Gevelsberg. Seit vielen Jahren fährt der Gevelsberger Jörg Breddermann Hilfsgüter in die Ukraine. Er ist erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt.
Jörg Breddermann hat es gerade noch rechtzeitig geschafft, aus der Ukraine heraus zu kommen, bevor die russischen Truppen einmarschierten, bevor das Feuer eröffnet wurde. Der Gevelsberger fährt seit vielen Jahren regelmäßig Hilfsgüter in das Land, in dem so viel Armut herrscht. Der Krieg, sagt er, der habe auch nach 2014 nie wirklich aufgehört, die Menschen leiden seit Jahren. Und jetzt kommt noch die Angst dazu, „die Angst zu sterben.“
Es ist Donnerstagnachmittag. Vor wenigen Minuten hat Jörg Breddermann mit einem Freund in der Ukraine telefoniert. Der Mann wohnt 30 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt, nördlich von Kiew. In der Nacht begannen die Kämpfe - an vielen Fronten im Land. Nicht nur im Osten, wie erwartet wurde, sondern überall. „Mein Freund hat mir gesagt, dass er mit seinem Sohn auf dem Sofa sitzt und überlegt, was er tun soll.“ Das Zuhause aufgeben? Nach Rumänien fliehen? In eine ungewisse Zukunft flüchten ohne Geld und Perspektive? Oder Bleiben und um das Leben fürchten? Jörg Breddermann weiß nicht, was er ihm raten soll. Es ist eine unvorstellbare Situation. Dazu kommt: Die Grenzen seien dicht, die Straßen verstopft. Jeder, der kann, versuche zu flüchten. Andere wollen kämpfen. „Es herrscht blanke Panik.“
Die Regale sind leer
Was er weiß ist, dass das ukrainische Militär den russischen Kämpfern unterlegen ist. Er sei kein Militärexperte, aber er habe immer wieder einen Eindruck erhalten, wie die Soldaten ausgestattet sind, da er an der Grenze regelmäßig von ihnen kontrolliert werde. „Die Autos, die sie fahren, sind noch aus der Sowjetzeit“, die Soldaten hätten schlechte und völlig veraltete Ausrüstung, würden sich in vielen Dingen behelfen. Wie auch die Menschen, die dort leben. Geschäfte gebe es in den ländlichen Gebieten schon lange nicht mehr. Die meisten seien Selbstversorger, backten ihr Brot, betrieben Landwirtschaft und verkauften ihre Sachen an der Straße, sagt der Gevelsberger. Die wenigen Läden, die es noch gibt, seien in den Städten. Doch die Regale seien vorher schon fast leer gewesen, jetzt sei gar nichts mehr da. Und die Preise seien schon in den vergangenen Wochen massiv gestiegen. Im Dezember habe der Gevelsberger noch für den Liter Diesel einen Euro in der Ukraine gezahlt, jetzt waren es 1,20 Euro. „Die Menschen haben quasi nur noch tröpfchenweise getankt.“ Einen vollen Tank könne sich kaum noch einer leisten. Im Fernsehen sind die Bilder von den abgestellten Autos am Straßenrand zu sehen, sie wurden gefahren, so weit sie eben konnten.
Jörg Breddermann erklärt, dass die Ukrainer auch verzweifelte Angst hätten, ihre gewonnene Freiheit zu verlieren. Vor allem bei den Jüngeren sei das so. Und bei manch einem Älteren, so sei sein Eindruck, hätte sich mittlerweile Resignation breit gemacht. „Sie haben schon so viel mitgemacht und sich ihrem Schicksal ergeben, ertragen diese Situation mit russischer Gelassenheit.“
Heimliche Treffen in der Nacht
Freitagmittag. „Stück für Stück erfährt man mehr“, sagt der Gevelsberger und ist sichtlich bewegt. Dort, wo er selbst noch vor wenigen Tagen war, sind jetzt die Russen angekommen, wenige Kilometer von Tschernobyl entfernt. Von seinen Freunden, die in dem Dorf leben, habe er noch nichts gehört, er hat nur davon in der Zeitung gelesen. Er macht sich Sorgen. In der Ukraine passiere großes Unrecht, sagt er - nicht erst seit dem Einmarsch.
Jörg Breddermann ist ein gläubiger Mensch und hat Kontakt zu den christlichen Gemeinden, vor allem in der Ostukraine. „Was nicht berichtet wurde, ist, was die Menschen dort bereits erleben mussten“, sagt der Gevelsberger. Entweder sei es Ende Dezember, oder Anfang Januar gewesen, da seien die Separatisten, die nichts anderes als Russen seien, in die Häuser gekommen. Dort hätten sie bei den christlichen Familien die Möbel rausgeworfen, die Stromleitungen gekappt und ihnen gesagt, dass sie sich von jetzt an nur noch in der russisch-orthodoxen Kirche treffen dürften, berichtet Jörg Breddermann. Er weiß von heimlichen Treffen in der Nacht.
Drei Tage dauert eine Strecke mit dem Lkw
Das erste Mal hat Jörg Breddermann vor mehr als 30 Jahren einen Hilfstransport begleitet. Er hat früher Lastkraftwagen repariert, dabei viele Menschen kennengelernt, einer von ihnen fuhr Kleiderspenden. Seit mehr als zehn Jahren sitzt er nun selbst am Steuer. Und das will er so lange machen, wie er kann. Weil er es als seine christliche Pflicht sieht, weil er helfen will, weil er erschüttert ist, wie groß die Armut dort ist. Etwa zehnmal im Jahr macht er sich auf den Weg nach Osteuropa. Drei Tage dauert die Fahrt hin, einen Tag das Abladen und drei Tage die Rückreise.
Wie es in der Ukraine weitergehen wird? „Ich habe keine Ahnung“, sagt er. Aber er glaubt, dass das nicht so schnell enden wird, sondern eher noch schlimmer wird. „Auch die Menschen in Moldawien sorgten sich um ihr Leben, glauben, dass sie als nächstes dran sind.“ Zwei Freunde von ihm, die ihn bei der Verteilung der Hilfsgüter unterstützen, hätten ihm an diesem Morgen mitgeteilt, dass sie das Land Hals über Kopf schon verlassen hätten. Breddermann erklärt, dass es dort auch eine russische Enklave gebe, ebenso wie eine Grenze mitten im Land. „Das kann man sich nicht vorstellen, das ist dort wie in einer anderen Welt.“
Großes Netzwerk
In Kooperation mit dem Gospel-Treff in Gevelsberg sammelt Jörg Breddermann seit vielen Jahren für die Menschen in den Ostblockstaaten wie Ukraine, Moldawien und Rumänien. Vor 30 Jahren war er das erste Mal dort. Seitdem ist das Hilfsnetzwerk immer größer geworden, nicht nur in Gevelsberg, sondern deutschlandweit und auch in den betroffenen Ländern. Was sie eint, sei der christliche Glaube und der Wunsch zu helfen. Und die Hilfe soll, so lange es irgendwie geht auch jetzt weiter laufen. „Noch haben wir eine Passage, die offen ist, die wir nutzen können“, sagt er. Doch das könne sich stündlich ändern. Es sind auch gerade noch Mitarbeiter aus Deutschland dort. Jörg Breddermann sorgt sich um sie, gleichzeitig denkt er aber schon nach, wie man den Menschen in der Ukraine auch weiterhin helfen kann. „Sie brauchen dringend Lebensmittel zum Überleben“, weiß der Gevelsberger.
Wie es dem Freund an der rumänischen Grenze geht und was er für das Leben seines Sohnes und sich entschieden hat? Jörg Breddermann weiß es nicht, er hat sich seit Donnerstag nicht mehr gemeldet.