Hagen. . Nicole Steller hat ein fünftes Abiturfach belegt – einen Dokumentarfilm über das Junge Orchester NRW, an dem die Schülerin des Hildegardis-Gymnasiums zwei Jahre lang gearbeitet hat.
- Nicole Steller belegt an der Hilde fünftes Abifach
- Schülerin dreht Film über Orchesterarbeit
- Arbeit wird als besondere Lernleistung eingestuft
Als erstes Abifach hat sie Sozialwissenschaften gewählt. Als zweites Mathe. Deutsche ist das dritte Fach, Physik das vierte. Das fünfte aber ist ein Dokumentarfilm über das Junge Orchester NRW, an dem Nicole Steller (18) zwei Jahre lang gearbeitet hat und den sie als Krönung ihrer Reifeprüfung der Prüfungskommission des Hildegardis-Gymnasiums zur Benotung vorstellt: „Ich hatte eine Vision, und diese Vision wollte ich Wirklichkeit werden lassen“, sagt die junge Frau, die zwei hervorstechende Charaktereigenschaften in sich vereinigt: Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit.
Besondere Lernleistung
Aber besteht das deutsche Abitur denn nicht aus zwei Haupt- und zwei Nebenfächern, was hat es denn mit dem fünften Fach auf sich? In Nordrhein-Westfalen haben angehende Abiturienten tatsächlich die Chance, ihren Fächerkanon um eine besondere Lernleistung zu erweitern, die wie ein fünftes Abiturfach gewertet wird. Dabei kann es sich um die Teilnahme an einem Wettbewerb oder Projekt handeln. „Die meisten Schüler wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt“, berichtet Michael Schultheiß, Musiklehrer an der Hildegardis-Schule: „Das Thema muss einem schon am Herzen liegen und man muss bereit sein, es über einen längeren Zeitraum zu verfolgen.“
Es sind nicht viele Schüler, die diese zusätzliche Belastung auf sich nehmen, Nicole Steller ist eine Ausnahme. Seit 2014 hat sie die Arbeit des Jungen Orchesters NRW begleitet und mit der Kamera dokumentiert, herausgekommen ist ein 15-minütiger Film, der die Entwicklung des Orchesters vom Probenbeginn bis zum letzten Paukenschlag des Konzertes, Beethovens neunter Sinfonie in der historischen Stadthalle Wuppertal, zeigt. „Ich wusste von Anfang an, wie der Film aussehen soll“, kommt Nicole auf ihre Vision zurück: „Dennoch hatte ich zwischenzeitlich unglaubliche Zweifel und war unglaublich nervös. Aber jetzt bin ich sehr glücklich.“
Während der Dreharbeiten vereinte die junge Frau alle Tätigkeiten, die an einem professionellen Filmset zahlreiche Mitarbeiter unter sich aufteilen, in ihrer Person: Sie war Kamerafrau, Toningenieurin, Regisseurin, Cutterin, Produzentin und Darstellerin. Denn Nicole taucht auch vor der Kamera auf, sie ist selbst Geigerin im Jungen Orchester. Und die Begeisterung, in diesem Ensemble mitspielen zu dürfen, habe denn auch die Euphorie in ihr geweckt, das Wirken der jungen Musiker in die Öffentlichkeit zu tragen: „Das ist es, was mich ausmacht. Ich bin ein musikalischer Mensch.“
Komplexe Aufführungsgeschichte
So ergab sich ein Schritt nach dem anderen. Natürlich hätte sie die Arbeit des Orchesters auch mit Fotos schildern können. Aber das wäre dem Sujet nicht gerecht geworden, die komplexe Aufführungsgeschichte konnte nur mittels eines Films authentisch dargestellt werden. Für den Zuseher mag der Film daher das Michael-Ende-Zitat „Jedes Konzert ist ein Atemzug“, das Nicole als Motto über ihr Werk gestellt hat, widerspiegeln.
Alle Fächer werden vierfach gewertet
Ob eine Arbeit als besondere Lernleistung und damit als fünftes Abiturfach zugelassen werden kann, entscheidet der Schulleiter in Abstimmung mit dem Fachlehrer.
Die Arbeit ist nach den Maßstäben für die Abiturprüfung zu korrigieren und zu bewerten.
In der Abiturprüfung werden die Ergebnisse in den vier Abiturfächern nicht fünf-, sondern vierfach und das fünfte Fach ebenfalls vierfach gewertet.
Doch die Dokumentation ist das Ergebnis von zwei Jahren unermüdlichen Schaffens, da die Schülerin anfangs keinen blassen Schimmer von der Materie hatte, sondern sich das Knowhow, das hinter jeder Sequenz steckt, hart erarbeiten musste. „Ich wusste gar nicht, mit wie wenig Schlaf der Mensch auskommen kann.“ Als bei einem ersten Konzert der von Nicole, die ja im Orchester saß, beauftragte Helfer vergaß, die Aufnahmetaste zu betätigen, drohte das gesamte Projekt zu scheitern. Glücklicherweise gab es eine zweite Aufführung in Wuppertal, bei der Nicoles Eltern den gewünschten Knopfdruck ausführten.
Gehen wir mal davon aus, dass Nicole Steller auch in den anderen noch vor ihr liegenden vier Abiprüfungen reüssiert, dann will sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Entwicklungsarbeit in Tansania leisten und anschließend Philosophie und Kulturreflexion an der Uni Witten/Herdecke studieren. Was es mit Kulturreflexion auf sich hat, das erscheint zunächst einmal als ebenso großes Rätsel wie das fünfte Abiturfach. Aber das passt ja zu Nicole Steller. . .