Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Inzidenzwerte im EN-Kreis steigen vor allem bei Kindern und Leuten unter 35. Reiserückkehrer, Impfverweigerer und Migranten bereiten Sorgen.
Da fühlte es sich einige Wochen fast so an, als kehrte das normale Leben in der Corona-Pandemie zurück, da tritt auch schon das ein, was alle Experten bereits vor dem Sommer prognostizierten: Die Zahlen steigen, die Stimmung sinkt. Der Ennepe-Ruhr-Kreis liegt mit einer Inzidenz von knapp 35 zwar deutlich unter den Werten der direkt angrenzenden Nachbarn Hagen (55), Märkischer Kreis (70), Bochum (71), Dortmund (72), Oberbergischer Kreis (76) sowie Wuppertal (109), doch die harten Einschränkungen, die landesweit ab Freitag greifen, treffen auch die neun Städte zwischen Ennepe und Ruhr.
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Während sich Mediziner und Politiker einig sind, dass Impfen der einzige Weg ist, wirksam gegen die Verbreitung des Coronavirus’ anzugehen, stockt der Impffortschritt trotz diverser Kampagnen im Ennepe-Ruhr-Kreis so stark, dass die Verwaltung bereits eine beträchtliche Zahl an Impfdosen zurückgeben musste, weil niemand die freien Impftermine buchen wollte. Vor allem Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis 34 Jahre sowie Menschen mit Migrationshintergrund lassen die Inzidenzen in die Höhe schnellen. Während für die Kinder ab zwölf Jahren nun Impfen auch ohne Termin und auf verschiedenen Wegen möglich ist, fehlen die wirksamen Strategien, um die Menschen mit ausländischen Wurzeln oder die zunehmende Zahl an Impfverweigerern dazu zu bringen, sich solidarisch zu zeigen und gegen das Virus impfen zu lassen.
Türkei steht im Fokus
Stand Mittwoch, 18. August, sind 219 Menschen im Kreis mit dem Coronavirus infiziert gewesen. Von diesen kehrten 40 aus dem Ausland zurück, davon vier nach Gevelsberg, drei nach Ennepetal und niemand nach Schwelm. Die meisten infizierten Reiserückkehrer stammen aus Hattingen. Im vergangenen Jahr waren es nach den Ferien insbesondere die Reiserückkehrer, die sich anschließend in die Quarantäne begaben. Im Fokus steht dabei die Türkei, die seit Dienstag Hochrisikogebiet ist und die zahlreiche komplette Familien während der Sommerferien besucht haben, die ursprünglich von dort stammen. Aber auch unter Urlaubern aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis ohne familiäre Verbindung ist dies ein beliebtes Reiseziel.
Ein Problem dabei ist: Vor allem bei den Menschen mit türkischen, arabischen, afrikanischen und südosteuropäischen Wurzeln ist die Impfquote extrem niedrig. Sie suchen von sich aus kaum Impfgelegenheiten auf. Sie stellen aktuell den überwiegenden Teil der Menschen dar, für die Quarantäneanordnungen gelten. Bereits vor den Ferien hatte Michael Schäfer, Leiter des Krisenstabs des Ennepe-Ruhr-Kreises, im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt: „Wir glauben, dass wir da noch längst nicht alle erreicht haben. Über unser kommunales Integrationszentrum wollen wir nun verstärkt an diese Gruppen herantreten.“ Auch aufsuchende Impfaktionen sollten hier die Impfquote erhöhen. Ob dies tatsächlich funktioniert hat, werden die kommenden Wochen zeigen.
Kreis muss Impfdosen zurückschicken
Das nächste Problem, zu dem Schäfer auf Nachfrage dieser Zeitung ebenfalls schon vor den Sommerferien reagierte, sind die Menschen unter 35, die Kinder und Jugendlichen. „Die jungen Leute laufen uns bei Weitem nicht so die Türen ein, wie wir es nach der Aufgabe der Impfpriorisierungen erwartet hätten“, sagte der Krisenstabsleiter seinerzeit. Das spiegelt sich nun in den Inzidenzwerten wider, die das Robert-Koch-Institut für den 17. August bereitstellt. Während die Inzidenz für den gesamten EN-Kreis bei 34,9 liegt, ist dieser Wert für die jungen Menschen deutlich höher, liegt bei 70 für die 5- bis 14-Jährigen und bei 67 für die 15- bis 34-Jährigen. Tendenz steigend. Die Verfügbarkeit des Impfstoffs ist dabei längst nicht mehr das Problem. „Als die Impfmüdigkeit vor drei, vier Wochen ihren Höhepunkt erreichte, haben wir sogar Impfdosen übrigbehalten. Wir mussten insgesamt 500 Dosen zurückschicken“, sagt Ingo Niemann, Pressesprecher des Ennepe-Ruhr-Kreises auf Nachfrage der Redaktion. Doch mittlerweile sei man im Ennepe-Ruhr-Kreis wieder in der glücklichen Lage, alle Impfdosen verarbeiten zu können.
Während hart gesottene Impfgegner auch vermehrt aus Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter zunehmend aggressiv gegen die Impfkampagnen hetzen, ruht die Hoffnung der Verantwortlichen im Kreishaus auf den neuen Möglichkeiten für die 12- bis 15-Jährigen, sich impfen zu lassen: „Diese Coronaschutz-Impfangebote für Kinder und Jugendliche sind weiter stark gefragt. Ende Juli erhielten die ersten ihren Pieks in Ennepetal, aktuell weist diese Statistik rund 400 Impfungen aus. Dazu kommen noch die Kinder, die beim Hausarzt geimpft werden“, teilt Ingo Niemann mit. Die Zahlen dürften nun rasant steigen, denn: „Jetzt gilt auch für die 12- bis 15-Jährigen: Sie können ohne Termin ins Impfzentrum kommen oder auch den Impfbus ansteuern“, nennt Jana Ramme, organisatorische Leiterin des Pandemieteams im Schwelmer Kreishaus, die wichtigste Änderung.
Zweiter Impfbus geplant
Für die nächste Zeit rechnet Ramme altersunabhängig mit einem spürbaren Nachfrageplus nach Erstimpfungen, weil Geimpfte deutlich mehr Freiheiten genießen, „was die ab Freitag geltende neue Coronaschutzverordnung des Landes vermutlich noch weiter verstärkt.“ Im Impfzentrum haben die Verantwortlichen bereits reagiert, die Öffnungszeiten wurden wieder ausgeweitet. Die Türen an der Kölner Straße 205 in Ennepetal sind jetzt an sieben Tagen in der Woche von 8 bis 20 Uhr geöffnet. Parallel werden weitere Stationen für den Impfbus, darunter auch Einsätze an Schulen, geplant. Seit Mitte Juli konnten so etwas mehr als 3000 Erst- und Zweitimpfungen verabreicht werden. „Zusätzlichen Spielraum für den Fahrplan und damit weitere Kapazitäten für das Impfen vor Ort wird uns in Kürze ein zweiter Bus liefern. Hier laufen aktuell die letzten Vorbereitungen“, verrät Ramme.