Gevelsberg. Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal: Auch schwächere Schüler haben Chance auf einen Ausbildungsplatz, Arbeitsagentur bietet besonderes Angebot.

„Das ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist“, sagt Francesco Zicolella. Er beginnt jetzt sein zweites Lehrjahr bei der Firma BüMi und will seine Chance nutzen, die er hier bekommen hat. Er ist 33 Jahre alt, ungelernt, schlug sich mit Gelegenheitsjobs herum. „Als er seinen Schulabschluss gemacht hat, gab es zu viele Bewerber für zu wenig Ausbildungsstellen“, weiß Michael Stechele, operativer Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Hagen. „Ich habe keinen Fuß in die Tür bekommen“, sagt Zicolella. Das hat sich mittlerweile geändert: Es gibt mehr offene Stellen als Bewerber. Doch der 33-Jährige war zu lange raus aus der Schule, und auch seine Noten waren damals nicht die besten. Mithilfe der Arbeitsagentur und dem Programm „Einstiegsqualifizierung“ (EQ) hat er nicht nur eine Ausbildung gefunden, sondern auch eine Perspektive.

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In zwei Jahren komme seine Tochter in die Schule, „sie kann dann sagen, mein Vater ist Zerspanungsmechaniker. Das macht mich stolz“, sagt er. Mehr noch: „Das ist ein Job mit Zukunft“, sagt BüMi-Ausbildungsleiter Rolf Weiß. Er kümmert sich seit 14 Jahren um die Nachwuchskräfte in dem Unternehmen Am Wunderbau. In der Metall verarbeitenden Präzisionszerspanung sind etwa 75 Mitarbeiter beschäftigt. Hier werden zwei Lehrlinge pro Ausbildungsjahr angestellt. Nicht alle können am Ende im eigenen Betrieb übernommen werden, einen Vertrag bekämen dennoch die meisten, „weil wir Ausbilder in dem Bereich einen engen Draht haben“, und die Fachkräfte untereinander vermitteln würden, so Weiß.

Weniger Bewerber

Denn die Zahl der Fachkräfte von morgen sinkt. Und das schon seit mehreren Jahren, erklärt Michael Stechele. Zwar bliebe die Zahl der Schulabgänger stabil, doch die würden sich mehr Richtung Abitur und Studium orientieren. Immer weniger wählen einen Ausbildungsberuf. Früher habe es nicht nur sehr viel mehr Bewerber gegeben, sondern auch mehr gute, weiß der Ausbildungsleiter von BüMi. Doch die Noten spielen für Rolf Weiß nur eine untergeordnete Rolle bei der Auswahl der zukünftigen Azubis. Er nennt den 17 Jahre alten Alex Missere als Beispiel. Er sei ein richtig toller Kerl, passe gut ins Team, nur die Schule, die sei nicht so seins gewesen. Der Ausbildungsleiter sagt: Viele würden gar nicht wissen, warum sie etwas lernen sollten, dass sie es tatsächlich brauchen. Und genau da setze die Einstiegsqualifizierung an. „Die Teilnehmer können nachholen, was ihnen fehlt.“ Praktisch bedeutet das, sie machen einen vergütetes Praktikum, das bis zu einem Jahr dauern kann und machen alles mit, was im ersten Lehrjahr ansteht.“ Für junge Bewerber wie Alex Missere bedeutet das wertvolle Zeit, in der er nicht nur seine Qualifikationen verbessern kann, sondern auch die Möglichkeit hat, sich Gedanken zu machen, was er will.

Ein Bewerbermarkt

Die heimischen Betriebe melden nach zwei schwachen Corona-Jahren deutlich mehr Ausbildungsstellen - von Oktober bis Juni waren es im Kreis 1969 Stellen, damit 380 oder 23,9 Prozent mehr als im Vorjahr, teilt die Agentur für Arbeit Hagen. Gleichzeitig habe es mit 1694 jungen Menschen mehr Interessierte an betrieblichen Ausbildungsangeboten – ein Anstieg von 3,7 Prozent zum Vorjahr. „Die deutlich gestiegene Dynamik auf dem Ausbildungsmarkt kommt mit verzögerten Entscheidungen von Unternehmen und Bewerbern zusammen. Dadurch gibt es so spät wie noch nie beste Chancen“, so Michael Stechele, operativer Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Hagen. „Der Ausbildungsmarkt wandelt sich immer mehr zu einem Bewerbermarkt.“ Pandemiebedingt war die Berufsorientierung lange Zeit erschwert oder sogar ausgefallen. „Im aktuellen Berichtsjahr haben sich nicht nur mehr Jugendliche gemeldet, sondern man merkt bei vielen, dass die eigene berufliche Zukunft nach der Isolation wieder in den Fokus gerückt ist“, so Stechele. „Die Chancen auf einen guten Ausbildungsplatz waren selten so gut wie heute.“

Francesco Zicolella hat seine sechs Monate Einstiegsqualifizierung genutzt. „Ich habe mich auf den Popo gesetzt und Mathe gepaukt.“ Auf seinem Zeugnis steht jetzt eine Eins vor dem Komma. „Wenn die Grundlagen sitzen, wird die Ausbildung zum Selbstläufer. Diese Maßnahme kann für jeden eine Erfolgsgeschichte werden“, sagt Rolf Weiß. Michael Stechele betont, dass diese Zeit bei manch einem auch zum Teil auf die Ausbildung angerechnet werden könne. Die Agentur für Arbeit Hagen hat im Jahre 2021 79 junge Erwachsene mit einer Einstiegsqualifizierung gefördert. In diesem Jahr sind es 98 junge Menschen, die in diesem Jahr ihre Ausbildung im Anschluss beginnen können.

Noch sind Stellen zu haben

Wer noch eine Ausbildung sucht: „Noch ist es nicht zu spät. In diesem Jahr gibt es deutlich mehr Ausbildungsstellen als vor einem Jahr“, weiß Stechele und nennt Zahlen für den Ennepe-Ruhr-Kreis. „Aktuell stehen 954 offenen Ausbildungsstellen nur 529 junge Ausbildungssuchende gegenüber.“ Aufgrund von Corona und dem Ukraine-Krieg habe es in den Betrieben Verzögerungen gegeben, viele seien später dran als sonst, damit würden auch jetzt noch die Stellen für den Sommer besetzt, erklärt Stechele.

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Und noch ein Grund, sich jetzt zu bewerben: „Wer keine Ausbildung hat, ist von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht“, sagt Stechele. „Das wollte ich nicht für mein Leben“, sagt Francesco Zicolella. Klar, jetzt habe er mit der Ausbildungsvergütung erstmal weniger Geld, als er bei den Zeitarbeitsfirmen verdient habe, aber wenn die Ausbildung abgeschlossen ist, wird nach Tarifvertrag IG Metall bezahlt. „Das ist eine fantastische Perspektive.“ Er fühlt sich endlich angekommen im Leben.