Elkeringhausen. Renate Laudage-Kleeberg ist Kirchenkritikerin. Austreten möchte sie nicht. Die Autorin, die bald im Sauerland aus ihrem Buch liest, erklärt warum

„Obdachlos katholisch“ unter diesem Titel hat die Religionswissenschaftlerin, Volkskundlerin und Philosophin Regina Laudage-Kleeberg ein Buch geschrieben. Eigentlich tut ihr das Katholischsein gut; die Werte, die Traditionen und Rituale. Aber irgendwie ist die Institution nicht mehr ihr Zuhause. Am Samstag, 16. September, ist die Autorin in der Reihe „Buch im Zelt“ um 19 Uhr zu Gast in der Zeltkirche in Elkeringhausen (Eintritt frei, keine Voranmeldungen).

Die Autorin kennt „den Laden“: Jahrelang hat sie leidenschaftlich im Bistum Essen und in der Radioverkündigung gearbeitet. Im Buch erzählt sie sehr persönlich, wie Katholischsein geht, wenn die Kirche so gar nicht geht. Und sie beschreibt eine neue Heimat für all die Gläubigen, die katholisch bleiben wollen, aber zur Institution Kirche Nein sagen.

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Die Zeltkirche in Elkeringhausen: Hier liest die Autorin Regina Laudage-Kleeberg aus ihrem Buch.
Die Zeltkirche in Elkeringhausen: Hier liest die Autorin Regina Laudage-Kleeberg aus ihrem Buch. © Privat | Privat

Obdachlos katholisch – der Titel Ihres Buches sagt schon viel. Sie sind nach wie vor Mitglied der katholischen Kirche, aber Sie haben das Gefühl, dass das nicht mehr ihr religiöses Zuhause ist. Warum fühlen Sie sich unwohl unter dem „Dach“ der Kirche oder anders gefragt: Warum bietet Ihnen die Kirche kein Dach mehr?

Regina Laudage-Kleeberg: Zu Hause sollte man sich wohl fühlen, man sollte man selbst sein können. Und genau das erlebe ich heute in der Kirche oft nicht mehr. Regeln sind wichtiger als Menschlichkeit. Das macht viele Menschen wütend, traurig und enttäuscht und metaphorisch gesprochen, in ihrem Katholischsein obdachlos. Ich unterscheide in dem Buch zwischen katholisch beheimatet sein und zu Hause sein. Die Heimat geht nicht verloren, aber das zu Hause wähle ich selbst. Und aktuell habe ich katholisch gesehen kein gutes Dach über dem Kopf.

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Kritik an Strukturen

Sie haben Ihren Job bei der Kirche als Arbeitgeberin aufgegeben und sind jetzt im weltlichen Bereich beschäftigt. Jetzt könnten Sie – ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen zu befürchten – aus der Kirche austreten, wenn Sie sich dort nicht richtig aufgehoben fühlen. Warum tun Sie das nicht?

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder das Gefühl gehabt, dass ich in der Kirche bleiben muss, egal, wie schlimm ich die Zustände finde, einfach nur, weil ich auch bei diesem Arbeitgeber arbeite. Das hat sich sehr unfrei angefühlt. Ich habe immer wieder zu mir gesagt: Ich möchte wenigstens austreten können, wenn ich es nicht mehr aushalte. In dem Moment, wo ich den Arbeitgeber verlassen hatte, war dieser Druck weg. Der Austritt spielt gerade keine Rolle. Und im Moment genieße ich tatsächlich wieder Gottesdienste, mit aller Freiheit und ohne hingehen zu müssen. Mir ist klar geworden, dass wir alle sehr unterschiedlich das Katholischsein leben. Und das bedeutet auch: dass jeder Mensch eine eigene und vielleicht auch dynamische Entscheidung treffen kann, ob Kirchenmitgliedschaft das Richtige oder nicht mehr das Richtige für ihn oder sie ist.

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Insgeheim geht es vielen Katholiken so, dass sie gegenüber Strukturen und Prozessen in der Katholischen Kirche die Faust in der Tasche ballen, aber stillschweigend erdulden und mitleiden. Fatalismus? Oder warum ist die Masse der unzufriedenen Katholiken nicht konfliktfähig oder -willig?

Schwere Frage! Ich glaube, dass im Katholischen an sich eine ganz große Freiheit zum Selbst-Denken steckt, und dass wir eigentlich mit Jesus Vorbild dazu angehalten sind, an schwierigen Zuständen Kritik zu üben. Ich nenne das Spiritualität der Kritik, also ich will sagen: Für manche Menschen ist Kritik-Üben, ihre letzte Möglichkeit, katholisch zu sein. Andere wiederum haben sich ganz gut arrangiert und ignorieren einfach das, was sie für falsch halten. Ich glaube, die allerwenigsten Menschen befürworten die menschenfeindlichen Regeln in der katholischen Kirche. Aber die Kirche ist nun mal Heimat und für viele eben auch noch Zuhause, das verlässt man nicht so leicht.

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Auf der Suche nach Spiritualität

Mein Eindruck ist, dass die Menschen mehr denn je auf der Suche nach Spiritualität sind. Was ist Ihre Einschätzung, warum die Kirche diesen Wunsch, diese Sehnsucht nicht erfüllen kann?

Da habe ich eine sehr starke und vom Radio geprägte Meinung: Ich habe über viele Jahre für WDR 2 und WDR 4 Kirchenbeiträge gesprochen und von Hörerinnen und Hörern unglaublich häufig Rückmeldung und persönliche Nachrichten bekommen. Die Sehnsucht war überall deutlich zu spüren, und wir sind über den Glauben ins Gespräch gekommen. Aber eben nicht mit den vorgeformten Worthülsen, sondern in der Sprache, in der wir auch in der Kneipe beim Bier sprechen würden. Ich glaube, Sprache ist eines der größten Probleme in der Kirche, es wird so viel kompliziert und weltfremd ausgedrückt, obwohl die Botschaft wahnsinnig weltnah ist.

Stichwort „synodaler Weg“ oder jüngstes Beispiel aus dem Erzbistum Paderborn, wo Laien nun doch nicht bei der Wahl des neuen Erzbischofs mitentscheiden dürfen. Glauben Sie, dass es je eine Veränderung, Lockerung geben wird? Will das die Kirche überhaupt?

Regina Laudage-Kleeberg hat dieses Buch geschrieben.
Regina Laudage-Kleeberg hat dieses Buch geschrieben. © WP | WP

Ich glaube, der Vatikan und die Institution Kirche (etwas pauschal gesprochen) will das alles nicht: weder die Weihe von Frauen, noch die Gleichbehandlung von queeren Menschen oder die rücksichtslose Aufdeckung aller Vergehen im Bereich der sexualisierten Gewalt. Und die meisten Mächtigen wollen auch nicht ihre Macht abgeben. Ich habe also in die strukturelle Kirche, also in die Institution, kein Vertrauen mehr, dass sie für große Veränderungen sorgen kann. Aber ich habe großes Vertrauen, dass die Menschen, die noch katholisch sein wollen, das mündiger ausleben, dass sich diejenigen zusammentun, die menschenfreundlich katholisch sein wollen. Ich vernetze und verbünde mich inzwischen auch viel stärker, denn ich merke: wir sind viele, die gerne katholisch bleiben wollen, aber mit dem Laden nicht mehr zurecht kommen.

Bei der Überlegung zum Kirchenaustritt kommt oft das Argument: „Sie tut ja auch viel Gutes!“ Soll das – Stichwort sexuelle Übergriffe - ein Entschuldigungsversuch sein?

Sie tut auch so viel Gutes! Das ist ein Betäubungsmittelsatz, und zwar für diejenigen, die an die großen Probleme nicht rangehen wollen. Natürlich gibt es wunderbare, karitative Angebote und eine sehr wertvolle Bildungsarbeit, die Menschen gut tun, aber das darf uns niemals davon ablenken, das unglaublich viel im Argen liegt. Lasst uns die Probleme angehen und das Gute feiern. Nicht entweder oder.

Folgen Sie Ihrem Gewissen

Nennen Sie bitte einem Austrittwilligen zwei handfeste Gründe, warum er nicht austreten sollte!

Das würde ich nie tun. Das Einzige, was ich raten kann, ist: folgen Sie ihrem Gewissen und gestatten Sie sich selbst, in Ambivalenz zu leben. Denn ich kenne viele Menschen, die in der Kirche bleiben und deswegen ein schlechtes Gewissen haben, weil der Laden so viel falsch macht. Ich kenne aber genauso gut Menschen, die ausgetreten sind, und die nicht wissen, wohin mit ihrer spirituellen Sehnsucht und ihren religiösen Bedürfnissen. Beides ist also herausfordernd. Ich glaube, es gibt ziemlich viele Schattierungen des Katholischseins. Ich beschreibe das eher wie eine lange Skala, auf der wir uns in unserem Leben dynamisch, hin und her bewegen zwischen Verbundenheit und Distanz.