Hagen. . Langweilige Reden und ermüdende Höflichkeitsfloskeln? Das sind oft Zutaten hoch offizieller Treffen. Doch nicht so bei der SIHK-Jahresveranstaltung im Stadttheater.

Langweilige Reden und ermüdende Höflichkeitsfloskeln? Das sind oft Zutaten hoch offizieller Treffen. Doch nicht so bei der SIHK-Jahresveranstaltung im Stadttheater. Da gab es vielmehr ein Rededuell zwischen SIHK-Präsident Harald Rutenbeck und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Von Respekt geprägt – aber mit deutlichen Worten und unterschiedlichen Positionen.

Der SIHK-Präsident las zwar vom Blatt ab, bezog aber deutlich Position und kritisierte ganz direkt die SPD und die Große Koalition. Soziale Wohltaten als „Wahlgeschenke“ habe man verteilt, Impulse für die Wirtschaft dagegen fehlten. Wirtschaftsminister Gabriel parierte - und zwar ausführlich. Mehr als eine Stunde redete er frei – ohne ein Blatt Papier vor sich („Ich habe meine Rede unten gelassen, ich antworte lieber Ihrem Präsidenten“). Das Publikum dankte es ihm. Und obwohl die Wirtschaftsvertreter sicherlich viele Aussagen des SPD-Chefs zu Mindestlohn oder Rente mit 63 Jahren nicht teilen mochten: der Applaus wuchs beständig im Laufe der Rede – so wie Gabriel es schon am Anfang prophezeit hatte.

Auf den Redner kommt es also an. Das weiß die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer genau. Und deshalb gibt es jedes Jahr große Bemühungen, einen prominenten Gast zu bekommen. Bei Gabriel ging die Rechnung auf: 1300 Anmeldungen gab es im Vorfeld – 300 mehr als im Jahr zuvor.

Kanzler Erhardt im zweiten Anlauf

So ein Vizekanzler wie Gabriel ist aber auch schon protokollarisch sehr hoch anzusiedeln. Doch über ihm stehen noch einige andere Politiker in der Rangliste derer, die in den vergangenen 65 Jahren Gastredner waren. Das zeigt der Blick in die Geschichte des Treffens, das zu einem Hochfest der regionalen Wirtschaft geworden ist.

Mit einem Vizekanzler fing es übrigens auch einmal an. Franz ­Blücher (FDP), Stellvertreter ­Konrad Adenauers, war im Jahr 1949 der erste prominente Redner. Der ranghöchste Gast war allerdings im Jahr 2009 Bundestagspräsident Norbert Lammert – protokollarisch die Nummer drei im Staat nach dem Bundespräsidenten und dem Bundesratspräsidenten.

Seit 1960 immer im Hagener Stadttheater

Die Jahresveranstaltung der SIHK hat ihren Ursprung in der Vollversammlung des Jahres 1949. Veranstaltungsort war das Hotel Märkischer Hof in Altena. In den Anfangsjahren fand sie auch in der Aula der Kaufmannsschule Hagen oder der Schützenhalle Lüdenscheid statt.

Seit 1960 findet die SIHK-Jahresveranstaltung stets im Hagener Stadttheater statt. Logistisch spricht vieles für die Volmestadt: Theater und SIHK-Hauptgeschäftsstelle liegen i n fußläufiger Entfernung. Und Hagen ist aus dem Märkischen Kreis und dem EN-Kreis gut zu erreichen.

Dahinter muss sich sogar ein leibhaftiger Bundeskanzler einreihen. Den gab es auch schon in Hagen: Ludwig Erhardt, der Vater des Wirtschaftswunders, war 1964 Festredner – nachdem er im Jahr zuvor kurzfristig absagen musste. Sowohl Alt-Bundespräsident Theodor Heuss als auch der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer waren verstorben. Der Kanzler blieb wegen der Trauerfeiern in Bonn.

Und wenn man einmal über die SIHK-Jahrestreffen hinaus blickt, dann war auch ein „erster Mann des Staats“ schon Gast der SIHK: Bundespräsident Roman Herzog kam am 18. Oktober 1994 zum 150-jährigen Jubiläum der Kammer.

Kurz nach Spiegel-Affäre in Hagen

Doch die Rangfolge im Protokoll hat nicht automatisch etwas mit der Besucherresonanz zu tun. Der wahrscheinlich populärste Gast in der Geschichte war Franz Josef Strauß im Jahr 1962. Der CSU-Vorsitzende hatte wenige Tage zuvor im Zuge der Spiegel-Affäre sein Amt als Bundesverteidigungsminister räumen müssen. In Hagen wollten ihn dann mehr als 2220 Besucher am 11. Dezember 1962 sehen. Der Andrang war so groß, dass das Stadttheater nicht alle Besucher fassen konnte und eine Bild- und Tonübertragung im benachbarten Capitol-Kino durchgeführt wurde. Das schafft auch kein Sigmar Gabriel.

An die hochrangigen Festredner zu gelangen, ist in jedem Jahr eine Herausforderung. „In den Anfangsjahren lief die Ansprache des Festredners über SIHK-Präsident Fritz Berg. Als langjähriger Präsident des Bundesverbandes der Industrie hatte er beste Kontakte zu den Politikern in Bonn bis hin zum Kabinett und dem Bundeskanzler“, weiß SIHK-Hauptgeschäftsführer Hans-Peter Rapp-Frick.

Heute ist die Ausgangssituation völlig anders. Festredner sind weiter führende Politiker, die in Absprache zwischen Präsident und Hauptgeschäftsführer ausgesucht werden. „Die Kontakte stellen heute in den meisten Fällen die heimischen Abgeordneten her. Wie man an der Rednerliste der letzten Jahre sieht, sehr erfolgreich“, sagt SIHK-Präsident Harald Rutenbeck.

Ein Forum für Austausch und Gespräche

Und so ist es bislang fast immer gelungen, einen Prominenten zu finden – lediglich zwei Lücken gibt es: Der schon erwähnte Ausfall von Ludwig Erhardt 1963. Und die ­Absage des legendären Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter, im Jahr 1951. Die gesamte Veranstaltung wurde damals abgesagt – ein Einzelfall in den vergangenen 65 Jahren.

Generell in Frage gestellt wird sie ohnehin nicht: „Die Jahresveranstaltung der SIHK ist keine Show, sondern ein Forum für Austausch und Gespräche zwischen Unternehmern, Politikern und der Spitze der Verwaltung“, so Hans-Peter Rapp-Frick.