Balve. Ein Dokument aus dem Mittelalter ist Thema beim Kolpingforum. Josef Sauer und Ronald Förster sagen: Es wirkt noch heute.
Josef Sauer bereitete die gut 40 Gäste beim Kolpingforum auf einen historischen Moment vor: „Sie sind die ersten seit vielen Hundert Jahren, die diesen Text lesen können.“ Die zwei DIN-A-4-Seiten waren vorher schon an jeden ausgeteilt worden, die erste durchgängige deutsche Übersetzung des lateinischen Dokuments überhaupt. Die Rede ist von der Ablassurkunde der Balver Pfarrei, datiert auf den 24.2.1353 und damit das älteste Dokumente des Balver Pfarrarchivs überhaupt. Es lagert längst im Bistumsarchiv in Paderborn.
Josef Sauer hat dieses Dokument von historischer Bedeutung übersetzt. Er erschließt nun zusammen mit Ronald Förster vom Historischen Verein „Quirinus“ Langenholthausen diesen Schatz.
Im Kolpingforum im Pfarrheim berichteten sie davon. Und Förster stieg in den Vortrag mit einem emotionalen Moment ein, in dem er nämlich einen kurzen Tonausschnitt vom Anrufbeantworter aus dem Spätsommer letzten Jahres einspielte: Der im vorigen Jahr verstorbene Engelbert Falke bat damals um Rückruf, um diesen Abend des Kolpingforums abzusprechen. „Leider konnte ich den Rückruf nicht mehr machen. Deshalb widmen wir ihm nun diesen Vortrag.“
Josef Sauer ging zunächst auf die Grundsätze des mittelalterlichen Ablasshandels ein, um dann die genaue Bedeutung der Balver Urkunde zu erklären. Zum einen gab es die Möglichkeit, sich durch viel Geld von den Sünden seines ganzen Lebens freizukaufen. Andererseits waren Ablassurkunden in bestimmten Gemeinden üblich: Besuchte man dort den Gottesdienst zu bestimmten Festen und/oder betete besondere Gebete, konnte man nach damaliger Kirchenlehre auf den Erlass von Sünden hoffen - für einen besonderen Zeitraum.
Und hier kommen ein Stück kirchlicher Machtarithmetik ins Spiel und auch schlichte Mathematik: während der Papst Ablass für ein ganzes Jahr gewähren könnte, war das einem Bischof nur für 40 Tage möglich, Zeichen der kirchlichen Hierarchie.
Auf der Balver Ablassurkunde hat aber nicht nur der damalige Ortsbischof unterschrieben und sein Siegel auf das Dokument gesetzt, es waren noch 16 weitere Bischöfe. Da nun jeder 40 Tage Anlass gewähren kann, kommt man als Gläubiger fast schon auf zwei Jahre Gnade.
Geld für Gnade
Die Bischöfe, die auf der Urkunde alle verewigt sind, so schilderte Josef Sauer, kamen überwiegend aus dem heutigen arabischen Raum oder Griechenland. Die meisten lebten im Exil am damaligen Papstsitz Avignon (Frankreich). Sie hatten nach den Eroberungen des Muslime ihr Territorium verloren. Sie waren ohne Einnahmen - und brauchten Geld. Sauer: „Ablassurkunden hatten in der Regel Siegel von zehn Bischöfen, im Höchstfall 18 oder 19. Also liegt Balve mit 16 schon recht weit vorne.“ Am Ende auch ein Zeichen des damaligen Wohlstandes im Hönnetal.
Aber wer hat sich die Ablassurkunde in Avignon ausstellen lassen? Sauer und Förster sehen zwei Balver Pfarrer dieser Zeit als wahrscheinlichste Petenten (Bittsteller): Dietrich von Ohle hatte zwar dieses Amt inne Mitte des 14. Jahrhunderts, war aber gar kein geweihter Priester. Er ließ sich in Balve von Vikaren vertreten. Das üppige Pfarrersgehalt kassierte er dennoch. Ohle machte Karriere als Jurist bei Erzbistum Köln. „Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Balver Kirchengschichte“, meint Josef Sauer.
Zur Zeit der Ausstellung der Urkunde war er schon nicht mehr Pfarrer, könnte es aber durchaus eingefädelt haben, vermuten die Heimatforscher. Pfarrer war 1353 Hermann von Stade. „Er war ein wirklicher Seelsorger. Hier zeigen sich auch zwei sehr verschiedene Lebenswege der Zeit.“
Diese Ablassurkunde machte Balve übrigens zu einem durchaus bedeutenden Ziel von Gläubigen. Denn gerade auch in der Zeit der Pest war es wichtig, sich um sein Seelenheil zu kümmern, weil der Tod ganz plötzlich eintreten konnte.
Spur führt nach Fröndenberg
Die nächste ähnliche Ablassurkunde gab es erst in Fröndenberg. So wurde das Dokument auch zu einem Wirtschaftsfaktor in einer Siedlung, die damals noch auf dem Weg zur Stadt war. Das Pergament ist schwer lesbar und speckig, weil es viel von den Gläubigen berührt wurde - es war gut 200 Jahre lang in Benutzung.
Es zeigt weiter auch ein paar Besonderheiten des damaligen Balve. So werden hier etliche Heilige genannt, ein paar aber scheinen besonders. Denn sie wurden nur in Balve verehrt, in der Umgebung sonst fast nirgends, wie etwa Eligius. Der aber, so erklärte Josef Sauer, gilt als Heiliger der Schmiede und anderer Handwerker.
Und ist damit die Verbindung zu dem großen Thema, mit dem sich Ronald Förster beschäftigt: Eisenhütten und -verarbeitung im mittelalterlichen Balve, auch schon vor der Luisenhütte. Die Nennung dieses Heiligen in Balve sieht er als weiteren wichtigen Hinweis für die Rolle und das Aufkommen der Eisenverarbeitung zur Zeit der Urkundenausstellung. „Es gab wohl eine Schmiedezunft hier schon vor 1350“, sagt Förster. Im Sommer soll ein Buch erscheinen zur Balver Hüttengeschichte, unter Mithilfe des Professors für Westfälische Landesgeschichte, Wilfried Reinighaus.
Es bleibt also spannend. Nicht nur deswegen. Pfarrarchivar Rudolf Rath war einer der aufmerksamen Zuhörer dieses hoch spannenden Kolpingforum-Vortrags. Und er verwies darauf, dass im Diözesanarchiv Paderborn insgesamt 77 Balver Urkunden lagern, auf lateinisch, aber viele auch niederdeutsch. Josef Sauer berichtete, dass 20 davon schon übersetzt seien. „Wir setzen unsere Hoffnungen auf euch!“, sagte Rath schmunzelnd.
Zum Schluss hatte Josef Sauer eine frohe Botschaft, auch sie augenzwinkernd: „Der Ablass ist immer noch gültig, in der katholischen Kirche wird nichts abgeschafft. Also gehen Sie weiter fleißig in die Kirche!“