Hagen. . Zuletzt häuften sich Meldungen zu Unfällen von Zweiradfahrern. Redakteur Mike Fiebig hat den Hagener Stadtverkehr mit dem Roller getestet.
Ganz klar, der Typ mit dem tiefer gelegten BMW muss einen an der Murmel haben. Und zwar ganz kräftig. Er hat das Platzhirsch-und-Beeindrucker-Syndrom, das viele Fahrer solcher Karren haben, wenn ihre Freundin daneben sitzt, die das – so glaubt er – furchtbar doll freut, wenn ihr Liebster an der Ampel anfährt wie beim Großen Preis von Monaco. Aber findet sie das eigentlich auch toll, wenn Rambo leichtmotorisierten Rollerfahrern so dicht auffährt, dass man im Rückspiegel das Ablaufdatum der TÜV-Plakette lesen kann? Immer wieder haben wir zuletzt Meldungen von verunglückten Zweiradfahrern im Hagener Stadtgebiet veröffentlicht und deshalb entschieden: Es wird Zeit für einen Test.
Schutzlos und angreifbar
Wenn du das Auto gewohnt bist, dann ist Rollerfahren so, als wenn sie einer Schildkröte den Panzer wegnehmen. Du fühlst dich schutzlos, angreifbar. Eine Kurve, durch die du vielleicht sonst mit 40, 50 Sachen fährst, wird zum zögerlichen Eierlauf. Ein Spurwechsel auf dem Innenstadtring dauert trotz zweifachen Schulterblicks gefühlt eine Minute, weil man Angst hat, dass der nächste SUV heran rauscht und dich mitnimmt. Und wenn man nur gelegentlich mal auf einen Roller steigt, dann merkt man erstmal, dass die halbe Stadt auf diese großen Dinger abzufahren scheint. Hinzu kommt, dass man Geräusche um einen herum eigentlich gar nicht mehr wahrnimmt, weil der Roller so laut knattert, dass alle anderen Töne für das Ohr untergehen. Machen wir es kurz: Man muss schon Überzeugungstäter sein, wenn man auf einen Roller steigt.
Etwa 7500 Unfälle passieren jährlich auf Hagens Straßen. „Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung haben wir eine der höchsten Unfallhäufigkeiten in ganz NRW“, sagt Michael Hoffmann. Er ist Leiter der Direktion Verkehr bei der Hagener Polizei. „Die Zahl der Verletzten dabei ist aber unterdurchschnittlich niedrig.“ Was so viel heißt wie: Dass man auf Hagens Straßen in einen Unfall verwickelt wird, ist sehr wahrscheinlich. Dass aber Schlimmeres dabei passiert, hingegen nicht.
Spurwechsel wird gefährlich
Emilienplatz, Reihe eins. Es ist rot. Mein Ziel: Von Richtung Kegelcasino kommend über die Kreuzung fahren, auf die linke Spur wechseln und auf der nächsten Kreuzung (Ecke Rathausstraße) links Richtung Remberg abbiegen. Als Gelegenheits-Rollerfahrer sind das locker fünf Schulterblicke. Spurwechsel eins klappt nicht, weil man mich nicht rüber lässt. Hinter mir drängelt Rambo – Sie erinnern sich – so stark, dass leichtes Bremsen ausreichen würde, um auf seiner Motorhaube zu landen. Kurz vor der Berührung schert er aus, überholt mich und schneidet kurz vor mir wieder auf die Spur zurück. Im Rückspiegel zeigt er eine erregte Geste. Die Ampel vor uns, an der Kreuzung, wo ich eigentlich abbiegen wollte, wird rot. Ich habe es nicht rüber geschafft. Rambo und mich trennen trotzdem nur 30 Zentimeter. Wofür die wilde Fahrerei?
Im Jahr 2014 verunglückten 43 Personen mit einem motorisierten Zweirad in Hagen. Dazu 33 Fahrradfahrer. 2015 sind es bislang 32 Unfälle von Moped-Fahrern. 29 Fahrradfahrer verunglückten außerdem. Eine Aktion für mehr Sicherheit für Zweiradfahrer auf Hagens Straßen, die die Polizei 2012 mal ins Leben gerufen hatte, ist wieder eingeschlafen. „Auch, wenn die öffentliche Wahrnehmung anders ist. Das Problem drängt nicht mehr so sehr“, sagt Hoffmann. Oft seien die Zweiradfahrer selbst schuld, zum Teil aber auch nicht. Man wisse nicht genau, wo man präventionieren solle. „Die meisten Unfälle dieser Art sind Augenblick-Versagen. Nicht richtig abgebogen, nicht richtig aufgepasst und so weiter.“
Das mag stimmen. Und doch bleibt bei dieser Testfahrt der Eindruck hängen, dass man tatsächlich das Ende der Nahrungskette im Hagener Stadtverkehr bildet, wenn man auf einem Roller unterwegs ist.
Vorfahrt wird ständig genommen
In Halden gewährt man mir an zwei Stellen hintereinander keine Vorfahrt. Alle vor Roller statt rechts vor links. Im Vorhaller Kreisel: Hupkonzert und Drängeln, weil ich den „Berg“ Richtung Vorhalle natürlich nicht mit 60, sondern 25 oder 30 Stundenkilometern hochfahre. Und auf der Eckeseyer Straße bleibt mir nur, auf die Fahrbahnrinne auszuweichen, weil mir Drängler von hinten – und ich fahre 50 – das Gefühl geben, kein gleichwertiges Mitglied im Straßenverkehr zu sein.
Olaf Reh ist Rollerfahrer und Mitglied des Hagener Vespaclubs. Jeden Tag, so es das Wetter hergibt, fährt er von Breckerfeld mit dem Roller zur Arbeit nach Hagen. „Ja, es ist ein Problem in Hagen, dass man ständig übersehen wird. Dass einem die Vorfahrt genommen wird, passiert täglich. Es gibt aber auch noch eine andere Perspektive. Es gibt Roller, die haben 250 oder 300 Kubik. Wenn die losschießen, kann das auch zum gegenteiligen Effekt führen, so dass auch eine Gefahr für Autofahrer entstehen kann.“ Dann sind die Roller die Rambos.