Ennepetal/Hagen. Der als „zweiter Rewe-Räuber“ verhaftete Ennepetaler ist wieder auf freiem Fuß. Saß er womöglich unschuldig in U-Haft?
Saß ein Unschuldiger 41 Tage lang in Untersuchungshaft? Das Landgericht Hagen hat einen Mann (31) aus Ennepetal überraschend auf freien Fuß gesetzt. Er war Mitte Juni unter dem dringenden Tatverdacht, „der zweite Rewe-Räuber zu sein“, festgenommen worden. Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft hält die Strafkammer, die jetzt in einem Haftprüfungstermin darüber beschließen musste, die übereinstimmenden DNA-Spuren nicht für ausreichend beweiskräftig genug.
Seit Anfang der Woche befindet sich der Angeschuldigte, der stets seine Unschuld beteuert hat, wieder im Kreis seiner Familie. Die Ehefrau kann das Glück kaum fassen und postete auf Instagram das Foto eines marokkanischen Festessens, dass sie eigens zubereitet hat. Versehen mit den Worten: „Die letzten Wochen waren so hart für uns. Ich bin einfach so froh und dankbar, dass er wieder da ist.“ Die Ennepetalerin hat auf dem Internet-Bilderdienst mehr als 30.000 Anhänger, überwiegend Glaubensschwestern, die ihr dort als bekennende „konvertierte Muslima“ folgen und mitlesen. Doch wer ist jetzt tatsächlich der „zweite Rewe-Räuber“?
Mit gezückter Pistole
Vor zwei Jahren hatte ein kriminelles Duo im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis für Aufregung gesorgt: Zumeist an Wochenenden, stets kurz nach Feierabend, hatten jeweils zwei Täter den Mitarbeitern von Rewe/Kaufpark-Filialen beim Verlassen des Markts aufgelauert. Mit gezückter Pistole und mit vorgehaltenem Messer wurden die Mitarbeiter zurück ins bereits geschlossene Geschäft gedrängt. Dort mussten sie unter Vorhalt der Waffen die Tresore öffnen, wurden anschließend mit grünem Kabelbinder gefesselt und hilflos am Tatort zurückgelassen. Die beiden Räuber entkamen jeweils mit dem Geld. Bei dem Überfall auf Rewe-Kaufpark an der Gewerbestraße in Ennepetal, am 1. Oktober 2020, betrug die Tatbeute 18.000 Euro. Beim Überfall auf die Gevelsberger Rewe/Kaufpark-Filiale am 5. Dezember 2020 an der Hagener Straße sogar 36.000 Euro.
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Einer der beiden Täter konnte schnell ermittelt werden: Es war ein zur Tatzeit 20-jähriger junger Mann aus Ennepetal, der von einer großen Karriere als „Gangsta-Rapper“ träumte. Er wurde im Dezember vergangenen Jahres vom Landgericht Hagen als Heranwachsender mit Entwicklungsverzögerungen zu vier Jahren Jugendeinheitsstrafe verurteilt. Seinen oder seine jeweiligen Mittäter, die an den Raubüberfällen beteiligt waren, wollte der Verurteilte aber nicht benennen.
Schon bald hatten die Ermittler den Fokus auf das direkte Umfeld des jungen Mannes, der im Mai 2020 zum Islam übergetreten und in das Haus eingezogen war, „das in Ennepetal den zweifelhaften Ruf genießt, dass dort auch Islamisten leben“. So hatte es die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe unumwunden vor Gericht erklärt. Umgeben von diesen falschen Leuten, sei sein Mandant geprägt und mitverleitet worden, schwerste Straftaten zu begehen, glaubt auch dessen Verteidiger Timo Scharrmann aus Essen.
DNA-Spuren stimmen überein
Der als „zweiter Rewe-Räuber“ am 15. Juni vorläufig festgenommene und seit Anfang dieser Woche wieder freigelassene Angeschuldigte gehörte auch zum engen Umfeld der festen Glaubensbrüder. Der zunächst schlüssig sich aufdrängende Tatverdacht, den die Staatsanwaltschaft Hagen inzwischen in einer Anklageschrift wegen zweifacher schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu Papier gebracht hat, stützt sich auf die eindeutig erscheinende Spurenlage: Sowohl auf dem am Tatort in Ennepetal zurückgelassenen grünen Kabelbinder als auch an dem Messer, das am Tatort in Gevelsberg benutzt wurde, befindet sich die DNA des 31-jährigen Ennepetalers.
Verteidiger rechnet mit Anklage
Beim Haftprüfungstermin hinter verschlossenen Türen wurde von der Kammer lediglich die DNA-Spur am Kabelbinder als „aussagekräftig“ eingestuft. Die DNA-Spur am Tatmesser hingegen als „nicht aussagekräftig“, weil es sich hier um eine Mischspur handelt. Neben der DNA des jetzt freigelassenen Angeschuldigten findet sich dort noch eine weitere DNA-Spur, die Rückschlüsse auf einen anderen Mittäter zulässt. Dieser Mann sei namentlich bekannt und auf diesen konzentrierten sich die weiteren Ermittlungen, so Anwalt Nicolai F. Mameghani. Dennoch rechnet der Verteidiger damit, dass auch sein Mandant angeklagt, aber am Ende freigesprochen werde. Bisher hat die Kammer das Verfahren jedoch noch nicht eröffnet.
Warum wurde er dann jetzt trotzdem beim (nicht öffentlichen) Haftprüfungstermin von der 9. Strafkammer freigelassen? Verteidiger Nicolai F. Mameghani (Düsseldorf): „Weil es für beide DNA-Spuren eine logische Erklärung gibt.“ Sein Mandant und der bereits verurteilte junge Mann waren im Tatzeitraum gute Freunde und betrieben im Keller einer Tiefgarage eine gemeinsame Auto-Bastel-Werkstatt. Dort lagen auch die Kabelbinder herum. Natürlich hätten beide diese auch in die Hand genommen. Dadurch seien die DNA-Spuren auf das spätere Tatwerkzeug gelangt.
Und wie kam die DNA des 31-Jährigen auf das Tatmesser? Verteidiger Mameghani: „Die Frau meines Mandanten hatte bei Lidl-Treuepunkte gesammelt und dafür als Prämie einen Messerblock bekommen. Die Messer hatte sich der Mandant näher angeschaut und dabei in die Hand genommen. Später hat er den Block dann seinem jungen Freund geschenkt. Natürlich völlig nichtsahnend, dass damit mal Straftaten passieren könnten.“
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Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Christian Hoppe hielt die Einlassung für glaubwürdig, zumindest aber nicht für unwahrscheinlich, und entließ den Angeschuldigten noch am selben Mittag aus der Untersuchungshaft. Am Gefängnis-Ausgang wartete bereits die überglückliche Ehefrau und zurück zu Hause in Ennepetal stand schon das Festmahl bereit, von dem dann mehr als 30.500 Follower auf Instagram erfahren durften.