Brilon/Olsberg. Er kletterte mit einem Gewehr auf das Dach einer Turnhalle in Olsberg und schoss. Was trieb den 32-Jährigen und? Jetzt stand er vor Gericht.

Helle Aufregung in Olsberg: Am 21. August 2021 wurde auf dem Dach der Turnhalle in der Stadionstraße ein maskierter Mann mit Gewehr gesichtet, der Schüsse auf die Vogelstange abgab. Zwar konnte der Schütze trotz Unterstützung von Suchhunden und einem Polizeihubschrauber entkommen, konnte aber später ermittelt werden.

WP-Newsletter per Mail: Was ist los in Brilon, Olsberg, Marsberg, Winterberg, Medebach und Hallenberg? Holen Sie sich den Newsletter für Ihren täglichen Nachrichtenüberblick

Nun stand der Täter vor dem Amtsgericht Brilon: Dort wurden ihm sieben weitere Taten, wie schwerer Diebstahl, vorgeworfen. Der Angeklagte zeigte sich vollumfänglich geständig und kam deswegen geradeso mit einem dunkelblauen Auge davon.

Bislang unbescholtener Bürger

Was bedeutet der Paragraf 64 StGB

Im Maßregelvollzug erfolgt die freiheitsentziehende Unterbringung insbesondere von psychisch kranken oder suchtkranken Straftätern.

Dieser Maßregelvollzug kann neben die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe treten oder anstelle dieser vollzogen werden.

Unter bestimmten Umständen werden Straftäterinnen und Straftäter mit einer psychischen Störung nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, suchtkranke Straftäterinnen und Straftäter nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt. In den letzten Jahren ist ein kontinuierlicher Anstieg der Zahl der Personen zu verzeichnen, die in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB untergebracht sind. Quelle: BMJ

Der Olsberger, der zum Tatzeitpunkt 30-Jahre alt war, wurde 1991 in Kasachstan geboren, bevor er im Jahr 2000 mit seinen Eltern nach Deutschland einwanderte und sich in Olsberg niederließ. Nach seinem erfolgreichen Hauptschulabschluss und einer abgebrochenen Ausbildung zum Koch wurde er zum Facharbeiter Logistik ausgebildet und war nach eigenen Auskünften „sehr glücklich“ mit seinem Beruf. Im Jahr 2016 begann er aber schließlich mit Drogen zu experimentieren: Erst Marihuana, gelegentlich Kokain und Ecstasy, bevor sich eine Amphetaminsucht durchsetzte, die schließlich sein ganzes Leben in Beschlag nahm. Er vernachlässigte seine sozialen Beziehungen, bis ihn seine Freundin verließ. Zu seiner Arbeitsstelle, die er eigentlich gern besuchte, ging er im Jahr 2020 einfach nicht mehr hin. „Ich war zu dem Zeitpunkt in einer psychischen Ausnahmesituation“, so die Erklärung des Angeklagten. Der nächste Tiefpunkt in seinem mittlerweile durch die Drogen kontrolliertem Leben, gipfelte Juli und August 2021 in mehreren geplanten Diebeszügen, um sich durch den Verkauf des Diebesgutes seine Sucht finanzieren zu können. So stahl er zwei hochwertige Fahrräder, Pfandflaschen aus dem Josefsheim und einem Partyservice, Kleidung aus einem Sportgeschäft sowie einen Bluetooth-Lautsprecher der Marke JBL.

Der Polizei-Einsatz in Olsberg: Suche nach einem maskierten Mann.
Der Polizei-Einsatz in Olsberg: Suche nach einem maskierten Mann. © Joachim Aue

Lesen Sie auch: Echtes Foto oder Fake: Läuft der nächste Wolf durch den HSK?

Freundlich und kooperativ

Ein insgesamt kurzer Zeitraum in dem Leben des ansonsten rechtstreuen jungen Mannes, der den filmreifen Ausflug auf das Dach der Turnhalle mit dem von ihm gefundenen Luftgewehr ebenfalls auf seinen Drogenkonsum zurückführte. „Ich habe mich gefühlt wie in einem Videospiel“, so seine Aussage vor dem Gericht. Insgesamt war der Angeklagte vollumfänglich geständig, was ihm später durch Staatsanwalt und Gericht positiv ausgelegt wurde. Der psychiatrische Gutachter, Dr. Thomas Schlömer aus Schmallenberg, attestierte dem Angeklagten zwar im ersten Gespräch „freundlich und kooperativ“ gewesen zu sein, den eigentlich anberaumten zweiten Termin, um die Diagnose zu verfestigen, nahm der Angeklagte jedoch nicht wahr. In den Fällen der Diebstähle attestierte der Gutachter dem Angeklagten die volle Schuldfähigkeit, insbesondere auch deswegen, weil Amphetamine keine körperlichen Entzugserscheinungen hervorriefen und weil die Taten nicht spontan durchgeführt wurden.

Ungünstige Sozialprognose

Der Angeklagte sei nicht gefährlich, die Sozialprognose aber eher ungünstig, da der Mann von seiner Drogensucht noch nicht geheilt sei, was der Angeklagte vor Gericht bestätigte. Auch der Verzicht auf Entziehungsmaßnahmen in der Zwischenzeit wurde vom Gutachter negativ ausgelegt, ebenso wie das Fehlen einer Wohnung, einer festen sozialen Bindung und die fortbestehende Arbeitslosigkeit des Angeklagten, der aktuell bei seinen Eltern untergekommen ist. In Summe würde das dafürsprechen, dass auch in Zukunft mit Beschaffungskriminalität durch den Beklagten zu rechnen sei. Er empfehle deshalb die stationäre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für zwei Jahre, um den Angeklagten von seiner Drogensucht zu therapieren.

Lesen Sie auch: Willingen boomt: Sauerländer Urlaubsregion auf Rekordjagd

Diesem Vorschlag schloss sich der Staatsanwalt an, lobte das Geständnis des Angeklagten ebenso wie die Rückgabe von Diebesgut. In Summe seien die Straftaten aber so erheblich, dass er mit seinem geforderten Strafmaß nicht unterhalb von zwei Jahren bleiben könne – und zwar ohne Bewährung.

In seiner Verteidigung folgte Rechtsanwalt Oliver Brock dieser Forderung zwar grundsätzlich, verwies aber darauf, dass der Angeklagte bisher nicht auffällig gewesen sei und sich die Straffälligkeit auf rund einen Monat konzentriere. Auch das Geständnis des Angeklagten hätte dem Gericht viel Arbeit erspart. Er hielte damit zumindest eine Bewährung für möglich.

Zwei Jahre ohne Bewährung

Dem wollte sich der Vorsitzende Richter Dietmar Härtel jedoch nicht anschließen, der dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft folgte und den Angeklagten zu zwei Jahren ohne Bewährung verurteilte. Zwar sei dem Angeklagten das Geständnis durchaus zu seinen Gunsten auszulegen, mit dem Strafrahmen von zwei Jahren ohne Bewährung sei er aber ohnehin am untersten Ende dessen, was für schweren Diebstahl eigentlich möglich gewesen wäre. Der Richter machte deutlich, dass er es für unwahrscheinlich hält, dass der Angeklagte seine Drogensucht selbst unter Kontrolle bekäme: „Manche brauchen einen Anschubser durch den Staat, um auf den rechten Weg zurückzufinden“, so Härtel. Nach Paragraf 64 des Strafgesetzes hätte er nun durch die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung die Möglichkeit, sein Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Lesen Sie auch: Müllsünder in Brilon: Sperrmüll einfach in den Wald gekippt

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Vor Gericht verzichtete der Angeklagte jedoch darauf, eine Berufung oder Revision anzukündigen.