Pfarrer Dr. Udo Arnoldi von der evangelischen Kirche in Neheim über das Leben in der Corona-Zeit.

Liebe Leserinnen und Leser,

der morgige Sonntag trägt in der Kirche den Namen „Misericordias Domini“. Er erinnert an die „Barmherzigkeit des Herrn“. Diese gilt insbesondere den Menschen, die in Not oder auf Abwege geraten sind. Davon hat Jesus erzählt, zum Beispiel im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Jesus hat die Menschen Gottes Barmherzigkeit spüren lassen, vor allem die Schwachen, die Kranken und die schuldig Gewordenen.

Wir erleben derzeit, wie die Regierenden versuchen, die Schwachen und die besonders Gefährdeten vor dem Virus zu schützen. Sie muten uns Einschränkungen zu, wie wir sie noch nie erlebt haben. Auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen, für die Kranken da zu sein – das ist heute ein Gebot der Vernunft. Es ist auch die Haltung, die aus dem Glauben an Christus erwächst.

Strafe Gottes? Nein!

Einige Menschen verstehen die Pandemie als eine Strafe Gottes. Sie sehen das Leid der Kranken und Sterbenden. Sie sehen die schlimmen Folgen, die alle Schutzmaßnahmen für Abermillionen Menschen nach sich ziehen. Sie meinen, dass diese „Strafe“ die Menschen zur Umkehr ruft und zur Besinnung auf Gott führen wird.

Ich sehe das anders. Ich bin davon überzeugt: Wir Christen haben von Gottes Barmherzigkeit zu reden und sie durch unser Leben zu bezeugen. Wir leben von seiner Barmherzigkeit - nicht nur der Pastor und die Christen, nein, alle Menschen, ja, alle Geschöpfe auf der Erde. Daran erinnert der Vers, dem dieser Sonntag seinen Namen verdankt: … die Erde ist voll der Güte des HERRN. (Ps 33,5b)

Freude an Schöpfung

Vielleicht geht es Ihnen wie mir – jedenfalls, wenn Sie Ihre Wohnung verlassen können. Täglich freue ich mich, wie der Frühling unser Land verwandelt. Blätter, Blüten und Blumen zeigen mir den Reichtum der Natur und die Güte ihres Schöpfers. Dieser Frühling lindert die Härte der Einschränkungen, unter denen wir leiden.

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So sehr ich mich daran erfreue, weiß ich, dass dieser Hinweis nicht ausreicht, um Menschen von Gottes Güte (oder Barmherzigkeit, wie die lateinische Bibel übersetzt hat) zu überzeugen. Denn das lebensgefährliche Virus ist ein Teil der Schöpfung. Es bestimmt unser Leben mehr, als uns lieb ist. Ja, es schädigt unser Leben, selbst wenn wir nicht von ihm infiziert sind. Je länger, desto mehr erkenne ich, wie sehr ich körperliche Nähe und Gemeinschaft brauche. Es fällt mir schwer, konsequent 1,5 m Abstand zu meinen Mitmenschen zu wahren.

Der gute Hirte

Die Kirche hat als Leitbild für diesen Sonntag den Guten Hirten gewählt. Der Spruch für die neue Woche lautet: Jesus Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben. (Joh 10,11a.27-28a) Christus verkörpert das Ideal eines guten Hirten. Er hat sich um alle gekümmert, die zu ihm kamen. Er hat sich denen zugewandt, die es besonders schwer hatten. Er ist für alle Menschen gestorben. Er hat durch sein Leben, Sterben und Auferstehen vielen Menschen zu einem Glauben an Gottes Güte und zu einem erfüllten Leben verholfen.

Viele Menschen, die derzeit für die Gefährdeten da sind oder den Erkrankten helfen, tun das aus ihrem Glauben heraus. Viele, die sich große Mühe geben, niemanden zu infizieren, tun das aus Nächstenliebe. Wir sind alle auf eine große Geduldsprobe gestellt, quasi in eine Schule für gegenseitige Rücksichtnahme geschickt.

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Schenke Gott, dass wir jeden Tag neu seine Güte erfahren und so in gütigere, barmherzige Menschen verwandelt werden. Das wünsche ich uns. Dann können wir diese schwere Zeit zuversichtlich überstehen.


Ihr Udo Arnoldi, Pfarrer