Balve/Plettenberg. Sparkassen-Chef Kai Hagen befürchtet eine Rezession als Folge der Zinswende. Lieferengpässe dürften sich verschärfen. Das ist alles nicht alles.
Die Konjunktur schwächelt. Der Vorstandschef der Vereinigten Sparkasse im Märkischen Kreis, Kai Hagen, äußert sich auf Anfrage der Westfalenpost zu Chancen und Risiken.
Höhere Zinsen bremsen Konsum
In diesem Jahr, sagt der Banker, haben die Unternehmen, die privaten Haushalte und die Banken einen historischen Zinsanstieg zu verkraften: „Die im vergangenen Jahr sehr stark gestiegenen Inflationsraten mussten durch die Notenbanken mit höheren Leitzinsen bekämpft werden. Erste Erfolge sind sichtbar, vor allem die Energiepreise sind – unter anderem wegen der Erwartung einer gedämpften globalen Wirtschaftsaktivität – zurückgekommen. Und doch sind die inflationären Aufwärtsdynamiken noch nicht derart gebrochen, dass die Notenbanken zufrieden wären und rasch von ihrem bremsenden Kurs abrücken könnten.“
Rezession folgt
Der Sparkassen-Chef weiß, dass Zinserhöhungsphasen in der Regel „nach relativ kurzer Zeit in eine mehr oder minder tiefe Rezession“ führten. „Die damit einhergehende Konsumnachfrageverringerung war aus geldpolitischer Sicht gewünscht und trug maßgeblich zur Preisdämpfung bei.“ Denn: „Höhere Zinsen bewirken eine geringere Nachfrage nach Krediten zum Beispiel für Investitionen, da die Gewinnaussichten der Unternehmen sinken. Die Folge ist eine verringerte Geldnachfrage, das Preisniveau stabilisiert sich. Eine ähnliche Wirkung haben Zinserhöhungen auf die Konsumgüternachfrage der privaten Haushalte. Sinkende Zinsen haben die gegenteilige Wirkung.“
Lieferprobleme durch Krieg
Als weiteren Preistreiber sieht Kai Hagen die nach wie vor instabilen Lieferketten: „Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verursacht nach wie vor unermessliches Leid. Auch für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind die Folgen verheerend. Beispiel: Die globalen Lieferketten. Aufgrund der Corona-Krise waren diese ohnehin problematisch. Doch nun werden die Engpässe noch extremer, welche an vielen Stellen bereits zu einem Preisanstieg geführt haben und möglicherweise noch verstärkt werden.“ Der Top-Banker konkretisiert: „Unsere Unternehmen erwarten deutlich höhere Einkaufspreise, die die Inflation weiter erhöhen. Dabei dürften insbesondere die Kosten für Weizen, Holz, einige Rohstoffe sowie Energie kräftig anziehen.“ Eine „Verteuerung der Endprodukte“ sei erwartbar.
Wirtschaft tritt auf der Stelle
Wie hat sich die Auftragslage entwickelt? Die Wirtschaft tritt nach Einschätzung von Kai Hagen auf der Stelle. „Innerhalb des produzierenden Gewerbes sind sehr unterschiedliche Entwicklungen der Wirtschaftsbereiche zu erkennen.“
Zu den Umsätzen sagt der Sparkassen-Chef: „Zu den Branchen, in denen zusammengerechnet der höchste Umsatz erzielt wird, zählen an erster Stelle der Maschinenbau, gefolgt vom Autohandel und den Automobilzulieferern. Die gestiegenen Preise für Vorprodukte beeinträchtigen das Geschäft der Unternehmen spürbar. Betroffen sind vor allem Bau- und Industriebranchen wie Metall-, Auto- und Maschinenbauer.
Hohe Kosten, niedrige Margen
Angesichts der Kostensituation sehen sich Unternehmen einem hohen Margendruck gegenüber.“ Mit Blick auf die gesamte Wirtschaft stellt Kai Hagen fest: „Deutschland ist eines der wenigen Länder, die in eine Rezession gerutscht sind. Aber sie ist nicht wirklich stark ausgeprägt, denn sie läuft bisher ohne eine große Insolvenzwelle bei den Unternehmen und ohne erkennbaren Anstieg der Arbeitslosigkeit ab. Infolgedessen schlagen sich auch die Gewinnentwicklung der Unternehmen, die Kreditvergabe und der Immobilienmarkt wacker, was den Stress im Finanzsektor in erträglichem Rahmen hält.“
Schwache Daten
Das Inlandsgeschäft ist nach Einschätzung von Kai Hagen von einem Auf und Ab geprägt. Im Februar überraschte die Industrie mit einem Auftragsplus. Der Banker macht sich jedoch eine Analyse der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu eigen: „Für eine Entwarnung ist es jedoch zu früh.“ Das Inlandsgeschäft sei von „schwachen Daten“ geprägt. Sie zeigen, „dass die Konjunkturschwäche in Deutschland anhält“.
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Mit Blick aufs Auslandsgeschäft betont Kai Hagen: „Die deutsche Wirtschaft ist in hohem Maße exportorientiert. Rund jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab. Gleichzeitig ist Deutschland als rohstoffarmes Land auch auf Importe angewiesen – vor allem im Energiebereich. Trotz dieser Import-Abhängigkeit liegen in Deutschland die Warenausfuhren seit Jahrzehnten über den Wareneinfuhren.“ Denn zeigt der Trend laut Kai Hagen nach unten.
Löhne treiben Preise
Der Exportüberschuss im Jahr 2022 sei „der niedrigste seit 22 Jahren“. Kai Hagen: „Da unsere mittelständischen Unternehmen hinsichtlich der Qualität ihrer Produkte im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt sind, glauben wir, dass trotz gestiegener Preise und Margendruck noch immer gute Exportchancen bestehen.“
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Steigen die Preise, fordern Arbeitnehmer mehr Geld. Steigen die Löhne, geben Unternehmen die Kosten in Form höherer Preise an ihre Kunden weiter. Kai Hagen: „Viele Mittelständler befürchten wegen der anhaltend hohen Inflation eine Lohn-Preis-Spirale.“
Strom und Gas billiger
Die Kostenbelastung bleibt trotz gesunkener Strom- und Gaspreise und der Preisbremsen weiter hoch. Zusätzlicher Gegenwind entsteht den Unternehmen auch durch die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB). Kai Hagen: „Die gestiegenen Zinsen sehen viele negativ für die eigene Firma. Ein gewisser Anteil der Mittelständler denkt hinsichtlich bestehender Unsicherheiten darüber nach, seine Investitionstätigkeit zunächst zurückzustellen und ausschließlich Ersatzinvestitionen vorzunehmen.“ Denn: „Die Unternehmen klagen zunehmend über einen Mangel an Nachfrage und leben derzeit vor allem vom Abarbeiten ihrer Auftragsbestände.“
USA lockt Mittelständler
Als wäre all dies nicht genug, setzt die US-Regierung die Ampelkoalition mit Subventionspaketen unter Druck. Sie entfalten „eine gewisse Sogwirkung auf deutsche Unternehmen“, meint Kai Hagen. „Diejenigen, die bereits ein Standbein vor Ort haben, werden dieses erweitern. Viele beschäftigen sich aber auch ganz neu mit dem Gedanken, Produktionsverlagerungen anzugehen.“