Gevelsberg. Ein Leserbrief-Verfasser legt sich die falsche Identität „Nina Wollter“ zu, um gegen den Winterwald in Gevelsberg zu ätzen. Warum?
Nina Wollter hat in Gevelsberg in ein Wespennest gestochen. Mit derben Worten hat sie sich in einem Leserbrief in dieser Zeitung über den Winterwald an der Ecke Mittelstraße / Nordstraße ausgelassen, Bürgermeister Claus Jacobi namentlich aufgefordert, gegen den Imbiss vorzugehen. Gevelsberg diskutiert seitdem hitzig über das Erscheinungsbild der Mittelstraße. Und immer mehr Gevelsberger fragen sich: Wer ist eigentlich diese Nina Wollter?
Die Recherche dieser Zeitung hat ergeben: Nina Wollter existiert nicht. Jemand hat sich mit großer Mühe diese falsche Identität zugelegt. Um Unruhe zu stiften? Um politische Ziele zu verfolgen? Oder wirtschaftliche? Oder persönliche? Die Suche nach Nina Wollter führt über verschlungene Pfade.
Immer größere Zweifel an Existenz
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Zu Beginn erreichte unsere Redaktion ein Leserbrief via E-Mail inklusive einer Adresse an der Mittelstraße und dem Verweis, als Anrainerin würde sie sich schon lange über das aufregen, was auf dem Eckgrundstück passiere. Vor Veröffentlichung des Leserbriefs fand ein schriftlicher Austausch der Redaktion mit der Absenderin statt, am Montag, 10. Februar, erschien der Brief. Dort sind unter anderem folgende Sätze zum Winterwald zu finden: „Diese traurige Fritteusenbaracke sieht aus wie eine Mischung aus Toilettencontainer und versifftem Lkw-Anhänger. Davor eine martialisch anmutende Gulaschkanone mit Totenkopf, ein billiger Plastikpavillon mit geschmackloser Ballermann-Lichterkette und ein mit Holzplatten verrammelter Gartenhütten-Verschlag. (...) Herr Jacobi: Es muss etwas passieren!“
Das schlug ein wie eine Bombe, rief zahlreiche Reaktionen auf der Leserbriefseite hervor. Auch in den sozialen Netzwerken diskutierten die Gevelsberger hitzig über Nina Wollter. Wer mehr über sie erfahren will, findet allerdings: nichts. Dafür meldete sie sich erneut in der Redaktion, wollte einen weiteren Leserbrief abgedruckt sehen. Sie sei erschüttert, wie man mit ihr umgehe, sehe gar die Meinungsfreiheit in Gevelsberg gefährdet. Die Zweifel an der realen Existenz wurden in der Redaktion und an anderen Stellen in der Stadt größer.
Weder gemeldet noch bekannt
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Mit immer neuen Ausflüchten entzog sie sich einem Telefonat und einem persönlichen Treffen, das die Redaktion von ihr forderte. Unsere Recherche ergab: Nina Wollter ist nicht als Bürgerin in der Stadt Gevelsberg gemeldet, an der von ihr angegebenen Adresse ist sie nicht bekannt, und erst recht nicht Besitzerin der Immobilie. Als die Redaktion sie damit konfrontierte, stellte sie die Kommunikation ein. Philipp Baltin, dem das Grundstück gehört, auf dem der Winterwald steht, rief über einen Leserbrief auf, Nina Wollter solle sich bei ihm melden, damit er ihr erklären könne, warum dort bislang der geplante Neubau noch nicht entstanden ist. „Ich bekam von einem Mann einen anonymen Anruf. Er gab mir eine Telefonnummer, wo ich Nina Wollter erreichen könne“, sagt Baltin. Am anderen Ende meldete sich eine ältere Dame, die aber weder Nina Wollter war, noch von ihr gehört hatte. Weil der anonyme Anrufer seine Nummer nicht unterdrückt hatte, rief Baltin zurück. „Er sagte mir, dass er noch jemandem einen Gefallen schuldig war – wem, wollte er aber nicht verraten“, erzählt Baltin.
Ursprünglich wollte er einen Neubau errichten, der sich an das benachbarte Schieferhaus anschließen sollte. Das gehört Wieland Rahn, Makler, Bauträger, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender. Der hatte selbst Interesse an dem Eckgrundstück, das Baltin kaufte. Beide teilen sich nun das kleine Schaufenstergebäude, das sich über die Grundstücksgrenze erstreckt. Zwei Drittel gehören Baltin, ein Drittel Rahn. Das sollte dem Neubau weichen. Aber weder über eine Grenzbebauung noch über den Abriss des kleinen Gebäudes wurden sich die beiden Männer einig.
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„So machte der geplante Neubau wirtschaftlich keinen Sinn mehr“, sagt Baltin. Gemeinsam mit der Stadt habe er geschaut, was übergangsmäßig dort möglich sei. „Die Lösung war der Winterwald. Die einzige Alternative wäre eine vermüllte Baugrube gewesen“, sagt Bürgermeister Claus Jacobi, der sich ebenfalls nach dem Leserbrief erfolglos auf die Suche nach Nina Wollter begeben hatte, die ihn direkt angesprochen hatte. Mittlerweile habe der Winterwald einen festen Platz im Herzen der Gevelsberger, sei sehr gut frequentiert und vom Wirteverein als Bereicherung angesehen. Die Perspektive? „So wie es jetzt aussieht, ist eine Bebauung unmöglich, außer ich würde das Grundstück an den Nachbarn verkaufen, so dass dieser selbst aktiv werden kann“, sagt Philipp Baltin. „Ich wünsche mir, dass in die Sache nun Ruhe kommt.“
Wieland Rahn kennt Leserbrief nicht
Claus Jacobi sieht in dem Leserbrief mehr: „Die Affäre Nina Wollter ist vorläufiger Tiefpunkt in der politischen Kommunikationskultur in der sich möglicherweise politische, wirtschaftliche und persönliche Interessen vermischen.“
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Derweil kursieren Spekulationen, dass Wieland Rahn sich hinter Nina Wollter verbergen könnte. Die Redaktion konfrontiert ihn damit. „Ich habe diesen Namen noch nie gehört, diesen Leserbrief kenne ich nicht“, sagt dieser. In Bezug auf den geplanten Baltin-Bau sagt er: „Das ist baurechtlich hoch kompliziert. Das Schaufenstergebäude kann er gegen eine Spende an den Kinderschutzbund abreißen.“ Auch er sieht hinter Nina Wollter politische Motive. „Jetzt im Wahlkampf macht sich dieses Thema natürlich gut.“ Aus seiner Sicht solle er damit diskreditiert werden.
So wird es kaum möglich sein, zu beweisen, wer hinter Nina Wollter steckt. Fakt ist: Sie hat für sehr viel Aufregung in der Stadt gesorgt.