Hochsauerland. Gelbe Autos, dreckige Terrassen und Balkone und überall Blütenstaub. Warum Pollenflug dieses Jahr so heftig ist und welche Sorten stark stauben:

Überall gelber Blütenstaub! Zeichentrick-Drohne Willi aus „Die Biene Maja“ würde speichelnd von köstlichen Pollenklößchen schwärmen. Andere schimpfen wie die Rohrspatzen über den Dreck. Aber in der Tat hat nicht nur Willi allen Grund zur Freude. Denn die Speisenkarte ist in diesem Jahre im Hochsauerland ausgesprochen vielfältig bestückt. Vor allem die Waldbäume geben momentan alles. Statt uns darüber zu ärgern, dass Autos verdreckt sind und Terrassen wie nach einem Sahara-Sandsturm aussehen, sollten wir uns lieber freuen: Denn reichlich Pollen sind die Voraussetzung dafür, dass im Herbst ausreichend Samen zusammenkommen, um die riesigen Kahlflächen wieder zu bewalden.

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„Wir haben es momentan mit einer sehr bunten Mischung zu tun. Die Eiche blüht, der Spitzahorn, die Buche und – dort wo noch vorhanden – natürlich auch die Fichte“, sagt Johannes Jesch. Er arbeitet beim Landesbetrieb Wald und Holz NRW und hier speziell beim Zentrum für Waldbau und Holzwirtschaft in Arnsberg. Er kann sich sehr gut mit dem ordentlichen Hauch von Gelb arrangieren. Denn gibt es viel Pollen, steigt auch die Chance auf reichlich Samen: „2020 konnten wir 144 Tonnen Forst-Saatgut ernten. 2021 war es das schlechteste Jahr mit gerade einmal zehn Tonnen“, sagt Jesch, der für die Vermarktung und Beratung von Saatgut bei Waldbesitzern und Baumschulen zuständig ist. „Wir brauchen in NRW dringend Samen für die 115.000 Hektar Freifläche. Wir sind quasi die Steigbügelhalter der Waldbesitzer, denn ohne Saatgut können die Baumschulen keine Pflanzen produzieren.“

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Jeder Baum, so der Fachmann, unterliege einem eigenen Blührhythmus von, drei, fünf oder sieben Jahren, der auch schon mal variieren könne. Dass sich Bäume und Büsche gerade in diesem Jahr zum gemeinsamen Stauben verabredet hätten, könne viele Ursachen haben. Eine davon: Der Winter war aus forstwirtschaftlicher Sicht ausreichend feucht, so dass nach den Jahren der Klima-Extremen bei allen Bäumen und Sträuchern die Pollenproduktion „mäßig bis stark“ sei. Jesch hofft nun, dass nicht noch die Eisheiligen der guten Entwicklung einen Strich durch die Rechnung und Fruchtansätze zunichte machen.

Regelrechte Staubwolken zogen vor zwei Jahren über die noch dichten Fichtenwälder. Heute sind diese ausgedünnt oder liegen brach: trotzdem staubt es momentan heftig.
Regelrechte Staubwolken zogen vor zwei Jahren über die noch dichten Fichtenwälder. Heute sind diese ausgedünnt oder liegen brach: trotzdem staubt es momentan heftig. © wp | Rita Maurer

Manche Baumarten - wie zum Beispiel die Fichte – können übrigens auch aus purem Überlebenstrieb die Pollenherstellung ordentlich ankurbeln. „Wir stellen fest, dass manche Arten immer früher blühen. Der Baum hat eine Art Instinkt, der ihm sagt: Bevor Du abstirbst, musst Du Dich nochmal verjüngen. Auch diese Angstblüte hat es im Rahmen der Evolution schon immer gegeben“, so der Fachmann. Dass viele über Blütenstaub reden, liegt für Johannes Jesch aber nicht nur daran, dass sie ihr Auto häufiger waschen oder den Balkon abfegen müssen: „Die Trockenheit, der Borkenkäfer und jetzt überall die riesigen Freiflächen haben die Gesellschaft mehr für das Thema Wald sensibilisiert.“ Daher nehme man auch solche Phänomene wie den intensiven Blütenstaub intensiver als sonst wahr.

Viele Gründe für den Blütenstaub

Auch Dr. Axel M. Schulte, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Biologischen Station des HSK, geht davon aus, dass beim Blütenstaub momentan viele Gründe und viele Arten zusammenkommen. „Die steigenden Temperaturen haben das begünstigt. Ohne die Pollen untersucht zu haben, glaube ich, dass es sich zu einem Großteil um Fichte und Birke handelt. Von der Masse her gibt es sicherlich weniger Fichten. Aber auf vielen Flächen hat sich die Birke als Lücken-Pionier stark ausgebreitet. Insofern denke ich auch, dass es ein Blütenstaub-Mix aus vielen Arten ist.“ Pollenflug, so der Biologe, sei generell der Versuch der Pflanze, ihre Art zu erhalten. „Und wenn der Standort nicht günstig ist, ist das weite Verbreiten von Pollen die einzige Chance, um an einen günstigeren Platz zu gelangen.“ Ein Pollenkorn könne sich locker drei bis vier Kilometer weit vom Wind treiben lassen. Mini-Samen könnten auf die Art sogar den Weg bis über die Alpen schaffen.

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Dafür, dass es momentan an manchen Orten viel mehr staubt als an anderen, gibt es auch eine nachvollziehbare Erklärung: „Es gibt ja auch durchaus noch einige Fichten-Bestände, die auf für sie günstigen Flächen stehen. Und in dem direkten Umfeld staubt es dann natürlich mehr.“ Ob ein Baum starke Pollen ausbilde, entspringt übrigens keiner spontanen Laune. Dr. Schulte: „Die Knospen, die jetzt ausgebildet werden, wurden schon im vergangenen Jahr angelegt.“

Viel Staub, viel Pollen, viel Nahrung für Insekten, gute Geschäft für die Autowaschstraßen – eigentlich eine gute Sache. Wären da nicht die Pollenallergiker. Aber das ist wiederum eine ganze andere Geschichte für sich…