Neheim. Neheimer Versammlungsort der Zeugen Jehovas: Im Glauben streng an Bibel orientiert und auch dadurch in der Kritik

Das Haus im Neheimer Ohl verspricht ein Königreich. Die „Zeugen Jehovas“ nennen ihre Gemeinde-Treffpunkte „Königreichsaal“. Hier ist der Raum, in dem die Glaubensgemeinschaft zusammenkommt und ihre Gottesdienste feiert. Viele kommen am Gebäude vorbei, viele reden darüber, aber nur wenige schauen rein oder sprechen mit den Zeugen Jehovas. Diese müssen sich mit Vorurteilen, Kritik an strengen internen und Glaubensregeln und auch Ressentiments auseinandersetzen. Auch als Sekte werden sie immer wieder bezeichnet. Fakt aber ist: Sie gelten in Deutschland inzwischen in allen Bundesländern als anerkannte Glaubensgemeinschaft und als Körperschaft des öffentlichen Rechts.

In Arnsberg hat sich 1948 die erste Gemeinde gegründet. Inzwischen werden in den Königreich-Sälen Arnsberg-Ost (138), Arnsberg-West (113) und Arnsberg-Mitte (133) insgesamt 384 sogenannte Verkünder gezählt. Die Versammlungen der Königreich-Säle Arnsberg-West und -Mitte finden in Neheim statt. Die Zeugen Jehovas aus Sundern sind dem Bereich Neuenrade zugeteilt. „In den letzten Jahren haben wir Zuwachs gehabt. Deshalb gab es auch die Neuorganisation“, sagt NRW-Regionalsprecher Fabian Göser. Im Neheimer Königreich-Saal trifft sich zudem eine 37-köpfige russisch-sprachige Gruppe (darunter 9 Ukrainer).

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„Wachturm“ und Haustürbesuche

Die „Zeugen Jehovas“ wecken Bilder im Kopf. Da sind die Grüppchen, die am Straßenrand den „Wachturm“ präsentieren, die Haustürbesuche oder auch Erinnerungen an Klassenkameraden, die Dinge nicht durften, die alle durften. Und doch führen die Gemeindemitglieder heute ein Leben inmitten der Gesellschaft, auch wenn sie oft unter im Privaten unter sich bleiben. „Oft höre ich, aber du bist doch so normal!“, erzählt Petra Kehayoglou aus der Neheimer Gemeinde, „sind wir ja auch. Wir tragen ja nicht irgendwelche Zeichen“. Die 39-Jährige will zusammen mit Sarmeni Lux-Batista (33) aufklären und Vorbehalte abbauen.

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Martin Haselhorst 
Von Martin Haselhorst

Es soll kein Geheimnis sein, was in den Sälen passiert. In Neheim präsentiert sich ein mit modernster Technik ausgestatteter Versammlungsraum, aufgebaut aus eigenen Mitteln. Hier kommt die Gemeinde zusammen. Sogenannte „Älteste“ übernehmen seelsorgerische Aufgaben, Fragen der Lehre und Organisation. „Verkündiger“ wollen sie alle sein. „Pioniere“ sind Bibellehrer und Missionare. „Wir nennen uns Christen und glauben an den einen Gott. Wir wollen ihm nachahmen“, sagt Petra Kehayoglou. Im Mittelpunkt stehe der Wortlaut der Bibel. „Sie steht über später gemachte Regeln“, sagt Fabian Göser (31).

Wehrdienst wird abgelehnt

Bringt das nicht auch Gesetzeskonflikte? „Nein“, sagt Petra Kehayoglou, „die Bibel sagt auch, dass wir uns an Gesetze halten müssen“. Und doch gibt es da Grenzen. So verweigern Zeugen Jehovas aus Gewissensgründen den Wehrdienst. Das führte in totalitären Systemen wie dem NS-Staat und in der DDR zu Verfolgungen. Die strenge Orientierung auf den Wortlaut der Bibel umfasst das Alte und das Neue Testament. „Man braucht beides, um zu verstehen“, sagt Fabian Göser. Dabei müssen auch die Zeugen Jehovas interpretieren, welche Bibelworte heute zum Beispiel auf das Internet anwendbar sind. In anderen Lebensbereichen sind die Aussagen der alten Schriften klarer.

Sexualmoral und Rolle der Frau

Zum Beispiel bei der Sexualmoral oder dem Rollenbild der Frauen: „In der Bibel ist der Mann das Haupt der Familie“, sagt Sarmeni Lux-Batista, „da gibt es eine klare Rollenverteilung. Aber man ist immer ein Team“. Als Entrechtung der Frau wertet sie dieses Prinzip nicht.

Sie hat mit 16 Jahren die Entscheidung gefällt, sich als Zeugin Jehovas taufen zu lassen. Ihr Vater war Hindu, den sie auch mit in den Tempel begleitet hatte, die Mutter Zeugin Jehovas. „Ich konnte selbstständig entscheiden“, sagt sie. Petra Kehayoglou hat sich sogar erst mit 33 Jahren taufen lassen. Groß geworden war sie in der evangelischen Kirche. „Über die Jahre gemerkt, dass die Zeugen Jehovas für mich das Richtige sind“, erzählt sie. Kinder werden bei den Zeugen Jehovas in der Regel nicht früh getauft. „Erst dann, wenn eine Entscheidung selbst getroffen wird“, so Sarmeni Lux-Batista. Klar aber auch, dass Kinder in den Familien entsprechend sozialisiert werden, was Entscheidungen immer beeinflusst.

Zwang und Druck

Einen der Glaubensgemeinschaft von außen unterstellten Zwang innerhalb der Gruppe dementieren die beiden Verkünderinnen der Neheimer Gemeinde entschlossen. Das gelte sowohl für Spenden für die lokale und weltweite Arbeit der Zeugen Jehovas („die sind freiwillig“) als auch für aktive Missionsarbeit mit „Wachturm“ und Hausbesuchen. „Niemand muss losziehen“, sagt Sarmeni Lux-Batista. „Auch zum Predigtdienst hat mich nie jemand gezwungen“, ergänzt Petra Kehayoglou. Beide beteuern, dass die „Zeugen Jehovas“ nicht bekehren, sondern den Glauben, ihren Glauben, nahe bringen wollen. Der aber weist im Vergleich zum üblichen christlichen Kontext viele Befremdlichkeiten aus. So feiern die „Zeugen“ kein Weihnachten (so wie überhaupt keine Geburtstage), sondern sehen den Todestag von Jesus als höchsten Feiertag mit einem Gedächtnismahl an. Weitere Feiertage sind jährliche Kongresse der Glaubensgemeinschaft.

Verbote und Konsequenzen

Auch die Kinder leben in ihren Familien nach der Bibel. Und die spricht auch Verbote aus. „Die dürfen nix!“, ist ein Satz, den die Zeugen Jehovas viel über sich hören. „Auch wir dürfen alles!“, widerspricht Petra Kehayoglou, „die Frage ist ja, ob wir es möchten“. Es werde niemand gezwungen, der Glaubensgemeinschaft anzugehören, und auch bei der Strenge der Auslegungen gebe es Unterschiede von einem Verkünder zum anderen. „Das sind dann persönliche Gewissensentscheidungen“, sagt Sarmeni Lux-Batista. Im Widersprich dazu ist aber häufig auch von sozialen Konsequenzen wie „Gemeinschaftsentzug“ zu hören, wenn gegen ganz wichtige Grundlagen der Glaubensgemeinschaft verstoßen wird. Dann würden oft ganze soziale Umfelder zusammenbrechen. Immer wieder berichten ehemalige Zeugen Jehovas auch von ihren Problemen mit dem „Ausstieg“ aus der Gemeinschaft.

Fabian Göser kennt diese Diskussionen und will sich ihnen auch stellen. „Wir freuen uns, wenn uns jemand fragt“, sagt der junge Mann. Mit der Kritik geht er - wie von einem NRW-Regionalsprecher erwartbar - professionell um.