Balve. Der DeCent-Laden in Balve braucht weiter Spenden und Helfer - obwohl sich die Lage der Armen verbessert hat. Eine ungewöhnliche Geschichte.
Früher war längst nicht alles besser. Alice Runte kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Sie ist das Gesicht des DeCent-Ladens der Caritas an der Bogenstraße, auch wenn die Arbeit in dem Sozialsupermarkt nur mit einem 20-köpfigen Helferteam zu stemmen ist – ganz wörtlich übrigens. Früher: Das war vor fünf Jahren, das war 2015. Damals kamen so viele Flüchtlinge binnen kürzester Zeit nach Balve, dass die Damen und Herren vom DeCent-Team nicht wussten, wo ihnen der Kopf stand. Das ist inzwischen besser geworden, viel besser. Hilfsbedarf gibt es dennoch, und auch der DeCent-Laden braucht unvermindert Spendengeld.
Die Bäcker-Familie Tillmann fühlt sich der Caritas im Allgemeinen und dem DeCent-Laden im Besonderen seit langem verbunden. Jetzt hat Rainer Tillmann, Bäckermeister und Chef von 16 Filialen in der Region, eine neue Spenden-Aktion gestartet. Ab Aschermittwoch bietet er ein Fastenbrot an: „60 Prozent Roggen, 40 Prozent Weizen“, beschreibt er sein Rezept. Kernig ist das Brot obendrein. Kerne von Sonnenblume und Kürbis sind drin, obendrein Leinsamen. Der Laib ist in Sesam gewälzt.
Wenige Weight-Watchers-Punkte
Die kohlenhydratreiche Kost passt sogar in einen Diät-Plan. „Meine Frau“, verriet Rainer Tillmann, „war bei den Weight Watchers und hat nachgefragt. Das Ergebnis: Unser Brot hat relativ wenig Punkte.“ Pils und Chips vorm abendlichen Fußball-Fernsehen setzen deutlich mehr an, meint Rainer Tillmann durchaus selbstkritisch. Fasten in der Fastenzeit: Das ist für ihn ein ganz persönliches Thema.
Um Verzicht geht es Rainer Tillmann auch beim Fastenbrot. 3,50 Euro verlangt er für den 750-Gramm-Laib. 50 Cent pro Brot gehen an den DeCent-Laden.
Alice Runte und ihre Mannschaft können das Extra-Geld – trotz sinkender Kunden-Zahl – gut gebrauchen. Dafür nennt sie gute Gründe. „Wir kaufen haltbare Ware ganz normal im Supermarkt“, erläutert sie im Gespräch mit der „Westfalenpost“. „Und außerdem müssen wir für den Laden Miete zahlen.“ Das war früher ein wenig anders. Im längst abgerissenen Pfarrheim war der DeCent-Laden kostenfrei einquartiert – bis vor zwei Jahren. Alice Runte richtet sich darauf ein, dass der Sozialsupermarkt noch eine ganze Weile an der Bogenstraße bleibt. Bisher gibt es für das neue Pfarrheim nicht einmal den ersten Spatenstich.
Während das DeCent-Team mit Blick auf die Räume Geduld braucht, hat sich die Lage der Armen im Stadtgebiet merklich entspannt.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen im Stadtgebiet lag im März 2017 bei 78. Im vorigen Dezember waren es 20 weniger, wie Kira Muth, Sprecherin der Arbeitsagentur in Iserlohn, der WP mitteilte. Parallel schrumpft die Zahl der Hartz-IV-Familien in Balve. Ab Oktober 2018 schrumpfte sie binnen Jahresfrist von 238 auf 209 zusammen.
Hartz-IV-Empfänger, alte Menschen, die Grundsicherung benötigen, und Flüchtlinge, die Asylbewerberleistungen erhalten: Wer nachweislich auf Sozialleistungen angewiesen ist, hat Aussicht auf einen Einkaufsausweis im Laden. „Wir haben aktuell 35 Ausweise ausgestellt. Sie gelten jeweils für ein Kalender-Jahr“, rechnet Alice Runte vor, „damit werden ungefähr 80 Menschen versorgt. Mancher Ausweis-Inhaber lebt allein, andere haben Familie, fünfköpfig oder sogar siebenköpfig.“
Alice Runte weiß, dass diese Zahl nur einen Teil der Berechtigten spiegelt: „Mancher nimmt unser Angebot nicht in Anspruch. Vielleicht sind diese Menschen zu stolz dazu.“ Genaue Zahlen kennt sie nicht. Eine Schätzung, meint sie, wäre zu ungenau.
2018 kam die Wende
35 Ausweise hingegen sind Fakt: wenig verglichen mit dem Bedarf vor fünf Jahren. „Damals haben wir 100 Ausweise ausgestellt“, erinnert sich Alice Runte, „der Andrang war so groß, dass wir den Inhabern lediglich erlauben konnten, einmal im Monat Lebensmittel mitzunehmen.“ Dabei hat der DeCent-Laden zweimal im Monat geöffnet.
Bis 2018 herrschte großer Andrang. Seither nehmen immer weniger Arme die Möglichkeit in Anspruch, mit Spendengeld verbilligte Lebensmittel zu kaufen.
Wo liegen die Ursachen für den Wandel? Fachleute verweisen auf einen Arbeitsmarkt, der trotz Konjunkturdelle immer noch als stabil gilt. Vom jahrelangen Boom haben nach Einschätzung von Alice Runte auch Flüchtlinge profitiert: „Ich sehe, dass immer mehr von ihnen in Lohn und Brot stehen.“