Bayreuth. Der Hagener Regisseur Jan Philipp Gloger interpretiert Wagners “Fliegenden Holländer“ aus Perspektive der globalen Getriebenheit nach Macht und Geld.

Der Strichcode schnappt zu wie eine Monsterfalle. Er verschlingt alle, die seinem Gesetz der Gier auf den Leim gehen. Wagners Geisterkapitän ist die Krake in diesem schmierigen Netz. Um da wieder herauszukommen, braucht er Werte, die in seinem Milieu nichts gelten und deshalb auch nicht zu finden sind. Zum Beispiel Treue. Der Hagener Regisseur Jan Philipp Gloger interpretiert in Bayreuth Wagners "Fliegenden Holländer" aus Perspektive der globalen Getriebenheit nach Macht und Geld. Bei der Premiere gab es reichlich Beifall dafür, nur für den Holländer selbst und den Erik hörte man vereinzelte Buhrufe.

Stets den Abgrund unter den Füßen

Glogers Inszenierung läuft jetzt im fünften Jahr auf dem Grünen Hügel, und er hat mit seinem Bühnenbildner Christof Hetzer die Möglichkeiten der Werkstatt Bayreuth konsequent genutzt, um seine Interpretation immer stärker zu fokussieren. So prägt eine allverschlingende ölige Schwärze die Bildsymbolik. Das ist die Farbe der gigantischen Datenwand und des furchterregenden Spiegelbodens, der für das Meer steht. Die Protagonisten haben stets den Abgrund unter den Füßen.

Gloger und Hetzer gelingt eine aufsehenerregende Verwandlung vom ersten zum zweiten Akt. Die Matrosen schleppen ein überdimensionales Segel aus dem Hintergrund. Das entpuppt sich als Insel, auf der Dalands Südwind-AG ihre Ventilatoren abpackt und verschifft. Denn wo der Holländer eine Krake ist, bleibt Daland ein kleiner Fisch im Teich, bis er die Chance kriegt, seine Tochter zu verkaufen.

Gefangen im Strichcode

Das Liebespaar kann, gefangen im Strichcode, nur einen kurzen Traum miteinander teilen. Doch wirklich nahe kommen sich die beiden nicht. Senta hat sich schon so lange ein Bild von ihrem Traummann zurechtgeschnitzt, der Holländer eine Phantasie von der Traumfrau im Kopf. Beim Realitätstest versagen beide.

Präzise Personenzeichnung gehört zur Handschrift von Jan Philipp Gloger. Da zählen gerade die Details, etwa, wenn Daland sich betulich die Hosenbeine hochzieht, um über den Spiegelboden zum Holländer zu waten, ein Schritt in gefährliche Gewässer. Bass Peter Rose legt diesen Geschaftlhuber mit jovialen stimmlichen Arabesken als spießigen Unternehmerpatriarchen an, bei dem stets in den Augenwinkeln lauert, dass er auch anders kann. Seine rechte Hand ist der Steuermann, und Benjamin Bruns singt diese Partie mit so feinem Tenor, dass er mit diesem "Holländer" eine großartige Karriere gemacht hat. Bariton Thomas J. Mayer war schon als Telramund im Bayreuther Neuenfels-"Lohengrin" zu hören. Als Holländer hat er sich noch nicht freigesungen, hier vermisst man eine stimmliche Balance zwischen dämonisch und verführerisch. Andreas Schager ist als Erik ein gescheiterter Intellektueller, der zu schlau ist, um zu begreifen, dass Senta nichts von ihm will. Diese unmögliche Leidenschaft vertritt er nicht nur mit der Silikonpistole, sondern auch mit einem Tenor, der oft zu schluchzend ist.

Zwei Seiten einer Medaille

Ricarda Merbeth hingegen, die wunderbare Senta, verströmt ihre Gefühle mit rückhaltlos eingesetztem Sopran, in dessen Glanzlichtern immer eine silbrige Spur von Wahnsinn flackert.

Daland-Chor und Holländer-Chor bilden stimmgewaltig zwei Seiten einer Medaille. Wenn die Daland-Männer nicht aufpassen, werden sie enden wie die untoten Holländer-Männer, kleine Klone im Dienste der großen Gier, mit schwarz-öligen Geschwulsten gezeichnet vom Fluch des allverschlingenden Strichcode-Ozeans. Der Düsseldorfer GMD Axel Kober nimmt Wagners flotteste Partitur im Vorspiel mit fast aggressiver Ruppigkeit und setzt die Senta-Motive extrem davon ab. Im Verlauf lässt Kober das Orchester dann aber doch sinnlicher klingen und am Schluss sogar aufblühen.

Zu den Stärken der Inszenierung von Jan Philipp Gloger gehört ihre Musikalität und die genaue Übersetzung der musikalischen Bewegungen in Psychogramme. So erweist sich der Liebestod Sentas denn auch als sinnlos. Denn die Südwind-AG schlägt sofort Kapital aus der Tragödie und verlegt ihre Produktion auf kitschige Leuchten des im Tode vereinten Paares.