Balve. Der Sommer der Extreme stresst Aufforstungen. Förster Richard Nikodem nimmt Jäger in die Pflicht. Woran denkt er?
Das Foto zeigt Idylle pur. Himmel blau, Gras grün, grün sind sogar die Blätter der Bäume. Das Foto stammt von Donnerstagmorgen. „Was für ein schöner Morgen im September in meinem Dorf Garbeck“, heißt es bei Facebook, das Ganze garniert mit dem Hashtag #heimatliebe. Der Sommer, so scheint’s, will kein Ende nehmen. Dabei steht das Ende der Jahreszeit unmittelbar bevor. Am Samstag sind Tag und Nacht gleich lang. Der Herbst beginnt. Zeit für einen Rückblick.
Das Wetter in diesem Sommer gleicht einer Fahrt auf der Achterbahn. Juli und August waren zu kalt, der Juni zu warm und der September sogar viel zu warm. Bis zum Herbstbeginn wird der Monat 4,5 (!) Grad wärmer als im langjährigen Mittel gewesen sein.
Rehwild bedroht Jungwald
Und dann die Niederschläge. Alle Monate dieses Jahres waren – bis auf Juni und September – teilweise viel zu nass. Der August brachte doppelt so viel Regen wie gewohnt. Und im gesamten bisherigen Jahr ist bereits ist das Doppelte an Niederschlag gefallen wie im gesamten Trockenjahr 2016.
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Der Wechsel von Dürre und Starkregen tut der Natur nur bedingt gut. Klaus Schulte vom Naturschutzzentrum Märkischer Kreis hofft, dass reichlich Regen die Wasser-Reservoire der Böden auffüllen. Förster Richard Nikodem hingegen ist skeptisch. Er sorgt sich um Neuanpflanzungen auf den Höhen überm Hönnetal. Die Trockenphasen setzten Setzlingen zu. Sie verfügen noch über kein ausgedehntes und vor allem tiefreichendes Wurzelwerk. Sobald der Oberboden austrocknet, geht jungen Pflanzen dringend benötigtes Wasser aus. Was Dürre nicht schafft, erledigt allzu oft Rehwild. Und genau da hofft Nikodem auf Unterstützung durch heimische Jäger.
„Ich hoffe, dass das Rehwild gezielt bejagt wird“, sagt er und denkt an Bewegungsjagden und an Schützen, die die Tiere waidgerecht erlegen. „Das ist Handwerk, und das muss man erlernen.“ Gefragt seien „sehr konzentrierte und überlegte Jäger, die gute Schützen sind und auch ein ziehendes Stück sicher zur Strecke bringen“. Das erfordere Disziplin, Zeit und Erfahrung.
Wichtig sei zudem, dass an der Jagd ein „vernünftiger Schweißhundführer“ teilnehme. Er sei erforderlich bei möglicherweise erforderlicher Nachsuche. Nicht tödlich getroffenen Tieren solle so ein qualvoller Tod erspart bleiben.
Nikodem weiß, dass selbst nach der Bewegungsjagd genügend Rehwild überbleibe. Natürliche Feinde sind rar. Das Futterangebot indes ist groß. „Was wir kriegen, sind die dummen Rehe, die schlauen kriegen wir sowieso nicht. Die wissen genau, wohin sie sich verdrücken müssen, wenn’s knallt; sie wissen auch, wo der Jäger sitzt.“
Doch genau das sei das Ziel: „Wir wollen die Rehe steuern.“ Denn Rehwild gehöre genauso zum Wald wie die Bäume. „Wald vor Wild: Das ist so ein Schlagwort. Das wird von Jägern gern verwendet. Sie unterstellen, dass Förster nur den Wald wachsen lassen wollen, um da möglichst viel Geld herauszuwirtschaften. Das ist natürlich völliger Blödsinn.“ Warum?
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„Es kommt darauf an, den Wald so aufzubauen, dass wir ihm die Möglichkeit geben, sich so zu entwickeln, dass möglichst viele Baumarten da sind.“ An möglichst großer Vielfalt im Wald sei das Rehwild aber nur unter kulinarischen Gesichtspunkten interessiert. Rehe gelten als die Feinschmecker des Waldes. Allzu oft knabbern sie die Spitzen von Jungpflanzen ab. Und dann wird schnell aus Grün Braun. „Die Folge ist eine Entmischung des Waldes“, sagt Nikodem. „Die Verjüngung des Laubholzes wird sofort weggefressen.“ Nikodem kartiert die Schäden. Verbissaufnahme nennt sich das. „Der Ahorn ist weg, die Esche ist weg, die Eberesche ist weg: alles aufgefressen.“
Das gelte es zu verhindern. Der Druck solle auf Aufforstungsfläche gemacht werden. Andernorts hingegen solle Ruhe einkehren, in mehrerer Hinsicht. „Das Rehwild soll sich dahin verkrümeln, wo es keinen Schaden anrichtet: Das ist die Kunst. Ich setze darauf, dass Jäger da mit uns an einem Strang ziehen.“
Derweil steht weitere Aufforstung im Hönnetal an – nicht nur im Babywald in Mellen. Hilfreich wäre ein feuchter Herbst.