Kierspe. . Wenn sich kein Angehöriger findet, erbt das Land Grundstücke, Immobilien – oder eine halbe Brücke. Die Kosten sind hoch, das Plus am Ende aber höher.

Wenn es wenigstens wirklich, wie gemeldet, eine halbe Brücke wäre. Damit kann man bekanntlich Weltruhm erlangen. Und dazu eine Menge Geld verdienen: Fünf Euro verlangt man in Avignon von jedem Erwachsenen, der auf die berühmte Brücke treten möchte, die mitten in der Rhone endet.

Doch das Land Nordrhein-Westfalen hat nur die Hälfte einer Brücke geerbt. Und damit nichts gewonnen als Kosten. Die Brücke führt im Kiersper Ortsteil „In der Grüne“ vom einen Ufer der Volme ans andere – und ist für die Bewohner zweier Häuser der einzige Weg zur B 54 und aus dem Tal heraus.

1100 Erbschaften

Seit 2010 ist das Land Besitzer des Grundstücks am östlichen Ufer – und damit der Hälfte der Brücke. Nachdem der Vorbesitzer gestorben war, schlugen die Angehörigen den Nachlass aus. In einem solchen Fall erbt NRW. Auch wenn es gar keine Angehörigen gibt, tritt das Land Erbschaften an. Und zwar immer öfter: Waren es 2001 landesweit noch 96 Erbschaften, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 1100 Fälle an. Denn der Anteil älterer Menschen ohne Nachfahren steigt – ebenso wie die Zahl derjenigen, die einen Nachlass gar nicht haben wollen, weil er mit Schulden belastet ist.

Ein Glücksfall also ist das Erbe für NRW und die in Südwestfalen zuständige Arnsberger Bezirksregierung nicht immer. Wie auch im Fall der maroden Kiersper Brücke. Im Gegensatz zu Privatleuten müsse das Land jedoch sein Erbe antreten, so Christian Chmel-Menges, Sprecher der Bezirksregierung. Für geerbte Liegenschaften gilt: Die Verkehrssicherungspflicht liegt beim Land – auch für die halbe Brücke in Kierspe. Am Ende sogar für die ganze. Denn die andere Hälfte gehört zum Eigentum eines Unternehmens am westlichen Ufer, das bereits vor Jahren insolvent gegangen ist und für eine Sanierung nicht aufkommen konnte.

Auszug keine Lösung

Diese allerdings ließ sich im August 2011 nicht mehr aufschieben. Damals wurde die hundert Jahre alte Brücke vom Kreis für nicht mehr tragfähig erklärt und für Fahrzeuge gesperrt. Zu einem Zeitpunkt, als Familie Brescia, die eines der beiden Häuser bewohnt, in Italien Urlaub machte. Mitten in der Nacht aus dem Süden zurückgekommen, mussten Nadja Brescia und ihr Mann das Auto an der B 54 stehen lassen, dann die beiden schlafenden Kinder und die schweren Koffer zu Fuß über die Brücke und die 150 Meter bis zum Haus tragen. Da war Nadja Brescia mit dem dritten Kind schwanger.

Von da an schleppten die Eltern alle Einkäufe über die Brücke. Bald darauf auch den Maxi-Cosi mit dem Baby. Und im Winter kanisterweise Heizöl. Dabei hatten die Brescias, wie auch das Senioren-Ehepaar nebenan Glück: Eigentlich hatte der Kreis sie aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen, weil weder Feuerwehr noch Rettungswagen im Ernstfall über die Brücke gelangen konnten, erzählt Nadja Brescia. Ausziehen und verkaufen – das war jedoch keine Lösung. „Wer kauft schon ein Haus, das nicht zu erreichen ist?“, fragt Nadja Brescia.

83 000 Euro Kosten

Nachdem die Familie den Petitionsausschuss des Landtags angerufen hatte, sprang das Land ein, übernahm die komplette Sanierung beider Brückenhälften in Höhe von 83 000 Euro. Mittlerweile ist die Brücke wieder befahrbar.

Ein Verlustgeschäft ist das Erbe dennoch nicht – auch wenn man kein Wegegeld wie in Avignon für die halbe Brücke nehmen kann. „Unter dem Strich macht das Land mit solchen Erbschaften im Regierungsbezirk ein Plus“, so Christian Chmel-Menges. 2014 nahm man mit 311 Erbschaften annähernd 1,3 Millionen Euro ein. Die Ausgaben lagen dagegen bei 480 000 Euro.