Hochsauerlandkreis. Die Gebühr für Kinder, die mit nicht dringenden Fällen in die Notaufnahme kommen, macht Eltern im HSK sauer. Auch ein Arzt spricht Klartext.

Kinderärztepräsident Thomas Fischbach hat mit einem Vorstoß für eine Debatte gesorgt, denn er fordert eine Gebühr für Notfallbehandlungen von Kindern, sollten diese nicht gerechtfertigt sein. „Die Notfallversorgung muss auf Notfälle konzentriert werden und nicht für die Pickel am Po der Kinder, für die die Eltern unter der Woche keine Zeit haben und mit denen man dann am Wochenende beim Notdienst aufschlägt“, sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Für solche Fälle hielte ich eine Eigenbeteiligung der Versicherten für absolut sinnvoll.“ Zu diesen Äußerungen erntet Fischbach einigen Gegenwind, auch aus dem Hochsauerlandkreis. Die Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der St. Louise Frauen- und Kinderklinik sowie die KVWL üben deutliche Kritik an dem Vorstoß, können aber die Probleme nicht leugnen. Die wichtigsten Äußerungen:

Kinderärztepräsident Thomas Fischbach

Es sei schade, dass sich die Politik aus Angst vor Gegenwind nicht wirklich an das Thema herantraue, betont der Pädiater Thomas Fischbach. „Die knappen Notfall-Ressourcen werden immer und immer wieder von nicht dringend handlungsbedürftigen Fällen in Anspruch genommen, und damit muss Schluss sein. Bei echten Notfällen können die Kosten erstattet werden, das ließe sich mit wenig Aufwand umsetzen.“

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Die Kinderklinik in Paderborn

Das Problem, dass Eltern wegen Nichtigkeiten in die Notaufnahme kommen, kennt auch die Zentrale Notaufnahme der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Paderborn. PD Dr. Friedrich Ebinger, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der St. Louise Frauen- und Kinderklinik sagt zwar, dass die Gründe für den Besuch in der Notaufnahme unterschiedlich seien. Er sagt aber auch: „Es kommt jedoch immer wieder vor, dass Eltern mit weniger schlimmen Krankheiten abends oder am Wochenende in unserer Kindernotaufnahme vorstellig werden. In der Infekt-Saison ist dies häufiger der Fall. Dann, wenn die Ambulanz ohnehin schon voll ist.“ Die Gründe sind vielfältig, Unsicherheit oder fehlende Zeit unter der Woche werden in der Debatte oft als Grund genannt. „Beides kommt vor“, bestätigt auch Ebinger. „Manche Eltern sagen durchaus, dass ihnen die Wartezeiten in der regulären Kinderarztpraxis zu lang sind oder die Öffnungszeiten nicht passen. Noch häufiger ist jedoch starke Unsicherheit bei Eltern der Grund.“ Heutzutage fehle oft der Rat der Großeltern und die Eltern wüssten nicht, wie bspw. Fieber zu bewerten oder regulär zu behandeln sei. Der Paderborner Mediziner gibt als Leitfaden folgende Gründe an, die einen Besuch in der Notaufnahme erforderlich machen: anhaltend hohes Fieber, starke Schmerzen, Atemnot, heftiger Durchfall (insbesondere bei Säuglingen), anhaltendes Erbrechen, ungewöhnliche Schläfrigkeit oder neurologische Auffälligkeiten. Eine Gebühr für Eltern, die wegen Nichtigkeiten in die Notaufnahme kommen, befürwortet Dr. Friedrich Ebinger nicht. „Bei einer allgemeinen Ambulanzgebühr, hätten wir große Sorge, dass die Falschen, das heißt, die Eltern, die ein ernsthaft erkranktes Kind haben, abgehalten werden.“ Er betont: „Wie eine Differenzierung vor Ort erfolgen sollte, ist uns auch nicht ganz klar: Bei einer Triagierung als „dringlich“ keine Gebühr, bei Triagierung als „nicht dringlich“ Gebühr? Wer mit Bagatellen kommt und als nicht dringlich triagiert wird, muss ohnehin warten, bis die ernsthaft erkrankten Patienten versorgt sind, auch wenn diese später gekommen sind.“ So werde in den Notaufnahmen ohnehin verfahren – das heißt, in der Hoffnung auf eine schnellere Behandlung in die Notaufnahme zu kommen, ist bei Bagatellerkankungen ohnehin kein Erfolgsrezept.

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Die KVWL

Die Kassenärztliche Vereinigung ist zuständige Betreiberin zahlreicher Notdienstpraxen für Kinder im Hochsauerlandkreis - die mit denselben Problemen wie die Notaufnahme in Paderborn kämpfen. Daniel Müller, Pressesprecher, betont: „Mit Blick auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen kommt es zu vermehrter Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen.“ Der Grund: die gesunkene Gesundheitsbildung in der Bevölkerung. Das Problem treffe jedoch auch auf den regulären Praxisbetrieb zu. Dennoch: „Wir sehen keine Notwendigkeit für die Einführung einer solchen Gebühr. Ziel ist es, die Patienten strukturiert in die richtigen Behandlungspfade zu lenken.“ Das gelingt durcheinen Leitfaden, der sich auch mit den Angaben von Dr. Friedrich Ebinger deckt. Der ärztliche Bereitschaftsdienst in den Notfalldienst-Praxen der KVWL hilft bei gesundheitlichen Beschwerden, mit denen Patientinnen und Patienten normalerweise in eine Hausarzt- oder Facharztpraxis gehen würden. Typische Fälle für den Bereitschaftsdienst sind laut Müller: Erkältungskrankheiten, grippale Infekte mit Fieber und Schmerzen, Infektionen von Hals, Nase, Ohren, Magen-Darm-Infekte mit Brechdurchfall, akute Bauchschmerzen, Migräne oder Hexenschuss.

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„Wer außerhalb der Praxis-Öffnungszeiten ein gesundheitliches Problem hat, ist bei den Mitarbeitenden des Patientenservice bestens aufgehoben. Am anderen Ende der Telefonleitung sitzt ausschließlich medizinisch geschultes Personal. Bei der medizinischen Ersteinschätzung werden die Mitarbeitenden der 116 117 durch eine PC-Software unterstützt“, erklärt Müller. Das Programm stellt gezielte, individuelle und strukturierte Fragen zum Beschwerdebild. Die Software ermittelt eine Empfehlung zur Behandlungsdringlichkeit sowie zum korrekten Behandlungsort und unterstützt so bei der Entscheidung über die passende Versorgungsebene für den Patienten.

Die Eltern aus dem Sauerland

Der Vorstoß für eine Notfallgebühr kommt bei den Sauerländer Eltern gar nicht gut an. Simone Tönnesmann schreibt via Facebook: „Es fährt doch keiner freiwillig mit seinem Kind in eine verseuchte Notaufnahme und nimmt stundenlange Wartezeiten in Kauf sowie eine weitere Seuche, wenn das Kind nicht ernsthaft krank ist. Man sollte sich vor Ort mal persönlich ein Bild von dem Geschehen machen, bevor man den Eltern unterstellt, sie kommen nur für Nasenspray!“ Anja Schieke übt ebenfalls Kritik: „Was heißt unnötige Notfälle? Ich selber kann an einer Hand abzählen wie oft ich mit dem Kind beim Notdienst war, aber es gibt genug junge Eltern die vielleicht verunsichert sind. Darf es ein Fehler sein einmal zuviel zu fahren? Es gibt sowieso schon zu wenig Kinderärzte und ich denke auch das kein Elternteil sich freiwillig ins Krankenhaus setzt, um dort drei Stunden zu warten. Ich bin gegen eine Notfallgebühr.“ Đorđe Stojanović betont: „Bei Kindern gibt es kein unnötig!!!“ Und Elisabeth Schmelter schildert eindrücklich, wie eng die Versorgungslage für Kinder im Sauerland ist: „Vor drei Wochen wollte ich mit meinem Kleinkind zum Kinderarzt… Er hatte hohes Fieber und wir wollten ein paar Tage später in Urlaub fahren. Ich also versucht einen Kinderarzt zu finden, der ihn untersuchen konnte. Wir sind schließlich bis nach Paderborn gefahren, weil alle Kinderärzte im Umkreis gleichzeitig Urlaub hatten! Das muss man sich mal überlegen. Weder in Marsberg noch in Brilon oder Olsberg war jemand da. Da wäre es nicht verwunderlich, dass Eltern auch mit Kindern in so einem Zustand in die Notaufnahme fahren!“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält eine „Strafgebühr“ für Eltern, die ohne akuten Bedarf mit ihren Kindern den ärztlichen Notdienst aufsuchen, für unethisch. Eine solche Abgabe gefährde Kinder, deren Eltern nicht die Mittel haben, das zu bezahlen, sagte Lauterbach am Dienstag in Düsseldorf. Damit würde „das Versagen der Politik in der Vergangenheit“, die Probleme in der Notfallversorgung jahrelang nicht gelöst habe, „auf dem Rücken der Kinder“ ausgetragen.

Ein Leitfaden

Es gibt vier verschiedene Notfalldienste bzw. Ärztliche Bereitschaftsdienste vor Ort in den Regionen in Westfalen-Lippe: den Allgemeinen Notfalldienst, den Notfalldienst für Kinder- und Jugendmedizin, den Augenärztlichen Bereitschaftsdienst sowie den Notfalldienst für Hals-Nasen-Ohren-Medizin. Wer nicht warten kann, bis die regulären Arztpraxen wieder öffnen, kann eine Bereitschaftspraxis in der Nähe aufsuchen. Entsprechende Übersichten über die Bereitschaftspraxen samt Öffnungszeiten finden Sie auf unserer Homepage: https://www.kvwl.de/buerger/notfalldienst Wer sich unsicher ist, ob er oder sie mit den Beschwerden eine Notfalldienst-Praxis oder die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen sollte, ruft beim Patientenservice der KVWL unter Tel. 116117 an. Speziell geschulte Mitarbeitende geben dann eine fachliche Beratung, was nun zu tun ist. Dadurch soll eine Überlastung der Notaufnahmen vermieden werden. Weitere Infos finden Sie auch auf www.116117.de.

Wichtig: Wer sich allerdings in einer akuten, möglicherweise lebensbedrohlichen Notfallsituation befindet oder eine Person bemerkt, auf die dies zutrifft, wendet sich direkt an die Rettungsleitstelle unter der Notruf-Nr. 112. Dazu zählen zum Beispiel schwere Unfälle, Anzeichen für einen Herzinfarkt (starker Brustschmerz, Atemnot, kalter Schweiß), Anzeichen für einen Schlaganfall (Seh- und Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen), Unfälle mit schweren Verletzungen /hohem Blutverlust, Ohnmacht/Bewusstlosigkeit, allergischer Schock (Anaphylaxie), sehr starke/plötzliche Schmerzen, schwere Verbrennungen, Asthmaanfall (anfallsartige Atemnot), Vergiftungen, Ertrinkungs- oder Stromunfälle, Selbstmordversuche oder plötzliche Geburt / Schwangerschaftskomplikationen. Auch wenn man sich nicht sicher ist, ob der Zustand lebensbedrohlich ist oder es noch werden könnte, sollte man die 112 anrufen – und diese Fragen beantworten können: Wo ist etwas geschehen? Was genau ist passiert? Wie viele Personen sind betroffen? Welche Art von Notfall oder Verletzung liegt vor? Und dann auf Rückfragen warten.