Arnsberg. In der Villa Becker testet der junge Unternehmer Richard Ulrich derzeit das Near Office. Was daran so besonders ist, erfahrt ihr hier
Noch ist Richard Ulrich ziemlich allein, wenn er morgens die Villa Becker betritt und dann seinen Büroraum ansteuert. Gelegentlich sei eine junge Studentin da, die derzeit an ihrer Abschlussarbeit schreibt, aber meistens sei es ruhig hier auf der Etage.
„So ein bisschen Small-Talk zwischendurch wäre schön. Der Austausch mit anderen Menschen aus anderen Berufszweigen wäre schon reizvoll“, erklärt der junge Unternehmer, der aus Arnsberg stammt.
1910 im Stil des späten Historismus erbaut
Die Villa Becker wurde im Jahr 1910 im Stil des späten Historismus erbaut.
Der Buchdruckereibesitzer Paul Becker senior ließ das Haus – nach einem Vorbild aus Hagen/Westfalen – vom Architekten Paul Sander errichten.
Die dreigeschossige Villa ist weitgehend im Original erhalten. Besonderheiten sind nicht nur das imposante Treppenhaus mit Buntverglasung, sondern auch die großzügige Gartenanlage und die Außenfassade mit ihren geschweiften Zwerchgiebeln.
Nach seiner Schulzeit ist Ulrich nach Köln gegangen, um dort VWL zu studieren. Nun hat es ihn und sein kleines Start-Up nach fünf Jahren Abstinenz wieder ins Sauerland gezogen. „Ich renoviere gerade in direkter Nähe ein altes Haus, das ich geerbt habe, und war auf der Suche nach einem geeigneten Büroraum, den ich nutzen kann, solange das Haus noch nicht fertig ist“, verrät der 26-Jährige.
Fündig wurde der Entwickler einer Finanzdienstleistung für eine Bank in der sogenannten Villa Becker auf der Rumbecker Straße. Das alte Wohn- und Geschäftshaus der Unternehmerfamilie Becker befindet sich aktuell in einer Art Transformationsphase. Denn es gibt Bestrebungen, hier zahlreiche kleine Büro- und Arbeitsräume zur Fremdnutzung einzurichten.
Arbeitskreis Digitalisierung
Auf den Weg gebracht hat es ein kleines Team rund um CDU-Ratsmitglied Stefan Kempen.
„Die Idee ist eigentlich im Arbeitskreis Digitalisierung entstanden. Dieses Gremium soll parteiübergreifend agieren und Fachexperten die Möglichkeit geben, sich zu überlegen, wie man Arnsberg digital weiterentwickeln kann. In der Runde entstand dann das Konzept einer Bürolösung, die für Pendler und Unternehmen zugleich attraktiv und von Vorteil sein kann: das sogenannte Near Office.
„Ich persönlich bin auch immer unterwegs nach Dortmund und ich habe gemerkt, wie viel Zeit man verliert und welche Kosten dabei entstehen. Deswegen fand ich eine Lösung, bei dem man Geld sparen und die Umwelt entlasten kann, sehr gut. Außerdem gewinnt man kostbare Lebenszeit, in dem man weniger im Stau steht“, verrät Kempen.
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Jetzt könnte man einfach sagen. Für diese Probleme gibt es eine Lösung, die den meisten spätestens seit Corona bekannt sein dürfte – das Home-Office.
Doch Kempen widerspricht. „Ich glaube viele von uns haben gemerkt, dass das auf Dauer nicht die Lösung sein kann, weil nicht jeder die räumlichen Möglichkeiten für ein Arbeitszimmer hat und es auch mit Kindern schwierig sein kann, im Home-Office zu arbeiten.“
Das Near Office dagegen sei eine intelligente Alternative mit Potenzial, glauben Kempen und seine Mitstreiter.
„Man hat in Arnsberg in zentraler Lage Büroräume, kann dort in Ruhe arbeiten und ist effektiv für seinen Arbeitgeber im Einsatz, ohne lange pendeln zu müssen. Und wenn man zwischendurch mal etwas erledigen muss, wie einen Arztbesuch oder die Kinder irgendwo abzuholen, lässt sich das prima mit der Arbeit vereinbaren“, ist sich Gründer Stefan Kempen sicher.
Unterschied zu Co-Working-Space
Der Unterschied zu den bereits vorhandenen Co-Working-Spaces liege in der baulichen Konzeption. „Es sollen keine Großraumbüros entstehen, sondern kleine abschließbare Büroeinheiten, die abgeschottetes Arbeiten zulassen. Die Büros benötigen schnelles Internet, ergonomische Möbel und müssen so abgedichtet sein, dass man Telefonate und Meetings führen kann, ohne dass der Nachbar alles mitbekommt.“ Eine Kantine sei nicht notwendig, weil sich die Mieter im Ort ihr Mittagessen oder die Snacks für zwischendurch besorgen könnten. „Das steigert zugleich die Kaufkraft vor Ort als positiven Zusatzeffekt“, verspricht Kempen.
Nun ist ein solches Konzept das eine, die Realisierung das andere. Und genau an dieser Stelle kommt Christine Becker mit der Villa Becker ins Spiel:
„Ich hatte eine ähnliche Idee der Bürogestaltung für die Zukunft und habe dann Kontakt zum Arbeitskreis Digitalisierung aufgenommen, um zu sprechen, ob wir eine gemeinsame Lösung für Arnsberg finden können“, erklärt die Geschäftsfrau.
Bis zu 20 Arbeitsplätze
Auf Dauer sei in der denkmalgeschützten Villa Becker in der Rumbecker Straße eine Nutzungsänderung angestrebt, denn jahrelang befanden sich dort Wohnungen.
„Ohne große bauliche Veränderungen sind hier sicherlich mindestens zwölf Räume für solche Kleinbüros nutzbar. Möglicherweise können wir sogar bis zu 20 Arbeitsplätze einrichten“, hoffen Kempen und Becker.
Unterstützt wird das Konzept aus Mitteln des Fördertopfs „Smart-City“. Die Stadt Arnsberg hat für dieses und nächstes Jahr jeweils 25.000 Euro bereitgestellt. Noch ist das Geld allerdings nicht geflossen, weshalb das Near Office auch weiterhin in den Kinderschuhen steckt. Richard Ulrich soll momentan als „Versuchskaninchen“ austesten, wo die Kinderkrankheiten in dem Projekt stecken und was man noch verbessern muss. „Wir müssen uns auch noch auf die Trägerschaft einigen. Vielleicht ist ein von uns ins Leben gerufener Verein als Träger eine Möglichkeit, um möglichst alle unsere Vorstellungen umsetzen zu können. Bei einem Investor von außerhalb sei dies nicht unbedingt gegeben.
Die junge Studentin, die ab und zu einen der Räume für ihre Arbeit nutzt, könnte auch neue Perspektiven eröffnen. „Vielleicht können wir das Angebot auch auf Studierende ausweiten“, so Kempen. Doch bis man Kosten für die Vermietung ermitteln könne, müsse man noch einige Ideen durchspielen und austesten. Jungunternehmer Ulrich jedenfalls freut sich, noch einige Zeit den Testnutzer spielen zu dürfen. „Mir gefällt es hier und ich fühle mich wohl. Jetzt fehlen nur noch weitere Mieter.“