Hallenberg. Wie klingt eine Kreuzigung? Wie hören sich Todesangst oder Verklärung an? Stefan Wurz macht die Musik, den Soundtrack, zur Passion in Hallenberg.

Hinsetzen, zugucken, genießen, mitfühlen, lachen, weinen, applaudieren und auf dem Heimweg eine Melodie im Kopf haben. Das ist ein unterhaltsamer Theaterbesuch im Schnelldurchlauf. Dass nahezu jedes Stück auch Musik hat und diese wesentlich zum Gesamtkunstwerk beiträgt, geht oft unter. Dabei ist sie so wichtig. Auf der Freilichtbühne in Hallenberg ist Stefan Wurz seit 2018 der musikalische Leiter. Und für die Passion, die ab Juni aufgeführt wird, schreibt er sogar eine eigene Musik, einen Soundtrack, wenn man so will.

Stefan Wurz ist musikalisch sehr vielseitig. So ganz nebenbei ist Stefan Wurz auch noch mit Herz und Seele Rock’n’Roller und Kopf der Band „The Juniper Constellation“. Im Dezember erschien mit „Fall“ deren erstes Album. Progressiver Rock, Metal, Musical, Classic Rock: Die vier Pole charakterisieren den musikalischen Stil der zehn Songs. Weitere Infos unter www.thejuniperconstellation.com
Stefan Wurz ist musikalisch sehr vielseitig. So ganz nebenbei ist Stefan Wurz auch noch mit Herz und Seele Rock’n’Roller und Kopf der Band „The Juniper Constellation“. Im Dezember erschien mit „Fall“ deren erstes Album. Progressiver Rock, Metal, Musical, Classic Rock: Die vier Pole charakterisieren den musikalischen Stil der zehn Songs. Weitere Infos unter www.thejuniperconstellation.com © wp | Dorit Schulze

Seine Funktion an der Bühne umreißt der gebürtige Karlsruher und Wahl-Hildesheimer so: „Ich bin der Verantwortliche für die Musik. Wenn irgendetwas sehr gut oder auch sehr komisch klingt, dann stehe ich dafür gerade. Auch wenn ich selbst bei den Aufführungen nicht mehr dabei bin, habe ich dafür zu sorgen, dass es Notenmaterial oder auch ein Playback gibt und dass die Sängerinnen und Sänger wissen, was sie wie singen müssen.“ Mal ist die Musik schon fertig, mal muss sie von dem 58-Jährigen und anderen Profis eingespielt, von den Tonhöhen geändert oder geschnitten und angepasst werden. In Rücksprache mit dem Regisseur richtet Wurz die Musik so ein, dass sie in dessen Inszenierung passt.

Chöre, Instrumentales und ein oder zwei Solostücke

Als Pianist, Gitarrist und Schlagzeuger kann Stefan Wurz viele Instrumente selbst spielen. Aber gerade für die Passion ist es ihm wichtig, dass die Musik authentisch klingen muss. „Wenn wir eine Solo-Violine, ein Flügelhorn oder eine Oboe hören, dann werden das echte Instrumente sein. Dann suche ich mir Leute, die das professionell können und einspielen.“ 2020 – damals sollte Florian Hinxlage Regie bei der Passion führen, die dann coronabedingt abgesagt werden musste - hatte Wurz schon einige Vorarbeiten in Sachen „Passion“ geleistet. Das Stück sollte sehr viele musikalische Elemente beinhalten. Jetzt unter der neuen Regie von Uwe Bautz ist die Gewichtung anders. „Die Chöre hatte ich 2020 schon fertig; mehr als die Hälfte davon haben es in die neue Inszenierung geschafft. Aber das andere musikalische Konzept ist komplett neu“, sagt Wurz.

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Es wird also Chöre, Instrumentales und ein oder zwei Solostücke geben für - Überraschung! - Figuren, die der Zuschauer nicht zwingend auf der Agenda hat. Wurz: „Zu einer Passion gehört Musik immer dazu. In Oberammergau füllt sie eine ganze CD mit großem Orchester und großem Chor. Ein Orchester haben wir nicht und es wird auch vermutlich in nächster Zeit schwierig werden, mit Live-Musik zu arbeiten. Das bleibt ein Traum, aber man sollte nie ,Nie!‘ sagen und wir sprechen immer wieder mal darüber. Die Musik kommt also vom Band, alles andere ist live. Und einen großen Chor haben wir auch. Wenn alle Mitspieler mitsingen, ist das schon beeindruckend. Das wollen wir ausnutzen.“

Ersten Leseprobe zur Passion: Mit ca. 60 Mitspielern war neben den Sprechrollen rund die Hälfte des Ensembles anwesend. Im Vordergrund (v.l.): Regisseur Uwe Bautz, Philipp Mause (Spielleiter und Jesus-Darsteller) und Stefan Wurz (Musikalischer Leiter).
Ersten Leseprobe zur Passion: Mit ca. 60 Mitspielern war neben den Sprechrollen rund die Hälfte des Ensembles anwesend. Im Vordergrund (v.l.): Regisseur Uwe Bautz, Philipp Mause (Spielleiter und Jesus-Darsteller) und Stefan Wurz (Musikalischer Leiter). © WP | Freilichtbühne

Aber wie arbeitet so ein Komponist? Wie gelingt es ihm, Melodien mit emotionaler, musikalischer Allgemeingültigkeit zu schaffen, die das Publikum gleichermaßen packt? „Ob es allgemeingültig ist, weiß ich gar nicht. Es reicht, wenn es für viele Leute funktioniert. Die letztendliche Mechanik ist mir oft gar nicht klar – und das muss auch so sein. Ich habe die Texte, ich habe die Szene vor Augen, ich setze mich ans Klavier, spiele drauf los und irgendwann habe ich das Gefühl, das ist jetzt das Richtige. Das ist die Inspiration. Sie zu analysieren, hat sich für mich als kontraproduktiv erwiesen. Dann muss man aus der Idee etwas Pragmatisches machen. Da spielt einem dann das Handwerkszeug eines Komponisten in die Karten.“

Aufmerksamkeit und die Emotionalität hoch halten

Gerade auf einer Freilichtbühne kommt der Musik noch eine andere Funktion zu. Wurz: „Weil kein Vorhang fallen kann, hat sie die Aufgabe, die Aufmerksamkeit und die Emotionalität hoch zu halten. Es gibt Szenen, die oft keinen handlungsmäßigen Übergang haben – da braucht man eben Musik als Begleiterin.“ Die Hallenberger Passion wird nicht so monumental klingen, wie man es vielleicht aus alten biblischen Sandalen-Verfilmungen kennt: „Für die Verklärung brauche ich eine andere Musik, als wenn die Soldaten aggressiv auftreten. Ich versuche, einen kreativen Umgang mit Klischees zu schaffen. Die Römer dürfen schon so klingen, wie man sie sich seit Ben Hur vorstellt. Wir wollen das Ganze aber dorthin verorten, wo es spielt – nämlich in den Nahen Osten. Wir werden es gar nicht so tonal, christlich deutsch klingen lassen, sondern eher ein bisschen arabisch.“

Verbindung zwischen jüdischer und arabischer Musik

Es gebe eine enge Verbindung zwischen jüdischer und arabischer Musik und so typische Tonleitern, die in dem Raum populär wurden und bis auf den Balkan gekommen sind, die wir so in Europa gar nicht kennen, erklärt der Fachmann: „Inzwischen kennen wir sie dank Filmen oder türkischer Popmusik. Aber damit kann man diese Distanz ausdrücken. Das war die Idee von Uwe Bautz und sie gefällt mir sehr gut. Das wird auch das Musicalhafte verhindern. Es wird zwischendurch auch mal eine Härte reinkommen. Der Stoff braucht das; es wird Trommeln geben und es wird Leitmotive für die Hauptcharaktere geben aber die werden klein, leise und persönlich sein.“

1950 wird zum ersten Mal
1950 wird zum ersten Mal "Die Passion" gespielt. Alle zehn Jahre steht die Geschichte um das Leben und Leiden Jesu Christi seitdem auf dem Spielplan. © WP | Freilichtbühne

Über die Vorbereitungszeit verteilt ist Stefan Wurz insgesamt rund drei Wochen in Hallenberg. „Nicht am Stück, aber es ist für mich unverzichtbar zu sehen, wie die Musik mit der Bühnenaktion zusammenkommt.“ Ansonsten arbeitet er als Pianist, Arrangeur, Produzent, musikalischer Leiter z.B. an der Staatsoper Hannover, beim Staatstheater Kassel, für den Verlag Felix Bloch Erben, an Universität und Musikschule Hildesheim und bei verschiedenen nationalen und internationalen Produktionen. Er kennt die Zusammenarbeit mit Profis und mit Laien und bescheinigt den Hallenbergern ein überaus beeindruckendes Engagement, ein hohes künstlerisches Level und enorme Begeisterungsfähigkeit.

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„Bei der Freilichtbühne mitzumachen hat für die Leute schon fast etwas von einem Ehrencodex.“ Das gelte nicht nur für die Akteure auf, sondern auch hinter der Bühne. „Auf technische Perfektion wird in Hallenberg seit Jahren viel Wert gelegt. Da gibt es viel Kompetenz und eine sehr gute technische Ausrüstung. Mein Job als musikalischer Leiter beinhaltet auch die Verantwortlichkeit für den abschließenden Sound. Ich arbeite eng und viel mit dem Ton-Team zusammen. Ton ist immer eine schwierige Sache. Er ist dann gut, wenn sich genau gleichviele Leute beschweren, dass es zu laut und zu leise ist.“ Und Musik ist dann gut, wenn man sie auf dem Weg vom Theater nach Hause noch im Kopf hat – nach dem Genießen, Mitfühlen, Lachen, Weinen, an dem Musik einen großen Anteil hat…