Hagen. Warum Frauen bei der Karriere ausgebremst werden: Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Weibler über Helden, die Kraft historischer Modelle und die Quote
- Warum Frauen bei der Karriere ausgebremst werden
- Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Weibler über Helden, die Kraft historischer Modelle und die Quote
- „Es gibt keinen weiblichen Führungsstil“
- Warum Frauen bei der Karriere ausgebremst werden
- Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Weibler über Helden, die Kraft historischer Modelle und die Quote
- „Es gibt keinen weiblichen Führungsstil“
Ein altes Thema ist zurück in der öffentlichen Debatte: Sexismus. Ob in der Berliner CDU oder im US-Wahlkampf – der Umgang zwischen den Geschlechtern prägt den Kampf um Karrieren. Jürgen Weibler, Professor für Betriebswirtschaf, insbes. Personalführung an der Fernuniversität Hagen, hat sich mit der Führungssituation von Frauen in einem neuen E-Book („Frauen als Fremdkörper im Management?“) auseinandergesetzt. Ganz grundsätzlich. Und direkten, aggressiven Sexismus sieht er dabei nur als einen Teil des Problems.
Haben wir denn überhaupt ein Problem? Mit einer Bundeskanzlerin, Ministerpräsidentinnen und prominenten Unternehmerinnen?
Jürgen Weibler: Diese Beispiele sind nicht typisch. Frauen sind in Führungspositionen dramatisch unterrepräsentiert. „Frausein“ ist für den Aufstieg ins Topmanagement eine Risikokategorie. In den 30 Dax-Unternehmen sind alle Vorstandsvorsitzenden männlich. In MDax-, TecDax- oder SDax-Unternehmen sieht es kaum besser aus. Wenn es weitergeht wie in den vergangenen zehn Jahren, dauert es noch 86 Jahre, bis genauso viele Frauen wie Männer im Vorstand der Top-200-Unternehmen sitzen.
Vielleicht wollen Frauen weniger dringend Chef werden.
Die Grundbereitschaft zu führen, differiert zwischen den Geschlechtern empirischen Studien zufolge kaum. Der unbedingte Wille ist bei Männern etwas höher ausgeprägt, Frauen gewichten Hemmnisse höher. Ich sehe grundsätzlich auch keine Notwendigkeit für eine totale Gleichheit auf allen Ebenen. Aber dort, wo Frauen arbeiten, müssen sie die gleichberechtigte Chance haben aufzusteigen.
Und das wird verhindert?
Männer haben einen genderbezogenen Vorteil. Der besteht aus einem subtilen Geflecht an kulturell und historisch verankerten, aber leider verzerrten Modellen von Führung. Das speist sich aus den großen Erzählungen, den Heldenreisen in Märchen, Berichten von Herrschergeschlechtern, Militärs und Forschern und führt zur unterschwelligen Vorstellung, dass nur dem Mann einseitig zugeschriebene Fähigkeiten zur Ausübung von Führungspositionen taugen. Dieser Mythos besitzt eine gewaltige Kraft. Führung ist deshalb vorwiegend männlich definiert. Das hat natürlich auch sehr viel mit Machterhalt zu tun.
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Dagegen kommen Frauen nicht an?
Sie erleben eine Diskrepanz zwischen dem gesellschaftlich vermittelten Frauenbild und dem erwarteten Führungsbild. Das zeigt die von mir durchgeführte Studie mit zahlreichen Situationsbeschreibungen sehr anschaulich. Frauen müssen ständig ihre Leistungsfähigkeit beweisen, Männern wird Potenzial unterstellt. Frauen sind gezwungen, ihre Weiblichkeit in den Hintergrund zu stellen, während Männer durch Körperpräsenz Kraft und Dominanz transportieren können.
Führen Frauen, wenn sie die Chance bekommen, denn anders?
Führungsstile differieren individuell unter Männern und Frauen stärker als zwischen den Geschlechtern. Frauen sind automatisch keine besseren Führungskräfte. Warum sollten sie es sein?
Es gibt also keinen weiblichen Führungsstil?
Diese beliebte Aussage ist Ausfluss von Geschlechterstereotypen und aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. Ob rein weibliche oder gemischte Führungsteams erfolgreicher sind als rein männliche, ist ohne gesicherten Beleg und nicht zu erwarten. Abgesehen davon sollte ökonomische Logik kein Ersatz für die gesetzliche verankerte und moralische Forderung nach Chancengleichheit sein.
Wie wäre Chancengleichheit denn zu schaffen?
Der Wunsch nach Teilzeit oder flexibler Arbeitszeitgestaltung darf nicht zu schlechteren Arbeitsbewertungen und zum Ausschluss von Führungspositionen führen. Frauen dürfen nicht als „fremd“ oder „anders“ behandelt werden. Spezielle Angebote für sie sind faktisch kontraproduktiv. Hierzu gehört auch die, wie ich sie nenne, Diversitätsfalle. Themen wie Familie, Kindererziehung oder Versorgung im Krankheitsfall sind strikt vom Thema Frauen zu trennen. In Skandinavien funktioniert das besser.
Was ist mit der Quote?
Ich war lange skeptisch, aus prinzipiellen Gründen. Aber wenn ich mir die Historie anschaue und die heutige Situation, in der gleichtalentierte Frauen überproportional nicht zum Zuge kommen, scheint mir eine Gleichstellungsquote mit Augenmaß der richtige Schritt. Ob es klug war, als ersten Schritt die Aufsichtsräte ins Visier zu nehmen, lasse ich hier dahingestellt.
Was heißt „mit Augenmaß“?
Wenn in einem Unternehmen 15 Prozent Frauen arbeiten, müssten sie selbst bei Wahrung strikter Chancengleichheit und unterstellter gleicher Qualifikation nicht zwangsweise 50 Prozent der Leitungspositionen stellen. Vielmehr muss der Ist-Anteil weiblicher Beschäftigter einer Ebene mit der Soll-Quote der darüber liegenden Karrierestufe im Kern korrespondieren. Gleiche Qualifikationen vorausgesetzt. Ausschläge sind temporär möglich, das macht die Sache flexibler, in der Übergangszeit im Falle eines Nachholbedarfs wohl eher zugunsten von Frauen. Falls, ich glaube das aber außerhalb von Einzelfällen nicht, über geringere Einstellungsraten von Frauen das Modell torpediert werden sollte, müssten Mindestquoten hinzutreten. Und die Quote bräuchte nur vorübergehend gelten. Es wird sich zeigen, dass eine veränderte Situation mit der Zeit als normal erlebt wird. Das ist die normative Kraft des dann Faktischen. Natürlich könnte es temporär neue Ungerechtigkeiten zulasten männlicher Bewerber geben. Doch das ist eine ethische und politisch zu entscheidende Güterabwägung: Es sollte nicht immer das gleiche Geschlecht zurückstecken müssen.
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