Arnsberg. . Thomas Sommer von der Arnsberger Bezirksregierung über die Suche nach weiteren Flüchtlingsunterkünften und die Lehren aus Burbach.

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Die Arnsberger Bezirksregierung organisiert die Unterbringung der Flüchtlinge in NRW. Seit dem 1. Januar leitet Thomas Sommer das Dezernat für Asyl­angelegenheiten.

Die geschätzten Flüchtlingszahlen für NRW in diesem Jahr wurden bereits von 60 000 plus X auf über 80 000 korrigiert. Können Sie abschätzen, welche Zahl am Ende des Jahres stehen wird?

Thomas Sommer: Nein, das wäre wie ein Blick in eine Glaskugel. Nach wie vor erreicht uns eine große Zahl. Am vergangenen Montag waren es in den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) Dortmund und Bielefeld in 24 Stunden 939 Personen. Bereits vor einer guten Woche haben wir den 60 000. Flüchtling gezählt, der seit dem 1. Januar nach NRW gekommen ist.

Sie suchen weiter nach Liegenschaften für Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE)?

Für den Herbst benötigen wir weitere dauerhafte Einrichtungen mit 500 bis 800 Plätzen. In NRW sollen bis zu 16 500 Plätze bereit stehen. Derzeit liegen wir bei 10 450 Plätzen inklusive der Notunterkünfte. Es sind aber weitere Reservekapazitäten in Planung.

Wann ist ein Gebäude geeignet?

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Es muss schnell und ohne großen baulichen Aufwand zu aktivieren sein. Klassischerweise sind dies Kasernen, Kliniken und Ferienwohnheime. Am besten ist eine Struktur mit mehreren Gebäuden – damit man verschiedene Ethnien unterbringen und bei medizinischen Ereignissen wie einem Windpockenausbruch Menschen räumlich trennen kann.

Welche weiteren Standorte haben Sie in Südwestfalen ins Auge gefasst?

Das ehemalige Kasernengelände in Möhnesee-Echtrop wäre prädestiniert. Mit der ehemaligen Suchtklinik in Oeventrop könnten wir weiter sein, wenn nicht der Investor abgesprungen wäre. Aber die Stadt Arnsberg sucht intensiv einen neuen Investor.

Sind die Landeseinrichtungen gleichermaßen auf Westfalen und das Rheinland verteilt?

Nach wie vor sind Süd- und Ostwestfalen Schwerpunkte. Aber das Rheinland zieht nach.

Erleben Sie nach wie vor Widerstände in Kommunen?

FlüchtlingeGrundsätzlich: Kommunen fühlen sich der humanitären Hilfe verpflichtet. Es herrscht eine große Hilfsbereitschaft. Bei einer Bürgerversammlung in Wickede-Wimbern erzählte ein Herr, dass Flüchtlinge an seinem Haus vorbei gehen. Er sagte: „Die könnte ich doch mal zum Grillen einladen.“ Und in Bad Berleburg bin ich mit meinem Auto hinter einem Bus mit Flüchtlingen gefahren. Ältere Menschen winkten ihnen vom Straßenrand aus zu. Sie seien nach dem Krieg auch freundlich in Südwestfalen aufgenommen worden, sagten sie.

Aber es gibt doch auch Ängste und Sorgen in der Bevölkerung?

Natürlich gibt es Fragen („Warum ausgerechnet bei uns?“) und ­Befürchtungen. Aber Auswertungen der Polizei belegen: In der ­unmittelbaren Umgebung zu den ­Einrichtungen ist die Kriminalitätsbelastung nicht höher als anderswo. Die Kreispolizeibehörden zeigen regelmäßige Präsenz an den Einrichtungen.

Wie nimmt man die Bürger mit, um Akzeptanz zu fördern?

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Indem man sie sachlich und ausführlich informiert. Zum Beispiel in Bürgerversammlungen. Außerdem empfehlen wir, eine Bürgersprechstunde in der Einrichtung einzuführen. In Wickede wurde darin beispielsweise über Müll in der Umgebung der Einrichtung geklagt. Wir haben darauf reagiert.

Es gibt eingezäunte Einrichtungen. Was ist der Hintergrund?

Eine Empfehlung von Feuerwehr und Polizei. Wir müssen immer wissen, wie viele Menschen in den Gebäudekomplexen sind. Wir streben aus Gründen der inneren und äußeren Sicherheit überall Einzäunungen an. Ich betone aber: Wir machen da keine Gefängnisse auf.

Was hat Ihre Behörde aus den bekannt gewordenen Misshandlungen in Burbach gelernt?

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Sehr viel. Die Ereignisse haben den Umgang mit Flüchtlingen verändert. Jeder ist sensibilisiert, ­menschenwürdig mit ihnen um­zugehen. Burbach hat gezeigt, dass es Standards bei Unterbringung und Versorgung geben muss, die ­regelmäßig überprüft werden. Wir haben drei Zweier-Teams aus ­pensionierten Polizeibeamten ­gebildet, die unangemeldet in den Einrichtungen auftauchen und die Sicherheitsdienste überprüfen.

Wie bewältigen Sie angesichts der Flüchtlingszahlen die Mammutaufgabe in Ihrer Behörde?

Es ist in der Tat eine außer­­ordent­liche Belastungssituation. Meine Kollegen machen Grenzerfahrungen. Aber die macht man nur, wenn man eine bestimmte Überzeugung hat. Es geht darum, Menschen zu helfen, die aus ihrer Heimat ­geflohen und traumatisiert sind.