Kegeln, das Kegeln ist hier Nebensache. Manchmal sitzen die Männer einfach am Tisch und erzählen sich die alten Geschichten und merken gar nicht, wie die Minuten verrinnen und dass schon lange niemand mehr aufgestanden ist und eine Kugel auf die Bahn geschoben hat, so sehr nimmt die Erinnerung sie gefangen. Sie sind stolz darauf, Accuraner zu sein. Accuraner bleibt man ein Leben lang, auch wenn sich die heutige Generation nicht mehr mit diesem Namen identifizieren kann. „Aber ich empfand es als Ehre, in dieser Firma eine Anstellung erhalten zu haben“, berichtet Richard Brüning (87).
Brüning gehörte vor 60 Jahren zu den Gründern des Kegelclubs „Namenlos“, in dem sich ehemalige Führungskräfte der Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller (AFA) resp. Varta resp. Hawker zusammengefunden haben. Diese Firma, die zu ihren Glanzzeiten 4000 Menschen beschäftigte, hat die Stadt Hagen wie kaum ein zweites Unternehmen geprägt und natürlich erst recht die Menschen, die hier arbeiteten. Wer hier tätig war, lebte in einem eigenen Universum.
Schuster, Schneider und Sattler
Denn die Accu bestand nicht bloß aus der Gießerei, der Gummifabrik, der Schmiede und all den anderen Betriebseinheiten, die für die Herstellung von Batterien notwendig waren. Es gab eine Wäscherei, einen Schuster, einen Schneider und sogar einen Sattler für die Riemenantriebe. „Es gab jedes Handwerk, das man sich denken kann“, erinnert sich Berthold Filmar (62). Wir befinden uns jetzt in den 50er, 60er Jahren, der Zweite Weltkrieg war vorüber und die Industriestadt Hagen boomte. Die Varta – diese Markenbezeichnung löste den Firmennamen AFA 1962 offiziell ab – machte satte Gewinne mit der Herstellung von U-Boot-Batterien, das wirtschaftliche Leben explodierte.
Echte Malocher
Mittendrin Peter Klinkhammer (92) aus der Eifel, ursprünglich Angestellter der Bohrmaschinenfabrik Gerhards aus Mechernich. Die Varta schluckte die Firma und Klinkhammer war plötzlich Hagener: „Da bin ich mit anderen Gerhards-Leuten zum Kegeln gegangen.“ Und weil sich die Herren nicht auf einen Namen für den Club einigen konnten, wurde er „Namenlos“ getauft.
Die Arbeiter bei der Accu waren echte Malocher, die mit bloß Händen bis zu 100 Kilo schwere Werkzeuge in Pressen schoben, an 400 Grad heißen Gießmaschinen schwitzten und kochendes Blei mit einer riesigen Schöpfkelle aus dem Schmelztiegel in eine Form gossen. Umweltauflagen kannte man früher nicht. Und mit dem Arbeitsschutz war es auch so eine Sache, obwohl die Varta schon damals einen eigenen Werksarzt beschäftigte, den bei den Accuranern unvergessenen Medizinalrat Scheulen.
Es gab grässliche Unfälle, etwa als eines Morgens zwei Gabelstaplerfahrer die Einfahrt zum Ladeschuppen verpassten, beim Wenden mit ihrem Gefährt umkippten und unter eine tonnenschwere Batterie gerieten. Beide wurden schwer verletzt, der eine konnte nie wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Oder jener Tag, an dem bei der Vulkanisierung eines Gummiabscheiders entstandene, hochgiftige Gase durch einen trockengefallenen Siphon in eine Toilette vordrangen, wo eine Arbeiterin das tödliche Gemisch einatmete.
Zusammenhalt und Stolz
Im Accu-Universum gab es Tragödien, aber auch Zusammenhalt und Stolz. Ja, es sei eine herrliche Zeit gewesen, sagt Albert Hoppe (79), ehemals Vorarbeiter in der Gummifabrik, und er sei froh, nicht in der heutigen Zeit berufstätig zu sein, in dieser Zeit verdichteter Arbeitsabläufe, Rationalisierungen und Synergieeffekte. Früher gab es den Firmensport, ganze Abteilungen traten beim Fußball oder Tischtennis gegeneinander an und die Lehrlinge fertigten Weihnachtsstücke wie ein Gokart oder eine Garderobe, die im Speisesaal ausgestellt wurden.
Gleichwohl sei die Kollegialität auch heutzutage bei Hawker sehr gut, sagt Mladen Visic (53), jüngstes Mitglied im Kegelclub, der vor 37 Jahren seine Ausbildung als Werkzeugmacher begann und mittlerweile zum Leiter der Personalentwicklung aufgestiegen ist. Es kam für ihn nie in Frage, zu einer anderen Firma zu wechseln. Accuraner, auch wenn sich heute nur noch wenige so nennen, bleibt man ein Leben lang.
>>Hintergrund: 130 Jahre Firmengeschichte
Die AFA wurde 1887 in Wehringhausen von Adolph Müller gegründet. Das Unternehmen stellte Bleiakkumulatoren her.
Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte die Firma bereits 4000 Mitarbeiter. In den 20er Jahren übernahm Günter Quandt die Aktienmehrheit.
Das Nachfolgeunternehmen Hawker produziert noch heute U-Boot-batterien in Wehringhausen. Geschäftsführer ist Magnus Becker.