Hagen. . Beethovens einzige Oper besticht in dieser Inszenierung dank der großen Stimmen. Doch die neue Textversion überzeugt nicht, weil sie nicht an die Kraft der Utopie glaubt.
„Fidelio“ ist das erste Menschheitsdrama der Musikgeschichte, eine Befreiungsoper, die auch nach 200 Jahren nichts von ihrer humanistischen Kraft verloren hat. Das Theater Hagen erklärt das populäre Stück jetzt allerdings zum Problemfall und will Beethovens einzige Oper mit einer neuen Textfassung vor sich selber retten. Das funktioniert nicht. Doch das Publikum feiert nach der Premiere mit Beifall im Stehen ein wirklich großartiges Ensemble und wunderbare Stimmen, die jedem großen Haus zur Ehre gereichen würden.
Die Autorin Jenny Erpenbeck hat die originalen Dialoge des „Fidelio“ durch einen Text ersetzt, in dem eine alte Leonore ihr Abenteuer als Rückblende erinnert. Seit der Uraufführung im österreichischen Klosterneuburg 2007 hat der hochliterarische Versuch es nicht auf eine deutsche Bühne geschafft. In Hagen wird klar, warum. Denn diese alte Leonore erklärt gleich zu Beginn die Utopie der Oper für gescheitert, ein erzähltechnisch ziemlich dämliches Verfahren. Warum soll sich das Publikum mit den Protagonisten identifizieren, wenn ständig eine abgetakelte Alte dazwischen geht und deren Hoffen und Bangen denunziert?
Das Private wird politisch
Dazu kommt, dass man die Schauspielerin Harriet Kracht nicht gut versteht und dass sie diese Rolle mit zu viel Pathos auflädt. Anstatt eine spannende Geschichte lebendig zu machen, stülpt Regisseur Gregor Horres also eine viel zu komplizierte Meta-Erzählung darüber. Damit wird jeder Besucher allein gelassen, der den Inhalt von „Fidelio“ nicht bestens kennt.
Der neuen Fassung liegt ein grundsätzlicher Denkfehler bezüglich des Politischen und des Privaten zugrunde. Für Beethoven und die Zeit der französischen Revolution ist das Private existenziell politisch. Denn die Gattenliebe gehört zum moralischen Rüstzeug des Bürgertums gegen die Herrschsucht des Adels mit seinen übergriffigen Sexualpraktiken.
Der Hagener Bassbariton Rainer Zaun legt diesen Konflikt bewegend mit seinem Rocco offen. Der Kerkermeister ist als Angestellter ein Vertreter der neuen bürgerlichen Schicht. Er muss für Geld Befehle befolgen, doch er bringt es nicht über sich, den inhaftierten Florestan zu ermorden. Und er will seiner Tochter unbedingt ein kleines Glück sichern. Zaun kann mit seiner wandlungsfähigen Stimme diesen widersprüchlichen Gefühlen Ausdruck geben, dem Verschlagenen und dem Barmherzigen, mit denen Rocco sich auf dem schmalen Grat zwischen Gewissen und Gehorsam durchwurstelt.
Kalte graue Herrschaftsarchitektur
Hagens Bühnenbildner Jan Bammes stellt die Handlung in eine kalte graue Herrschaftsarchitektur. Das ist eine bildgewordene Maschinerie der Macht, ein Angstraum. Er braucht keine Zellen, hier kommt ohnehin keiner wieder raus. Das wissen auch die Herren des Opernchores bei ihrem verzweifelten Gefangenenlied. Den Vorhang und die Knastbekleidung prägt ein schmaler schwarzer Streifen: das höhnische Symbol einer Tür, die viel zu schmal ist, als dass sie einen Fluchtweg bieten könnte.
Darin wagt Leonore das Unmögliche. Sie verkleidet sich als Mann, um Florestan zu befreien. Sabine Hogrefe singt sich im Wärter-
Overall durch die ganze Skala des verzweifelten Mutes, der zu diesem wahnwitzigen Unternehmen gehört. Die hervorragende Sopranistin ist bei der Premiere ein wenig angeschlagen, aber sie kann dennoch die Sprachlosigkeit des Entsetzens und das leidenschaftliche Glühen der Sehnsucht hörbar machen. Rolf A. Scheider ist als Pizarro ein geschmeidiger Apparatschik, der mit elegantem lyrischen Bassbariton den Tod bringt. Sopranistin Maria Klier bezaubert als herzerfrischende Marzelline, und Kejia Xiong lässt mit seinem schönen lyrischen Tenor aufhorchen.
Oper Fidelio in Hagen
Die Geburt des Heldentenors
Mit Beethovens Florestan wird der deutsche Heldentenor geboren. Der junge Amerikaner Richard Furman ist auch optisch wie geschaffen für diese Partie. Und er hat die Leuchtkraft, den Glanz und die Farbe, Florestan, den gequälten Streiter für die Wahrheit, menschlich werden zu lassen.
Ob Regisseur Horres am Ende wirklich glücklich mit der gewählten Textfassung ist, darf bezweifelt werden. Denn die zwingt ihm ein Finale auf, das geradezu grotesk karikierend gegen die Partitur steht. Hier verliert sich alle Erlösung in der Arroganz und der Austauschbarkeit des Establishments.
GMD Prof. Florian Ludwig spielt mit den Hagener Philharmonikern tapfer gegen den Utopie-Verlust auf der Bühne an. Er bringt das Ideendrama farbenreich zum Klingen, mit den Zwischentönen, den exquisiten Holzbläsersoli und dem prallen Elan der Revolutionsmusik. So entsteht jener gleichsam an die ganze Menschheit gerichtete sinfonische Appell, mit dem Beethoven eine neue Sprachmacht der Musik einläutet.
Karten und Termine: www.theaterhagen.de