Ennepetal. Seit 2015 lebt eine armenisch-aserbaidschanische Familie in Ennepetal – längst gut integriert. Und doch ist ihre Situation für sie bedrückend.

Sechs Jahre zwischen Hoffen und Bangen: So lebt die Familie Babajev-Arakelian, die im Juli 2015 nach Deutschland kam und seit September 2015 in Ennepetal wohnt. Auch an diesem Weihnachtsfest ist für sie die Situation bedrückend. Familienvater Wahe Babajev ist dankbar, hier ohne Anfeindungen leben zu können, nicht diskriminiert und verfolgt zu werden. Dennoch hat die Familie ein großes Problem. Sie ist in Deutschland nur geduldet. Der Aufenthaltsstatus ist nicht geklärt, weil sie keine Pässe vorweisen kann.

„Wie auch, wenn sie nie welche besessen hat?”, sagt Bruno Hessel vom „Soli-Flüchtlings-Fonds-Ennepetal” (SFF), der die dreiköpfige Familie seit 2016 betreut. Das Ausländeramt des Ennepe-Ruhr-Kreises weist dagegen auf die Gesetzeslage hin und lässt über die Pressestelle mitteilen: „Der Gesetzgeber misst der Identitätsklärung vor der Legalisierung des Aufenthalts ein gewichtiges öffentliches Interesse bei.“

„Politisch-religiöse Mischehe“

Der Aserbaidschaner Wahe Babajev (41) und seine zwar in Aserbaidschan geborene, aber armenisch-stämmige Frau Amalia Arakelian (35) sind jeweils Angehörige der beiden verfeindeten Länder Aserbaidschan und Armenien. Bei dem Ehepaar handelt es sich um eine „politisch-religöse Mischehe”, wie es Bruno Hessel beschreibt. Darin liege auch die Ursache für den ungeklärten Aufenthaltsstatus. Die Religion des Mannes ist muslimisch, die der Frau apostolisch-christlich.

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Alles begann im Jahre 1988, als es in Kirowabad (Aserbaidschan) zu Pogromen gegen die Armenier kam. Da die Mutter von Wahe Babajev Armenierin war, musste die Familie vor Übergriffen der Aserbaidschaner fliehen. Sie ging mit dem damals achtjährigen Sohn Wahe nach Russland und nahm das zweijährige armenische Pflegekind Amalia, die heutige Frau von Wahe, aus Sicherheitsgründen mit. In Russland lebte die Familie „inoffiziell”. Wahes Mutter, eine Lehrerin, unterrichte die Kinder zu Hause, denn als „Inoffizielle“ konnten sie keine Schule besuchen.

Später fanden Wahe und Amalia Arbeit, wurden 2004 ein Paar. Im Juni 2005 wurde ihr Sohn Aik geboren, in der russischen Stadt Lipezk. „Aber auch in Russland war die politisch-religiöse Mischehe Grund für Diskriminierungen“, sagen sie. In der Hoffnung, es dort besser zu haben, ging die Familie 2011 in die Ukraine. Aber auch dort sei es nicht viel besser gewesen. Die Flucht endete erst 2015 in Deutschland.

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„Wir sind dankbar, hier sicher und in Frieden leben zu können”, betonen Wahe Babajev und Amalia Arakelian beim Besuch dieser Zeitung, sind aber enttäuscht, in den sechs Jahren in Ennepetal keine Aufenthaltsgestattung bekommen zu haben. „Wir haben doch alle Forderungen der Ausländerbehörde erfüllt, wenn auch erfolglos”, sagen sie, ohne die Hoffnung verloren zu haben. So suchte die Familie im Jahr 2019 die aserbaidschanische Botschaft in Berlin auf und bat um Mithilfe bei der Klärung ihrer Identität. Wohl vergebens. „Obwohl es uns mündlich versprochen wurde, kam kein Schreiben der Botschaft. Wahrscheinlich wegen des wieder aufgeflammten Konflikts zwischen Aserbaidschan und Armenien“, vermutet die Familie.

Der SFF hat auf Wunsch der Familie in Baku (Aserbaidschan) einen Anwalt beauftragt, Geburtsdokumente in Kirowabad zu besorgen. Bruno Hessel und seine Frau Ute Höfig wissen: „Der Anwalt musste feststellen, dass die Archive mit Dokumenten aus der Zeit vor 1988 zerstört sind.” Das Ehepaar ließ auf Veranlassung der Ausländerbehörde des Ennepe-Ruhr-Kreises einen Gen-Test machen, der nachweist, dass Aik (jetzt 16) der leibliche Sohn ist. Bescheinigungen über ihre Beschäftigungen in Russland und in der Ukraine hat die Familie vorgelegt, wenn es sich auch nur um informelle Bescheinigungen ehemaliger Arbeitskollegen und Nachbarn handelt. Der hiesige Kinderarzt von Aik Arakelian hat versucht, im Geburtshaus von Lipezk eine Geburtsbescheinigung zu bekommen. Vergebens, man lebte dort ja „inoffiziell“.

Duldung kein Aufenthaltstitel

Eine Duldung ist rechtlich eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Sie stellt keinen Aufenthaltstitel dar. Sind die betroffenen Menschen gut integriert, können sie eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.Die Familie Babajev-Arakelian kann auch nicht abgeschoben werden, weil sie keine Reisedokumente besitzt.

Um die Herkunft der Familie Babajev-Arakelian zu klären, gab es im August und im November dieses Jahres auf Anordnung der Ausländerbehörde Anhörungen in Unna und Bielefeld durch armenische Experten. In Bielefeld wollen sie herausgefunden haben, dass die Eheleute einen „Eriwaner Dialekt“ sprächen (Eriwan ist die Hauptstadt von Armenien, d. Red.). Bruno Hessel vom Soli-Flüchtlings-Fonds meint dazu: „Das ist wenig verwunderlich, da die Mutter von Wave Babajev und Pflegemutter von Amalia Arakelian ebenfalls Armenierin war und zudem als Lehrerin ihren Sohn zwei Jahre lang unterrichtete.“

SFF fordert humanitäre Lösung

In Ennepetal gilt die Familie Babajev-Arakelian als vorbildlich integriert. Die Aktiven des Soli-Flüchtlings-Fonds begleiten die Familie seit fünf Jahren und haben – wie sie sagen – keine Zweifel an deren Glaubwürdigkeit. Ute Höfig und Bruno Hessel weisen daraufhin, dass das Ehepaar in der Zeit seines Aufenthalts in Ennepetal seinen Lebensunterhalt komplett selbst bestreitet, nicht einmal Kindergeld erhält, gleichwohl aber Steuern bezahlt. „Wahe Babajev hat gute deutsche Sprachkenntnisse, arbeitet als Bauhelfer in einem Ennepetaler Unternehmen, Amalia Arakelian hat einen B-Abschluss und ist als Altenhelferin tätig. Sohn Aik ist ein erfolgreicher Schüler des Reichenbach-Gymnasiums und einen ebenso erfolgreicher Schachspieler in der deutschen Bundesliga. 2017 nahm er – mit einem deutschen Reisepass ausgestattet – an der Schach-Europameisterschaft in Rumänien teil“, berichten Höfig und Hessel. Den Pass musste er nach der Reise wieder abgeben. 2018 wurde Aik Arakelian sowohl in Ennepetal als auch in Schwelm als Sportler des Jahres ausgezeichnet.

Aik Arakelian (rechts) ist ein herausragendes Schachtalent. Hier ist er beim Sparkassen Chess Meeting in Dortmund mit dem russischen Großmeister Jan  Nepomnjaschtschi zu sehen, der erst kürzlich Magnus Carlsen im Duell um den WM-Titel unterlag.
Aik Arakelian (rechts) ist ein herausragendes Schachtalent. Hier ist er beim Sparkassen Chess Meeting in Dortmund mit dem russischen Großmeister Jan  Nepomnjaschtschi zu sehen, der erst kürzlich Magnus Carlsen im Duell um den WM-Titel unterlag. © WP | Privat

Nach Meinung des SFF hat die Familie in sechs Jahren zur Genüge bewiesen, dass man ihren Aussagen glauben schenken kann. Die Ausländerbehörde sollte schon aus humanitären Gründen dem Wunsch der Familie nachkommen und ihr den Aufenthalt in Deutschland gestatten, „bevor noch weitere Steuergelder für die nutzlose Prüfung dieses Falles vergeudet werden.“

Ennepe-Ruhr-Kreis nimmt Stellung

Was passiert nun? Das Ausländeramt des Ennepe-Ruhr-Kreises verlangt von Wahe Babajev, bis zum 3. Januar 2022 seinen Pass vorzulegen – einen Pass, den er nach eigenen Angaben nie besessen hat. Bruno Hessel: „Das ist absurd.“

Das Ausländeramt will das Verfahren weiter führen und begründet, dass in diesem Fall die Identität nicht geklärt sei. „Aufgrund der bisherigen Aufenthaltsdauer und der Integrationsleistungen kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen in Betracht“, teilte der Ennepe-Ruhr-Kreis auf Anfrage dieser Zeitung mit, „aber im laufenden Verwaltungsverfahren konnten Zweifel an der Richtigkeit der Personalie bis zum erforderlichen Grad nicht ausgeräumt werden.“