Balve. Der Alltag von Pfarrerin Antje Kastens hat sich in der Corona-Krise komplett verändert. So sieht er jetzt aus.
Die Arbeit für Pfarrerinnen und Pfarrer hat sich in Zeiten von Corona tiefgreifend verändert. Wie fühlt sich der neue Alltag für sie an? Pfarrerin Antje Kastens von der Evangelischen Gemeinde in Balve berichtet.
„Die Arbeit ist sehr anders: Keine Besuchen im Pfarrhaus, keine Gespräche auf der Straße und kein Herumdüsen in der Gemeinde. Keine Gottesdienstvorbereitungen, Taufelterngespräche, Sitzungen im Gemeindehaus oder Kirchenkreis, keine Abendveranstaltungen. Keine jungen Leute mit Konfirmanden- und Katechumenen-Unterricht und keine Sing-Session mit den Jugendlichen in der ,HomeZone’“, sagt die Pfarrerin.
Stattdessen kommen auf sie Aufgaben zu, die so im Theologiestudium nicht vorgesehen waren. „Krisenmanagement und Organisation von gänzlich neuen Dingen vom heimischen Arbeitszimmer aus: Ganz viele Telefonate, Mails, Internetrecherchen über die aktuelle Lage, inklusive Rechtslage. Dienstliche Lagebesprechungen und Presbyteriumssitzungen erfolgten per Videokonferenz oder gemeinsamer Telefonschaltung.“
Es gibt viel zu reden, viel zu schreiben, zu viel. Pfarrerin Kastens: „Texte zur Information sind jetzt fortwährend neu zu formulieren und werden abgestimmt und verschickt. Die alten Postkarten mit Bibelworte und Mutmachversen kommen mit der guten alten Post auf die Reise zu Geburtstagkindern und Seelsorgefällen.“
„So ergibt sich ein ganz anderer Berufsalltag als sonst – ohne persönliche Kontakte von Angesicht zu Angesicht, aber mit ganz vielen anderen Kontakten und Beziehungen und vielen echten Sorgen, Fragen, Diskussionen. Die Fassade des Alltäglichen ist gefallen. Man schaut hinter die Fassade“, stellt die Pfarrerin fest. Dabei schimmert durch, dass sie bei ihrer Arbeit gerade den Kontakt von Mensch zu Mensch schätzt - und ihn gerade vermisst.
Sie habe selten so inhaltlich beunruhigende und intensive Arbeitstage erlebt wie Freitag, 13. März, und Montag, 15. März. Es seien zugleich Besonnenheit und Konsequenz, die auch weh tue, gefragt gewesen. „Allmählich kommt Übersicht und Ruhe in die Krise, auch dank klarer politischer Entscheidungen, die unabdingbar wurden. Nach meinem Eindruck verändert sich die Gemeindearbeit jetzt sogar zum Positiven: Der Alltag wird plötzlich entschleunigt. Man rückt in den Familien, in der Kirchengemeinde und in der Stadt zusammen, statt hetzend auseinander zu eilen.“
Pfarrerin Kastens glaubt, die unsichtbare Gefahr werfe für viele Menschen Grundsatzfragen auf: „Wofür lebe ich eigentlich?“ Doch nicht um zu arbeiten und Geld zu verdienen und es auszugeben und wieder zu arbeiten und Geld zu verdienen? Also geraten auch die Lebenswerte mehr in den Mittelpunkt.“
Die Pfarrerin beobachtet in der Corona-Krise eine bemerkenswerte Entwicklung: „Kirchendistanzierte bieten ihre Hilfe an und werden an Bedürftigen übermittelt. Man fragt in Telefonaten nach dem Hintergrund, statt über die Fakten zu lamentieren.“ Pfarrerin Kastens weiter: „Ich empfinde es als neue soziale Fürsorge, als gesellschaftliche Verantwortungsnahme und als aktives, gemeinsames Anpacken dieser Krise.“
Die Gemeinde habe neue Formate gefunden: In den Gruppen der Kirchengemeinde sind Telefonketten errichtet. Die Erzieherinnen unseres Kindergartens boten eine Telefonvermittlung für Einkaufsdienst oder Rezeptdienst an. Die Kirche ist während der Gemeindebürozeiten offen und hat einladende Bibelkarten und Gebete ausliegen. Es sind auf der Homepage aktuelle Informationen und Videoclips der Seelsorgerin und des Presbyteriums zu finden. Katechumenen wurden gebeten, Brief und Malbilder für einsame Senioren zu erstellen, die über das Pfarramt verschickt werden. Eine Gemeindebrief-Sondernummer entsteht gerade. „Und das ist nur der Anfang“, meint Pfarrerin Kastens, „Es wird wohl derzeit täglich was Neues dazukommen.“