Ennepetal. Jahrelang vergewaltigte der Ennepetaler (48) seine Tochter. Vor Gericht standen die Aussagen der Mutter und des Opfers bei der Polizei im Fokus.

Zusammengesunken sitzt das Mädchen auf dem Stuhl, sie weint. Die ganze Zeit schon. Detailliert hat sie schon mehr als eine Stunde lang der Polizeibeamtin davon berichtet, wie ihr Vater (48) sie über viele Jahre immer wieder vergewaltigt hat. Der Ennepetaler verfolgt das Video, das seine Tochter bei der polizeilichen Aussage zeigt, als Angeklagter vor dem Hagener Landgericht nach außen hin emotionslos, macht sich fortwährend Notizen. Ebenso äußerlich unberührt blickt die Mutter des Mädchens vom Zuschauerraum aus auf den Bildschirm, hört, welche Qualen ihre Tochter durchlitten hat, und die ihr Verlobter bereits vollumfänglich gestanden hat. Heiraten will sie ihn dennoch weiterhin.

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Der zweite Prozesstag gegen den Ennepetaler, der aktuell in Hagen in U-Haft sitzt, förderte ein Familienleben zu Tage, das rational schwer nachvollziehbar ist und in dem der Vater seine eigene Tochter knapp 90 Male vergewaltigt und knapp 60 weitere Male anderweitig sexuell missbraucht haben soll. Keine Antworten auf noch offene Fragen lieferte die Mutter des Opfers. Die 44-Jährige machte als Verlobte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Sie ist laut eigener Aussage seit der Geburt des Sohnes vor mehr als 20 Jahren mit dem Mann verlobt, der zuletzt auf dem Bau gearbeitet hatte. „Vor zwei Jahren haben wir unsere Verlobung erneuert, da habe ich die Eheringe bekommen“, sagte sie vor Gericht. Geheiratet hätte das Paar bislang nicht, weil dafür permanent zu wenig Geld vorhanden gewesen sei. „Wir sind da auch nie zu gekommen“, sagte die Frau. Dann stellt Heike Tahden-Farhat, die die heute 18-jährige Tochter als Nebenklägerin gegen den Vater vertritt, die Frage: „Wollen Sie den denn noch heiraten?“ Antwort der Mutter: „Bis jetzt besteht das noch, ja.“

Kontakt zur Verlobten aus der U-Haft heraus

Ein Satz, um die Verlobung nicht live vor Gericht aufzukündigen und doch noch aussagen zu müssen? Die Ausführungen, die Heike Tahden-Farhat zum Zusammenleben ihrer Mandantin mit der Mutter macht, deuten eher darauf hin, dass diese tatsächlich noch eine Beziehung mit dem Mann pflegt, der sich seit spätestens dem elften Lebensjahr an ihrem Kind vergangen hatte. Mutter und Tochter seien mittlerweile umgezogen. Die Mutter würde regelmäßig mit dem Vater skypen, während die Tochter nebenan im Kinderzimmer sitze. „Es soll auch passiert sein, dass der Vater angerufen hat und seine Tochter am Apparat war“, erzählt die Anwältin und weiter: „Vor allem nach der Anzeige bei der Polizei hatte sie das Gefühl, die Mutter gebe ihr die Schuld am Auseinanderbrechen der Familie. Die Mutter soll sehr gemein zu ihr gewesen sein. Dieses Verhältnis hat sich aber wohl gebessert.“ Gleichwohl stünde auch der Weiße Ring, der Opfern von Verbrechen hilft, bereit, um dem Mädchen unter die Arme zu greifen, wenn sie bei ihrer Mutter ausziehen wolle.

Die polizeiliche Aussage des Opfers sorgt indes dafür, dass absolute Ruhe im Gerichtssaal herrscht, während das Video läuft. Zu sehen ist eine Jugendliche auf dem Weg, eine junge Frau zu werden. Sie macht einen intelligenten Eindruck, Empathie schwingt in vielen ihrer Sätze mit – vor allem für das Leid des Bruders unter der oft gewalttätigen Tyrannei des Ennepetalers. Das ist laut ihrer Aussage bei der Polizei auch der Grund, weshalb sie sich mindestens einmal pro Woche den Gelüsten ihres Vaters hingegeben hat. „Am Anfang habe ich mich auch mal gewehrt, mich weggedreht, versucht ihn wegzudrücken. Das hat aber nicht funktioniert. Irgendwann habe ich nichts mehr gesagt, und es einfach geschehen lassen, weil er so schnell handgreiflich wird.“ Vor allem der ältere Bruder habe unter den Schlägen, den Beleidigungen und der Unterdrückung des Vaters gelitten. Sei die Mutter dazwischen gegangen, habe der 48-Jährige auch sie geschlagen. „Wenn ich mitgemacht habe, habe ich das nicht abbekommen und die anderen auch nicht so schlimm.“ Sobald die Mutter und der Bruder außer Haus waren, habe der Vater per Whats-App gefragt: „Hast Du Lust?“ Sie sei dann meist von allein ins Wohnzimmer gegangen, habe sich ausgezogen und die Tat über sich ergehen lassen.

Auch andere Mädchen begrapscht und belästigt

Ihr Vater habe auch Freundinnen, die regelmäßig mit der Familie zum Schwimmen waren, auf den Po geschlagen oder ihre Schnüre vom Bikini-Oberteil geöffnet. „Das haben meine Eltern dann aber ins Lächerliche gezogen“, sagte das Mädchen, das von Suizidgedanken bei ihr und ihrem Bruder spricht, die das Verhalten des Vaters ausgelöst hätten. Der sei sterilisiert, weshalb der ungeschützte Verkehr nie zu einer Schwangerschaft bei dem Mädchen geführt habe.

Die mittlerweile 18-Jährige hat, seitdem sie sich im Dezember bei der Polizei offenbart hat, ihr Abitur erfolgreich absolviert, sieht sich derzeit allerdings laut Aussage von Heike Tahden-Farhat nicht dazu in der Lage, über die Geschehnisse, die mindestens sechs Jahre angedauert haben, zu sprechen, weshalb sie eine Therapie aktuell ablehne. „Sie hat starke Konzentrationsschwächen, kann nur ganz schwer allein sein. Sie kann kaum schlafen, fährt nachts oft ziellos mit dem Auto herum“, zählte die Opferanwältin einige der akuten Folgen des jahrelangen Missbrauchs auf.

Plädoyers könnten beim nächsten Mal folgen

Der Fall wird am 13. Juli vor dem Hagener Landgericht weiter verhandelt. Weil bereits einige Zeugen wegen des umfassenden Geständnisses des Ennepetalers wieder abgeladen worden sind, könnten an diesem Tag Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Nebenklage bereits ihre Plädoyers halten, nach denen sich die Kammer zur Urteilsberatung gegen den 48-Jährigen zurückzieht.