Gevelsberg. Der Handel in Gevelsberg muss sich wieder auf viele Änderungen einstellen. Pro-City-Chef Andreas Niehues erklärt, was das bedeutet.

Vor etwas weniger als einem Jahr hat Andreas Niehues im Interview auch in dieser Zeitung seinen Einstand als neuer Erster Vorsitzender des Stadtmarketingvereins Pro City Gevelsberg gegeben. Er sprach über die Defizite der Innenstadt, aber auch die Entwicklungschancen in der Zukunft. Seitdem waren er und Pro City dazu gezwungen, im Prinzip das Gegenteil von dem zu machen, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Statt Menschen zum Einkauf in die Stadt zu holen, war die Arbeit von Lockdown und Kontaktbeschränkungen geprägt.

Herr Niehues, sind die Fragestellungen des Stadtmarketings nach Corona noch dieselben oder muss alles neu bewertet werden?

Andreas Niehues: Corona hat keinen Einfluss darauf genommen, was vor Corona schon richtig war. Die Aufgabenstellungen bleiben die gleichen. Mir fehlen immer noch ein Haushaltswarengeschäft oder ein Klamottenladen, in dem auch Jugendliche einkaufen können. Auch einen Unverpackt-Laden kann ich mir immer noch gut vorstellen.

Konnten auf der Mitgliederversammlung von Pro City am Mittwochabend entsprechende Impulse gesetzt werden oder stand sie ganz im Zeichen der Pandemie?

Aktuell steht das Jahr ganz im Zeichen von Corona. Die Einschränkungen sind da und wir unterliegen diesen Einschränkungen. Unser Fokus lag aber auch auf der Kampagne, die wir mit den anderen Stadtmarketingvereinen angestoßen haben. Innerhalb dieses Spektrums kann man denke ich über verantwortungsvolle Öffnungsperspektiven sprechen.

Damit meinen Sie den gemeinsamen Einsatz für die Nutzung der Luca-App im Ennepe-Ruhr-Kreis.

Genau, das war bei unserer Mitgliederversammlung großes Thema. Wir haben uns aber auch Vergangenes wie unsere Gutscheinaktion, die zusätzliche 26.000 Euro in der Stadt an Kaufkraft gebunden hat, noch mal angeschaut. Online haben wir zudem viel für unsere Arbeit sensibilisiert.

Kurz und Knapp

Schalke oder BVB?

BVB. Und ich sage jetzt nicht, dass ich Mitleid mit den Schalkern habe. Das wäre für die das Schlimmste, wenn ein BVB-Fan Mitleid mit ihnen hat.

Pauschal- oder Individualurlaub?

Pauschalurlaub

Essen gehen oder kochen?

Essen gehen. Während Corona aber selber kochen.

Man kann glaube ich sehen, dass wir den Handel nicht alleine lassen. Trotzdem ist alles, was wir tun, im Lichte der Pandemie. Das, was wir nicht tun können, sind Veranstaltungen wie der Frühlingsmarkt oder der Boulevard. Die müssen wir auch in diesem Jahr wieder verschieben.

Funktioniert Ihre Arbeit als Vorsitzender überhaupt so, wie Sie sich das vorgestellt haben, als Sie angetreten sind?

Also so habe ich mir das nicht vorgestellt, aber es nützt ja nichts. Ich hätte natürlich lieber mit dem Bürgermeister ein Fass angestochen und 20.000 Besucher in der Stadt willkommen geheißen. Ich dachte, wir machen regelmäßig Pressetermine und sprechen über die Acts für unsere Veranstaltungen. Jetzt muss halt die Arbeit gemacht werden, die anfällt. Zum Beispiel müssen wir uns überlegen, was überhaupt machbar ist und gucken, wie wir den Umsatz in Gevelsberg generieren, der möglich ist. Daher kam auch die Initiative mit dem Landrat und den Stadtmarketingvereinen aus den anderen Städten. Gevelsberg allein hat da nur begrenzte Möglichkeiten. Jetzt bin ich mit der Situation aber sehr zufrieden.

Was macht eine Situation wie die jetzige denn mit einem Verein wie Pro City?

Wir sind unheimlich zusammengerückt. Es sind ein ungeheurer Austausch und eine ungeheure Kreativität entstanden. Unsere alten Abläufe sind ja alle obsolet. Wir müssen uns also viel überlegen und daraus entwickelt sich viel. Wir sind raus aus unserer Komfortzone und erweitern gerade unseren Horizont.

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Dabei hilft auch, dass wir Optiker, Banker, Autohändler oder auch Immobilienprofis bei Pro City haben. Aus dieser Mischung heraus ist zum Beispiel die Idee mit dem eigenständigen Luca-App-Büro an der Mittelstraße entstanden. Unsere Citymanagerin Lena Becker ist da auch sehr kreativ und aktiv. Wir sind zwar gerade in einer schlimmen Zeit, aber daraus entwickelt sich eine Dynamik.

Ist es nicht Ihre Aufgabe, diese Dynamik in Zukunft zu erhalten?

Ja, das ist so. Corona wirkt da wie ein Katalysator. Vorne kommt etwas Dreckiges rein und hinten kommt etwas Sauberes wieder heraus. So wollen auch wir aus der Situation das Beste machen. Und diese Situation ist ja nicht schwarz oder weiß. Man muss wissen, dass Gesundheit über wirtschaftlichem Erfolg liegt. Ich kann aber nicht alles auf oder alles zu machen. Die Wahrheit liegt dazwischen. Und aus den verschiedenen Ideen dafür etwas zu machen, das wird auch nach Corona bleiben.

Sie haben Ihre Initiative für den Einsatz der Luca-App schon angesprochen. Ist die App die entscheidende Lösung für eine verantwortungsvolle Öffnung der Innenstadt?

Nein, die Luca-App allein ist es nicht. Uns geht es um das System Luca. Wir brauchen einen Dreiklang. Das heißt: Impfen, impfen, impfen. Dabei braucht es auch die Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Außerdem: Testen, testen, testen. Da habe ich die Vision vor Augen, dass wir in Gevelsberg eine Teststation unten in der Fußgängerzone haben und eine oben am Timpen.

Zur Person: Andreas Niehues

Andreas Niehues ist 55 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder, davon sind zwei aus erster Ehe.

Er kam in Werne an der Lippe zur Welt, wo er lange Zeit auch lebte. Vor 17 Jahren zog er nach Gevelsberg, zwischendurch wohnte er in Ahlen.

Niehues ist Standortleiter des Gebrüder-Nolte-Autohauses in Gevelsberg. Er war bereits vor seiner Tätigkeit als Erster Vorsitzender, genau seit 2016, im Vorstand von Pro City Gevelsberg aktiv.

Wenn jemand positiv getestet wird, kann ich diese Fälle direkt am Anfang der Stadt herausgreifen. Zu guter Letzt: Wer einkaufen geht, kann sich mit der Luca-App einscannen für die Kontaktnachverfolgung. Zu alledem gehören aber auch die AHA-Regeln, also Abstand, Hygiene und Alltagsmaske. Dieses ganze Paket ist im Moment die einzige Basis für eine verantwortungsvolle Öffnung.

Es wurde gerade erst die bundeseinheitliche Notbremse beschlossen. Wie stehen Sie denn dazu?

Wir werden um einen harten Lockdown nicht herumkommen. Dabei ist den Menschen schon einiges abverlangt worden. Ohne eine Perspektive, wann es endet. Jetzt im April zeigt sich: Hätten wir im Sommer 2020 alles komplett und radikal heruntergefahren, dann wage ich die These, dass wir jetzt deutlich geringere Inzidenzen hätten. Die Inzidenzgrenzen bei der Notbremse halte ich für relativ hoch angesetzt. Die Wissenschaft widerspricht sich da. Was die Ausgangssperre angeht, denke ich, dass die Probleme vor und nach den Treffen liegen, wenn man sich zum Beispiel gemeinsam einen trinkt. Wenn die Ausgangssperre hilft, die Infektionen im Verbund mit den anderen planvollen Maßnahmen zu begrenzen, gerne. Der Staat entzieht mir mit seinen nicht konsistenten Entscheidungen aber die Geschäftsgrundlage, weil er nicht in der Lage ist, kurze, massive Eingriffe zu beschließen, um dann wieder mit einem Plan ins Leben zurückzukommen.

Welche Chancen hat Pro City im Sommer, um die Gevelsberger Innenstadt wieder zu beleben?

Also wir sind so weit vorbereitet, dass wir für Veranstaltungen Gewehr bei Fuß stehen. Da haben wir auch die Unterstützung durch die Stadt. Die alten Verträge haben wir nicht gekündigt. Besonders Lena Becker überlegt sich kontinuierlich neue Ideen und Aktionen, die wir zusätzlich machen können.

Wie ist Ihre Prognose für die Entwicklung der Innenstadt? Können wir nach der Pandemie noch einkaufen und bummeln gehen?

Ich möchte keinen Totengesang abgeben, wenn die Glocken noch nicht läuten. Es hat sich noch kein Händler bei uns gemeldet und gesagt, dass bei ihm die Lichter ausgehen. Aber die Lage ist ernst. Die Frage ist, was passiert, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gekippt wird. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Hinterher wird die Leerstandssituation für eine Bewertung der Lage entscheidend sein. Dazu mal ein paar Zahlen: Am 31. Juli 2008 hatten wir in Gevelsberg 20 Leerstände, am 16. April 2021 waren es sechs. Das sind 2,6 Prozent von 226 zugrundegelegten Geschäftsflächeneinheiten. Es scheint so, dass die Gevelsberger gute Kaufleute sind, die in der Vergangenheit gut gewirtschaftet haben.