Schwelm/Hagen. Ein 46-Jähriger soll sich vor Jahren einer Schwelmerin (damals 9 bis 11 Jahre) vergangen haben. Er schweigt zu den Anschuldigungen.

Die Aussagen der Stieftochter (heute 19) und des jetzt vor dem Landgericht Hagen angeklagten und nunmehr schweigenden Stiefvaters (46) stehen sich unvereinbar gegenüber. Wer lügt hier?

Die junge Frau aus Schwelm soll als Mädchen im Alter von neun bis elf Jahren sexuell missbraucht worden sein, insgesamt zwölf Fälle aus den Jahren 2010 und 2011 listet die Anklageschrift auf. Einzelheiten gehören aus Opferschutzgründen hier nicht hin – doch drei Vorwürfe werden als „schwere Fälle“ eingestuft, weil die vorgeworfenen Handlungen mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind.

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Der Angeklagte, er lebt inzwischen in Hamm, ist nicht vorbestraft und befindet sich auf freiem Fuß, sagt dazu erstmal nichts. Im Vorfeld hat er alles bestritten. Mit versteinerter Miene verfolgt er den Prozessverlauf. Nur ab und zu entgleiten ihm die Gesichtszüge. Seine neue Ehefrau, die mit Schreibblock in der ersten Zuschauerbank sitzt und so gut wie alles mitprotokolliert, scheint da schon wesentlich emotionaler.

Einmal mischt sie sich so verärgert und lautstark von außen in die Verhandlung ein, dass Vorsitzender Richter Jörg Weber-Schmitz sie zurechtweisen muss: In der Rolle der Zuschauerin hätte sie sich ruhig zu verhalten. Doch eines wird deutlich: Die jetzige Ehefrau ist felsenfest von der Unschuld ihres angeklagten Mannes überzeugt.

Strafmaß „um die fünf Jahre“

Staatsanwältin Claudia Kersebaum hingegen spricht von „schwerwiegenden Tatvorwürfen“. Als Strafmaß, allerdings verbunden mit einem reumütigen Geständnis, könnte sie sich fünfeinhalb Jahre Gefängnis vorstellen. Auch weil die angeklagten Taten schon lange zurück lägen. Die Kammer tendiert aufgrund der langen Verfahrensdauer bei geständiger Einlassung zu einem Strafmaß „um die fünf Jahre“ Haft. Offene Worte gleich zu Beginn.

Einstmals beste Freundin mit Erinnerungslücken

Vor ihrer Anzeige bei der Polizei hatte sich die Frau bereits einer Freundin und einem Freund anvertraut und von den Vorfällen mit ihrem Ex-Stiefvater berichtet. „Ich wollte ihm die Fresse polieren“, gestand der Ex-Freund (19).

Die einstmals beste Freundin (18) konnte sich angeblich an keine Einzelheiten des Gesprächs mehr erinnern: „Ist lange her.“ Die Staatsanwältin glaubte ihr das nicht: „Das könnte jetzt hier eine Falschaussage sein.“

Der Angeklagte kneift die Augen zu und presst beide Lippen fest aufeinander. Er weiß nun klipp und klar, was da auf ihn zukommen könnte. Doch das Verfahren soll durchgezogen werden, erklären seine beiden Verteidiger. Mit aufwendiger Beweisaufnahme, dem vollen Zeugenprogramm, der Ex-Ehefrau und der ehemaligen Stieftochter, die beide – aufgrund des früheren Verwandtschaftsverhältnisses zum Angeklagten – auch ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht hätten.

Rechtsanwältin Heike Tahden-Fahrhat (Gevelsberg), die als Nebenklagevertreterin die Interessen der mutmaßlich Geschädigten vertritt, erklärt bereits: „Meine Mandantin ist sehr schüchtern und hat wenig Selbstbewusstsein. Doch sie wird, auch wenn es ihr schwer fallen sollte, hier als Zeugin aussagen.“

Anzeige nahezu acht Jahre später

Diese, sehr wichtige Vernehmung, soll in der kommenden Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die junge Frau wird dem Gericht auch berichten müssen, wie es zu den behaupteten Übergriffen in der Schwelmer Innenstadtwohnung, in der sie damals mit ihrer Mutter und dem Stiefvater zusammenlebte, gekommen ist und warum sie die Vorfälle erst nahezu acht Jahre später bei der Polizei anzeigte.

Im Dezember 2018 war sie alkoholisiert, weinend und sehr aufgewühlt auf einer Wuppertaler Wache erschienen und hatte ihren Ex-Stiefvater der Übergriffe beschuldigt.