Hochsauerlandkreis. Dr. Stefan Bender ist Ärztlicher Direktor des LWL-Klinikums Marsberg. Er sagt, warum Depressionen als „heilbare Volkskrankheit“ gelten.

Im HSK finden vom 30. Mai bis 10. Juni „Wochen gegen Depression“ statt. Veranstalter ist das Bündnis gegen Depression HSK. In diesem Zeitraum werden verschiedene Informationsveranstaltungen und Aktionen angeboten. Wir haben den Priv.-Doz. Dr. Stefan Bender, Ärztlicher Direktor des LWL-Klinikums Marsberg, einige Fragen zu der „Volkskrankheit Depression“ gestellt.

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Priv.-Doz. Dr. Stefan Bender, Ärztlicher Direktor des LWL-Klinikums Marsberg.
Priv.-Doz. Dr. Stefan Bender, Ärztlicher Direktor des LWL-Klinikums Marsberg. © Unbekannt | LWL-Klinik Marsberg

Im Rahmen der Veranstaltungswoche gibt es heute, 19 Uhr, im Festsaal der LWL-Klinik den Vortrag „Depression – eine heilbare Volkskrankheit“. Sind tatsächlich so viele Menschen betroffen, dass man von einer Volkskrankheit spricht?

Dr. Bender: Von einer Volkskrankheit sprechen wir aus zwei Gründen: Erstens ist die Erkrankung außerordentlich häufig. Wir gehen davon aus, dass gegenwärtig etwa 5,6 Prozent der Bevölkerung an einer Depression erkrankt sind. Das bezieht sich auf alle Regionen, also auch auf den HSK. Und im Laufe eines Jahres erkranken sogar 8 Prozent der Bevölkerung an einer Depression. Zweitens kann die Erkrankung grundsätzlich jede und jeden treffen, junge und alte Menschen, Frauen und Männer. Dabei erkranken Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer. Zusammenfassend heißt das, im Laufe des Lebens erkrankt etwa jede 4. Frau und etwa jeder 8. Mann an einer Depression.

Es gibt viele Ursachen

Was können Ursachen für eine Depression sein?

Es gibt nicht die eine Ursache, sondern viele Ursachen. Biologische ebenso wie psychosoziale Faktoren können eine Depression bedingen. Meist müssen mehrere dieser Faktoren zusammentreffen, damit es zu der Erkrankung kommt. So gibt es z.B. Menschen mit einer erblichen Veranlagung ähnlich wie bei anderen häufigen Erkrankungen wie z.B. dem Bluthochdruck oder der Zuckerkrankheit. Auch können körperliche Erkrankungen oder Probleme in der persönlichen Entwicklung und Lebensgeschichte eines Menschen oder bestimmte Persönlichkeitseigenschaften die Wahrscheinlichkeit erhöhen, an einer Depression zu erkranken. Häufig sind es belastende Lebenssituationen, die dann schließlich eine Erkrankung auslösen.

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Symptome sehr unterschiedlich

Wie kann man erkennen, ob jemand eine Depression hat?

Oft ist es nicht einfach, eine Depression zu erkennen, für Laien ebenso wie auch für Ärzte und Psychologen. Das hat damit zu tun, dass bei einer Depression außerordentlich viele verschiedene Symptome möglich sind, seelische und körperliche ebenso wie Störungen des Verhaltens. Und die Symptome sind von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Wir sagen: Die Depression hat viele Gesichter. Meist kommt es zu einem Zusammentreffen von depressiver Stimmung, vermindertem Antrieb und einem Verlust von Interesse und Freude. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Krankheitserscheinungen wie vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, eine negative und pessimistische Zukunftsperspektive bis hin zu Suizidgedanken oder gar Suizidhandlungen, aber auch Konzentrationsstörungen und mangelnde berufliche Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus können auch körperliche Beschwerden auftreten wie Schlafstörungen, Appetitminderung, Schmerzen oder Druckgefühl in verschiedenen Körperbereichen, Magen-Darm-Beschwerden oder Atembeschwerden. Die körperlichen Symptome können so im Vordergrund der Erkrankung stehen, dass es Ärzten schwerfällt, die Depression zu erkennen.

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Kampf gegen Stigmatisierung

Sind Depressionen auch heute noch ein Tabuthema?

Leider gibt es in unserer Gesellschaft auch im Jahr 2022 immer noch zahlreiche Vorurteile hinsichtlich psychischer Erkrankungen und erst recht hinsichtlich deren Behandlung bei Psychiatern, psychologischen Psychotherapeuten oder in psychiatrischen Kliniken. Dies führt nicht nur zur Stigmatisierung, sondern auch zur Tabuisierung von depressiven Erkrankungen: Sie werden vor den anderen verschwiegen oder verborgen, oft aus Scham und Angst vor Ausgrenzung oder Ablehnung. Und so ist der Kampf gegen Stigmatisierung und Tabuisierung der Krankheit eine der Aufgaben des Bündnisses gegen Depression im HSK.

Folge: Sozialer Rückzug

Welche Folgen hat die Krankheit für depressive Menschen selbst, aber auch für ihr Umfeld?

Menschen mit einer Depression ziehen sich zurück und vermeiden Kontakte. Die Krankheitssymptome führen zu einer verminderten Leistungsfähigkeit, privat ebenso wie beruflich. Oft können sogar einfache alltägliche Tätigkeiten nicht mehr durchgeführt werden. Das verstärkt dann noch ein Gefühl von Wertlosigkeit und Schuld und führt zu noch mehr sozialem Rückzug. Nicht selten kann das ein solches Ausmaß erreichen, dass die Betroffenen, wenn ihnen nicht rasch und gut geholfen wird, lebensmüde Gedanken oder gar einen konkreten Todeswunsch entwickeln oder sogar Suizid begehen. Auch für die Angehörigen kann eine solche Erkrankung außerordentlich belastend sein, besonders, wenn die Erkrankung nicht erkannt wird, sodass sich die Angehörigen gar nicht erklären können, wieso sich der kranke Mensch so verändert hat und sich scheinbar hängen lässt.

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Heilbare Erkrankung

Wie können Betroffene/Angehörige lernen, mit der Krankheit zu leben?

Der wichtigste, oft aber auch schwierigste Schritt auf dem Weg, mit der Krankheit umgehen zu können ist, die Depression überhaupt als Krankheit zu verstehen. Denn erst, wenn ich als Angehöriger die Symptome eines depressiven Menschen als Ausdruck einer Erkrankung sehen kann und nicht als Folge von Bequemlichkeit, Faulheit, Sich-Hängen-Lassen und Nicht-Wollen, habe ich überhaupt die Möglichkeit, den plötzlich so veränderten Menschen anzunehmen und ihn adäquat unterstützen zu können. Und erst, wenn ich als Betroffener verstanden habe, dass es sich um eine Erkrankung handelt, habe ich überhaupt die Chance, die Kraft und den Mut zu finden, wegen meiner Probleme einen Arzt aufzusuchen und Hilfe anzunehmen. Ein wesentlicher Unterstützungsbeitrag der Angehörigen besteht darin, den Patienten zu motivieren, ärztliche und psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ihm immer wieder zu erklären, dass es sich um eine heilbare Erkrankung handelt. Denn: Grundsätzlich ist jede Depression, unabhängig von der Art und Schwere der Symptome und der verursachenden und auslösenden Faktoren, heilbar. Die Schwierigkeit liegt aber darin, dass Depressionen oft, auch trotz einer adäquaten Therapie, viele Wochen oder gar viele Monate dauern können. Je früher eine Behandlung beginnt, umso besser sind die Erfolgschancen.

Die Therapie

Wie läuft die Behandlung ab?

Die Depressionsbehandlung besteht, insbesondere dann, wenn bei einem Menschen wiederholt depressive Symptome aufgetreten sind aus zwei Phasen: In der ersten Phase geht es darum, durch eine Kombination verschiedener Therapiemaßnahmen - Psychotherapie, antidepressive Medikamente, Sport und Bewegung und viele weitere - die depressiven Symptome zum Verschwinden zu bringen. In einer zweiten Phase geht es darum, den erreichten Genesungszustand zu stabilisieren und dafür Sorge zu tragen, dass es nicht zu einer erneuten Krankheitsepisode kommt.

Infos zu den einzelnen Veranstaltungen gibt es unter: www.hochsauerlandkreis.de/aktuelle-themen