Gevelsberg. . Psychisch kranke Kinder sind für die ganze Familie eine Belastungsprobe. Eine Selbsthilfegruppe soll Angehörigen dabei helfen, über Probleme zu reden.

  • Selbsthilfegruppe für Angehörige von psychisch Kranken
  • Immer noch werden die Patienten als „Idioten“ abgestempelt
  • Schwere Belastungen für die ganze Familie

„Es ist ein täglicher Kampf mit dem Leben“, sagt Marianne. Ihr Sohn ist psychisch krank. Er hat seiner Mutter verboten, mit anderen über seine Krankheit zu reden. Das Elternhaus verlässt er nicht. Wenn keine Nachbarn zu sehen sind, wagt er sich vielleicht einmal in den Garten. Die Gevelsbergerin bricht immer wieder in Tränen aus, während sie ihre Geschichte erzählt. „Ich muss ja auch irgendwo bleiben“, sagt sie als Begründung dafür, sich in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige psychisch Kranker engagieren zu wollen.

„Das ist eine Familienkrankheit“, sagt Marianne. Eine Krankheit, unter der nicht nur ihr Sohn leidet, sondern alle die eine Beziehung zu ihm haben. Es begann im Studium. Der Sohn schaffte es einfach nicht, in der Universität zur Prüfung zu gehen. Marianne sagte er davon nichts. Sie erreichten die ersten Alarmsignale durch die Nachricht des Vermieters der Studentenbude. Der Sohn hatte die Miete nicht mehr gezahlt, sich in den Räumen verschanzt. Nun lebt er wieder bei seinen Eltern. „Man muss umdenken“, hat Marianne gelernt. „Er will nicht“, sei nicht die richtige Antwort auf die Frage nach den Symptomen der Krankheit, sondern: „Er kann nicht.“

Trotz dieser Erkenntnis sieht die Mutter im Augenblick keine Perspektive für die Zukunft, kein Mittel gegen die Familienkrankheit. Deshalb freut sich Marianne darüber, dass die Leiterin der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (KISS) EN-Süd, Susanne Auferkorte helfen möchte, eine Gruppe für Angehörige von psychisch Kranken ins Leben zu rufen. Friedrich-Wilhelm will dabei sein. Auch er kommt aus Gevelsberg. Für ihn ist heute ein Feiertag: „Mein Sohn beginnt eine Ausbildung.“ Bei ihm ist die Krankheit inzwischen keine Geheimsache mehr. Der Arbeitgeber, bei dem er auch ein Praktikum gemacht hat, weiß davon.

Es begann in der Pubertät

Bei dem Kind von Friedrich-Wilhelm sind die Probleme schon früher aufgetaucht: „Wir dachten zuerst, es hätte mit der Pubertät zu tun.“ Der Sohn bekam eine für ihn unüberwindbare Angst, zur Schule zu gehen: „Er versteckte sich unter der Bettdecke.“ Für Männer sei es schwieriger, die Gefühle nach außen zu zeigen, aber der Vater berichtet über seine Ängste, die er Tag für Tag hatte: „Jeden Morgen, wenn ich zu Arbeit gefahren bin, habe ich mir die Jacke angezogen und nach oben gehorcht. Wenn ich die Dusche oder die Toilettenspülung hörte, war ich etwas ruhiger. Wenn keine Geräusche zu hören waren, dann wusste ich: Er hat es mal wieder nicht geschafft.“ Sein Sohn hat angenommen, dass er unter Depressionen leidet. Er akzeptiert auch die Therapie. „Mit der Zeit habe ich mir mehr Wissen über die Krankheit angeeignet. Ich bin dadurch gelassener geworden“, sagt Friedrich-Wilhelm. „Mit der Brechstange den Kindern helfen, das geht einfach nicht“, sagt der Vater.

Mehr Gelassenheit bei den Angehörigen zu erreichen, soll auch ein Ziel der neuen Selbsthilfegruppe sein. Die Krankheitsverläufe können gleich, aber auch vollkommen anders sein. Auch das soll zum Beispiel ein Thema beim Gespräch mit Therapeuten sein. Information sind notwendig, „weil die Eltern nicht mehr in die Therapie ihrer Kinder einbezogen werden, wenn diese volljährig sind“, sagen die beiden Eltern. Und das, obwohl die beiden Söhne noch bei ihnen leben. Aber, vor allen Dingen soll das Gespräch mit anderen Betroffenen gesucht werden. Und dazu gehören nicht nur Väter und Mütter, sondern auch Ehepartner und Kinder. Psychische Störungen werden von der Gesellschaft kaum akzeptiert, Patienten immer noch mit „Idioten“ verwechselt. „Dabei sind es meist hochintelligente Menschen“, hat Marianne erfahren. „Ich bin auf eine Selbsthilfegruppe angewiesen. Ich kann sonst nicht darüber reden, weil mein Sohn es mir verboten hat“, sagt die Mutter und wieder fließt ein Träne.

P.S.: Die Namen der beiden Gevelsberger haben wir erfunden. Ihre Schicksale sind leider echt.