Arnsberg. . Ein 82-Jähriger muss sich vor dem Landgericht Arnsberg wegen Totschlags verantworten. Er hat seine pflegebedürftige Ehefrau erdrosselt.

Mit bedächtiger Stimme schildert der 82 Jahre alte Rentner auf der Anklagebank die letzten Minuten im Leben seiner ein Jahr jüngeren, pflegebedürftigen Ehefrau: „Es war der Tag nach Ostern. Sie hat mich nach 5 Uhr morgens zu sich ins Wohnzimmer gerufen. Als ich an ihrem Pflegebett stand, ist es über mich gekommen. Ich ­habe ihr erklärt, dass ich ihr die Kehle zudrücke und mir anschließend die Pulsadern aufschneide.“

Er würgt mit seinen Händen an ihrem Hals, holt dann aus dem Schlafzimmer einen Bademantelgürtel, zieht so lange an den Enden, bis sich die Frau nicht mehr rührt. „Sie hat sich nicht gewehrt“, sagt der Mann aus Arnsberg-Bachum fast ein halbes Jahr nach der Tat im Gericht. Und doch: „Ich bereue es, kann bis heute nicht verstehen, dass ich zu solch einer Tat fähig war.“

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Der Angeklagte im Landgericht Arnsberg hatte nach dem Erstickungstod seiner Ehefrau tatsächlich versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Weil irgendwann kein Blut mehr floss, so erzählt er, wollte er dann sein Leben durch einen Sturz von der Kellertreppe beenden. „Ich dachte, ich breche mir dabei das Genick“, sagt er und fügt ein kurzes „Aber....“ hinzu. Die Tochter im Haus hörte das Poltern, rief den Notarzt. Der Rentner wurde gerettet.

Bislang ein unbescholtener Bürger

„Wir haben es nicht alle Tage mit einem Angeklagten in einem ­solchen Lebensalter zu tun“, sagt der Vorsitzende Richter der 2. Großen Strafkammer, Klaus-Peter ­Teipel, zu Beginn des Totschlags-Prozesses. Rechts von ihm sitzt der geistig und körperlich fitte Angeklagte, ein bis zum 3. April 2018 völlig unbescholtener Bürger. In der Woche vor Ostern hatte er ­täglich seine Ehefrau in einer ­Kurzzeitpflege besucht. Eine be­lastende Situation für ihn. „Ich sah, wie meine Frau gepackt und in einen Rollstuhl gesetzt wurde. Das hat mich geprägt.“

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Nach mehreren Stürzen war die 81-Jährige, „mit der ich in mehr als 57 Jahren Ehe nie richtig Krach hatte“, ein Pflegefall. „Sie hat oft ­gesagt, dass ich sie überleben solle, damit sie nicht auf andere ange­wiesen ist.“ Als der gelernte Maurer und spätere Chemiearbeiter am Tattag am Pflegebett stand, habe er sich in einer „Kurzschlusshandlung“ entschlossen, „Schluss zu machen“, so der Vater zweier ­Töchter. „Ich war einfach überfordert, die Situation erschien mir aussichtslos. Ich dachte mir, wenn sie nicht mehr richtig auf die Beine kommt, ist das Leben für uns beide nicht mehr lebenswert.“ Finanzielle Schwierigkeiten hatte das Ehepaar nicht.

Dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden zufolge sind fast 3 Millionen ­Menschen in Deutschland pflege­bedürftig. Annähernd drei Viertel aller Pflegebedürftigen ­werden zu Hause versorgt. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest zufolge fühlen sich 42 Prozent der daheim Pflegenden „schwer belastet“, 41 Prozent sogar „extrem belastet“. Die Behörden führen keine Statistiken über ­Tötungsdelikte in Familien rund um pflegebedürftige Angehörige, weil sie selten sind. Aber es gibt sie.

Töchter stehen Vater zur Seite

Nur einmal übermannen den ­82-jährigen Rentner, der sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt Hamm in Untersuchungshaft befindet, im Arnsberger Gerichtssaal die Gefühle. „Meine Kinder stehen so hinter mir“, sagt er und muss kurz schluchzen. Seine beiden Töchter (51 und 56) sagen später aus, dass ihr Vater alles für seine Ehefrau getan habe und sie gepflegt habe, seitdem sie stark gehbehindert war. „Alleine wäre sie nicht klargekommen“, sagt die ältere mit Blick auf die Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter. „Wäre Ihr Vater klar gekommen“, fragt Richter Teipel daraufhin. Ihre kurze Antwort: „Ja.“

Der Prozess wird am 25. September fortgesetzt.