Olsberg. „Sauerland ist geil“, sagt Gregor Meyle. Der Musiker und Sänger spielt am 26. November in Olsberg und verrät, wie er im Gleichgewicht bleibt.
Der Mann mit dem Hut ist ein authentischer Song-Poet, der das Herz am rechten Fleck trägt und für den Musik Berufung ist. Er liebt das Sauerland, geht hier wandern und hat am 26. November mit seinem Auftritt in der Konzerthalle Olsberg fast ein Heimspiel. Gregor Meyle erzählt im Interview, wie wichtig ihm sein inneres „Gleichgewicht“ ist, was ihm Familie bedeutet und warum seine Konzerte für die Fans wie Restaurantbesuche sind – nur viel inniger und noch einen Hauch schmackhafter.
Hallo Gregor Meyle, wo erwische ich Sie?
Ich bin zu Hause, habe mir einen Kaffee gemacht, esse mein Müsli und bin heute im Interview-Marathon. Aber alles ganz entspannt!
In der NDR-Talkshow mit Bettina Tietjen und Johannes Wimmer am 14. Oktober haben Sie die zweite Auskoppelung aus Ihrem Album „Gleichgewicht“ gesungen. Zwei Szenen haben mir imponiert. Beim Liedanfang haben Sie abgebrochen und gesagt: ,Ich hab’s verkackt.‘ Und dann hat das Lied den Moderator zu Tränen gerührt, so dass sie aufgestanden sind und ihn fest in den Arm genommen haben. Sind Sie wirklich so authentisch und empathisch oder gibt es einen Gregor Meyle im Rampenlicht und einen Gregor Meyle privat?
Was soll ich sagen? Ich wusste nicht, dass er seine Tochter verloren hat. Das habe ich erst später erfahren. Ich war im ersten Moment etwas hilflos. Da ist ein Song, den ich für meine Familie, auch für meine Tochter, geschrieben habe. Und dann sitzt da jemand, der so alt ist wie ich und hat sein Kind verloren. Wie schlimm ist das denn? Ich fand das ganz furchtbar, so dass ich einfach aufstehen und ihn in den Arm nehmen musste. In dem Moment war es mir Wurscht, ob das eine Fernsehsendung ist oder ob ich da hätte Contenance wahren müssen. Das ist eine ganz normale menschliche Reaktion. Man hätte das aus der Aufzeichnung rausschneiden können, aber das gehört mit dazu – mit zum Leben. Es ist mir schon das zweite Mal in einer Talkshow passiert.
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Meine Songs sind mein Leben und meine Geschichten
Eigentlich spricht das doch auch für die Intensität Ihrer Texte. Oder was glauben Sie, woran das liegt?
Wenn die Menschen sich in einer Story wiederfinden, dann haben die Lieder nochmal eine ganz andere Wirkung. Das ist auch bei unseren Konzerten so. Meine Songs sind schon mein Leben und meine Geschichten. Ich habe mit ihnen eine Kunstform gefunden, um nicht alles Private direkt zu erzählen. Es geht da sehr viel um Metaphern; und das erwischt dann halt auch Menschen, die in einer sehr emotionalen Situation sind. Ich fand das in der Talkshow auch einen wahnsinnigen Moment. Ich bin in solchen Sendungen oft eine Labertasche. Aber es war schön, dass es auch diesen Moment des Innehaltens gab. Und was meinen musikalischen Aussetzer anbelangt: Wir hatten am Tag zuvor eine tolle Sendung aufgezeichnet. Ich hätte mir etwas mehr Zeit zum Üben nehmen müssen. Keyboard ist nicht mein bevorzugtes Instrument. Aber das ist letztlich allzu menschlich.
„Dass man im Sturm der Zeit sein Gleichgewicht verliert…ist schon passiert…“, heißt eine Textzeile Ihres Liedes. Wie wichtig ist es Ihnen, bewusst im Jetzt zu leben und ist Ihnen klar, dass im Gleichgewicht sein nicht selbstverständlich ist? Dass das ein Privileg ist, das sehr schnell kippen kann?
Sie haben die Antwort eigentlich schon gegeben. In dem Song „Gleichgewicht“ geht es auch nicht um Friede, Freude, Eierkuchen. Vielmehr kämpfen wir mit uns und merken, dass nicht immer alles im Gleichgewicht ist. Siehe Pandemie, siehe Krieg in Europa, siehe Energiekrise, siehe meinen Job. Wenn die Menschen kein Geld haben, ihre Heizung zu bezahlen, haben sie schon gar kein Geld, zum Konzert zu gehen. Und es wird nie selbstverständlich sein, dass Menschen zu einem Konzert kommen, dass es allen gut geht, dass man überall auf der Welt seine Meinung sagen kann. Man muss schon immer das Fähnchen oben halten. Ich bin jemand, der ständig an seinem Gleichgewicht arbeitet. Wenn ich meiner Tochter zum fünften Mal sagen muss, jetzt mach Dich mal fertig für den Kindergarten, dann sage ich das beim fünften Mal auch etwas lauter. Ich bin ein ganz normaler Familienpapa – der sich auch aufregt, wenn jemand scheiße Auto fährt. Was ich mit dem Song sagen will, ist, dass man ganz oft den Moment, wo alles Tacko ist, nicht genug wertschätzt. Hey Leute, wir sind hier in einem der schönsten Länder der Welt, uns geht es immer noch gut. Natürlich wird alles teurer, aber wir dürfen über all das reden. Wenn Herr Scholz Sachen macht, die nicht so dufte sind, darf man darüber sprechen und seine Meinung äußern. Das ist nicht selbstverständlich.
Man kann sehen, wie viel Spaß uns das macht
Ich habe Ihr Video zur Single „Gleichgewicht“ gesehen, das Sie mit Streichorchester aufgenommen haben. Man sieht Ihnen an, dass Sie der voluminöse Klang, das Arrangement beeindruckt, dass Ihnen selbst die Musik gefällt. Was glauben Sie: Woran liegt es, dass Ihre Musik und Ihre Texte so viele Menschen berühren?
Die Szene ist aus einem anderen Video – das sind Aufnahmen aus Live-Konzerten, auf denen man in der Tat gut sehen kann, wie viel Spaß uns das Ganze macht, wie sehr wir – um im Bild zu bleiben – im Gleichgewicht sind. Bis auf zwei meiner 17 Mitstreiter auf der Bühne haben wir alle Familie und versuchen alles unter einen Hut zu bringen. In der Situation saß ich am Klavier und spielte den Song „Stolz auf uns“. Ich sitze ich an einem Flügel und freue mich immer, wenn ich keine Taste falsch gedrückt habe. Ich liebe das Klavier, aber die Gitarre ist nun mal mein Hauptinstrument.
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Aber trotzdem merkt man, dass Sie berührt und gerührt sind. Woher kommt diese Intensität?
Es gibt wenig heißen Brei. Für mich darf der Text nicht von der Musik ablenken. Die Musik ist mir das Wichtigste. Ein Reinhard Mey könnte auch Deutschprofessor an der Uni sein. Diese Ambitionen habe ich nie. Ich schreibe keine große Poesie. Ich glaube, ich habe für mich dieses Werkzeug gefunden, mit dem man Musik und Text in der Muttersprache zur selben Zeit versteht. Das heißt, dass Emotionen gleichzeitig wirken. Bei einem englischen Song musst Du erst übersetzen, da ist der Moment schon vorbei. Die Dramaturgie ist eine andere. Im Deutschen sagst Du etwas und im selben Moment kommt die Musik. Das ist Berührung in Echtzeit. Wir haben so viele wundervolle Wörter wie Demut oder Gleichgewicht, die einfach eine schöne Phonetik haben. Peter Fox singt bei seinem Song „Haus am See“: Orangenbaumblätter legen auf dem Weg. Er hätte auch Kaktusfeigen sagen können. Aber Orangenbaumblätter sind phonetisch doch viel schöner.
Immer noch Pionierarbeit auf Deutsch
Warum hat es die deutsche Sprache immer noch so schwer in der populären Musik?
Es ist immer noch Pionierarbeit auf Deutsch Texte zu schreiben. Mir macht es Spaß, wenn Musik und Text gleichzeitig verstanden werden können. Und deswegen hat das auch eine besondere Wirkung. Ich schreibe Songs erst für mich und freu mich, wenn das Lied den Raum findet, um zu wirken. Das ist, wie wenn Du Koch bist und nach langer Vorbereitung dem Gast ein Menü auf den Tisch stellst. Und es ist doch klasse für den Koch, wenn er sieht, wie sehr der Gast sich freut. So ist es beim Konzert auch. Ich freue mich, wenn ich Balladen in die Stille hineinspiele und die Leute mit Absicht da sind und die Musik aufnehmen.
Wie und wo schreiben Sie Ihre Lieder? Zu festen Zeiten? Im Tourbus, im Arbeitszimmer, bei einer Tasse Tee oder bei einem Wein? Sie sind ja großer Wein-Fan?
Feste Zeiten? Nee, so funktioniert das nicht. Ich arbeite gerne nachts. Jetzt bin ich gerade in meinem kleinen Studio und habe ein 80 Jahre altes Klavier.- das hört sich so an (spielt). Da spiele ich ein bisschen herum und hoffe, das irgendwas kommt. Es ist relativ unromantisch. Songs schreibt man eigentlich überall: im Hotelzimmer oder unterwegs. Das ist eigentlich das Schöne. Wenn man nur ein paar Wörter hat, um eine Sache sagen zu wollen, kommt jedes auf die Goldwaage.
Neues Format
Mit „Your Songs” präsentiert Gregor Meyle zusammen mit Jeanette Biedermann am 26. November um 23.15 Uhr in der ARD eine große Show u.a. mit Sarah Connor, Max Giesinger, Johannes Oerding, Michael Patrick Kelly und Robbie Williams. Sie alle performen ihre bekanntesten Songs auf einer großen Showbühne und werden von einer Studioband und dem MDR-Sinfonieorchester begleitet.
Tickets für das Konzert am 26. November um 20 Uhr in der Konzerthalle Olsberg gibt es bei eventim.de oder unter der Tickethotline 02962 97370.
Sie spielen am 26. November in Olsberg? Nehmen Sie sich Zeit, sich die Gegend anzuschauen, in der Sie auftreten?
Man darf’s gar nicht sagen., Aber ich bin oft zu Gast beim Schinkenwirt in Olsberg. Wir wohnen in der Nähe von Dortmund am Rande des Sauerlandes. Ich bin sehr schnell in Winterberg; ich liebe das Sauerland. Ich bin Schwabe, wohne aber seit über 20 Jahren in NRW; meine Frau kommt aus dem Pott. Ich bin ein Riesen-Sauerland-Fan. Ich komme auch aus einer sehr ländlichen Region und die ist dem Sauerland sehr ähnlich. Ich liebe es, in Hallenberg, Olsberg oder Schmallenberg durch die Wälder zu laufen. Ich bin ein echter Wander- und Naturfan. Wenn Sie noch ein paar Wandertipps für mich haben? Ich habe mir vor Jahren so einen VW-Bulli gegönnt, da kann ich drin pennen. Ich fahre einfach irgendwohin, wo man wandern kann, gehe nett essen und schlafe dann auch im Bulli. Das Sauerland ist für mich total geil.
Ist eigentlich jedes Konzert anders? Ein Künstler hat mir einmal erzählt: Er werfe eine Leine mit einem Anker ins Publikum und versuche als Erstes, eine Beziehung zu den Menschen herzustellen. Trifft es das?
Ja, das trifft es schon. Du musst Dir das wie in einem Restaurant vorstellen, was ich eben schon einmal gesagt habe. Aber es gibt kein Restaurant, wo die Leute zusammen weinen, kuscheln oder knutschen. Das ist noch emotionaler, die Bandbreite der Emotionen ist noch größer. Du arbeitest auf etwas hin, musst es vorbereiten und präsentieren. Dann hast Du einen Moment, wo sich die Energie teilt. Das ist unschätzbar wertvoll. Das wird man nie durch ein Display bringen. Menschen, die aus allen unterschiedlichen Gesellschaftsformen kommen. Da steht der Bauarbeiter neben dem Juristen und man liegt sich hinterher in den Armen. Man muss nicht erst in eine Etikette reinsteigen, um ein Event zu erleben.
Was ist Ihre Mission an so einem Konzertabend?
Mein Job ist es den Menschen einen ganz besonderen Abend zu bereiten mit dem, was ich am meisten liebe, mit den Songs, die da sind. Ich bin so eine Art Zirkusdirektor. Wenn meine Musiker und ich Spaß haben auf der Bühne, was zu 99 Prozent der Fall ist, dann überträgt sich das auch aufs Publikum. Ich muss auf der Tour tierisch auf mich aufpassen, auf meine Gesundheit, auf mein Gleichgewicht. Denn da hängen 17 Arbeitsplätze dran. Ich weiß nicht, wann wir das letzte Mal nach dem Konzert grobfahrlässig in eine Kneipe oder auf einer Party waren. Ich glaube, gar nicht. Ich versuche am Tag der Konzerte den Mund zu halten, denn man gibt da abends wirklich alles. Das ist keine Dienstleistung, es ist eine Leidenschaft eine Berufung. Und ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir von dieser Berufung unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Außerdem bekomme ich von den Menschen auch wahnsinnig viel zurück. Insofern auch zu Ihrer Frage am Anfang: Ja, es ist nicht selbstverständlich, im Gleichgewicht zu sein.