Hochsauerland. Fasten, verzichten, sich einschränken - wer macht so etwas heute noch? Die Katholische junge Gemeinde fastet online und das geht im Sauerland so:
„Fasten“ – das klingt nach Verzicht, nach Wasser und Brot, mieser Laune, Gewichtsabnahme oder Lebensfrust. Gestern ist die sechswöchige Fastenzeit gestartet. Und viele glauben: Fasten müsse irgendwie spürbar weh tun. Weniger kann aber auch mehr sein. Und Fasten kann auch dazu gut sein, unnötigen Ballast über Bord zu werfen, sich auf Wesentliches zu beschränken, in sich hineinzuhören, sich neu zu orientieren. Fasten als moderne Form der Achtsamkeitsübung? Im Erzbistum Paderborn bietet die Katholische junge Gemeinde (KjG) ab sofort bis Ostern eine Online-Aktion an. „Wozu?Weniger“, lautet das Motto, unter dem junge Erwachsene sich sechs Wochen lang in gewisser Weise auf ein Experiment mit sich selbst und anderen einlassen.
Keine weitere Brigitte-Diät
„Es geht hier nicht um eine weitere Brigitte-Diät. Wir gehen der Frage nach: Was trennt mich von einer anderen, besseren Version von mir? Wie kann ich Zeit anders ein- und verteilen? Und wozu sollte ich das tun?“, umreißt der Koordinator der Aktion, Martin Schwentker, die Thematik. Der Religionspädagoge leitet beim KjG-Diözesanverband das jugendspirituelle Zentrum „Spice“, bei dem es generell um die Würze des Lebens geht und um die Frage, an welchen Werten jeder einzelne sein Leben festmacht, welche Träume, Ideale und Visionen er/sie hat und welche Rolle Glaube dabei spielt. „Viele Menschen sind auf der Suche, finden aber vor Ort in ihrer Kirche kaum Antworten. Wir versuchen, uns im jeweiligen Lebenskontext der Jugendlichen zu bewegen. Wir gehen daher – nicht nur wegen Corona – sondern ganz bewusst in die digitale Welt und holen die Leute dort ab, wo sie ohnehin schon sind“, sagt Schwentker.
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Kostenlose Teilnahme
Die Teilnehmer/innen der kostenlosen Aktion melden sich per Mail für die Fastenaktion an. Jeden Sonntag erhalten sie vom Projektleiter eine Mail. Darin finden sie Gedanken und Impulse zum „Weniger“, die sie über die Woche begleiten können. Alle zwei Wochen treffen sich die Fastenden donnerstagabends digital, um sich rund 90 Minuten lang über ihre Erlebnisse und Erfahrungen auszutauschen. „Wir richten einfach etwas mehr Aufmerksamkeit auf unseren Alltag und reflektieren manche liebgewonnenen Rituale. Muss ich mich zum Feierabend vom Fernsehen berieseln lassen? Warum tue ich das? Könnte ich die Zeit anders, sinnvoller nutzen, mich engagieren, die Zeit einer anderen Person widmen, einen Brief schreiben?“ Der 34-jährige Religionspädagoge ist überzeugt davon, dass die Menschen auf der Suche nach Sinngebung sind und das zum Beispiel auch das Fasten sprach- und sinnfähig in die heutige Lebenswelt junger Menschen übersetzt werden kann. „Das gilt nicht nur für das Fasten; das gilt auch für Sakramente wie Buße: Dabei kann es ja um Versöhnung mit sich selbst und der Gesellschaft gehen. Das Angebot muss gut und adressatenorientiert sind. Daher liegt der Schlüssel zum Erfolg in der richten Form der Kommunikation.“
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Auf die „Portion extra“ verzichten
Erfahrungsgemäß kommen die Teilnehmer aus kirchlichen Jugendverbände wie der KjG. Einer von ihnen ist Niklas Zimmer aus Rösenbeck. Der 25-jährige hat Soziale Arbeit studiert und arbeitet in der kirchlichen Bildungseinrichtung Jugendhof Pallotti in Lennestadt. Warum er fastet? „Das ist gar nicht so spontan zu beantworten. Es hat sicherlich damit zu tun, sich in Verzicht zu üben. Es geht aber auch darum, sich des Überflusses bewusst zu werden.“ Auf zwei Dinge will er in den nächsten sechs Wochen ganz bewusst verzichten: Den Nachschlag beim mittäglichen Essen und Chips. „Eigentlich ist man schon satt, aber beim mittäglichen Buffet in unsere Jugendbildungsstätte lege ich mir gern noch eine weitere Portion auf, die eigentlich gar nicht sein müsste. Durch meinen Verzicht möchte ich ein Gegengewicht zur Verschwendung setzen. Vielleicht wird dann irgendwann mal weniger gekocht und weniger weggeworfen.“ Für ihn als Christ sei es auch eine Aufgabe, Schöpfung zu bewahren und sei es im Kleinsten, sagt der Rösenbecker, der im Musikverein mitspielt und sich in seiner Gemeinde wohl und geerdet fühlt. Trotzdem ist es wichtig für ihn, bei dieser digitalen Fastenaktion mitzumachen auf andere Menschen zu treffen und sich mit ihnen austauschen zu können. Außerdem entstehe durch die Gemeinschaft ein leichter soziale Druck, sich auch an seine Vorsätze zu halten.
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Zu seinem zweiten Vorsatz in der Fastenzeit - keine Chips – meint er: „Es nervt mich selbst, dass man diesem Drang erliegt und dann immer die ganze Tüte leerfuttern muss. Hier geht es um Prinzip und um Willensstärke.“ Natürlich könne man sich solche Vorsätze das ganze Jahr über vornehmen, aber als Vorbereitung auf Ostern und mit den sechs Wochen Fastenzeit im Hinterkopf werde so mancher Fastenvorsatz – sechs Wochen kein Alkohol, sechs Wochen keine Süßigkeiten, sechs Wochen kein Handy – auch gesellschaftlich anerkannt.
„Smachtlappen“ und „Hungertuch“
Am Aschermittwoch hat nicht nur für katholische Christen die 40-tägige vorösterliche Fastenzeit begonnen. „Die Idee dahinter ist, dass Fast- und Abstinenztage der körperlichen und geistigen Vorbereitung auf kirchliche Hochfeste dienen und gleichzeitig an biblisches Geschehen erinnern sollen“, erklärt Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Kommission Alltagskulturforschung beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). „Der zeitweise Verzicht auf Nahrung ist nicht auf das Christentum beschränkt, sondern wird als religiöse Praxis auch in anderen Religionen, etwa im Islam oder im Hinduismus, gepflegt.“Die römisch-katholische Kirche kennt sowohl Fast- als auch Abstinenztage: „Fasten bedeutet, dass man sich einmal am Tag sattessen und eine kleine Zwischenmahlzeit einnehmen darf, während unter Abstinenz der Verzicht auf Fleischspeisen verstanden wird,“ so Cantauw. Fastentage waren neben den 40 Tagen von Aschermittwoch bis Karsamstag (mit Ausnahme der Sonntage) auch die Adventstage, die Quatembertage (Mittwoch, Freitag und Samstag von vier bestimmten Wochen im Jahr), die Vorabende der kirchlichen Hochfeste Pfingsten und Weihnachten sowie die Tage vor Peter und Paul (29.6.), Mariä Himmelfahrt (15.8.) und Allerheiligen (1.11.).„Diese zahlreichen Fasttage konnte sich natürlich kaum jemand merken. Damit sie nicht vergessen wurden, war es eine wichtige Aufgabe der Pfarrer, den Gläubigen jeden Sonntag von der Kanzel aus ausdrücklich einzuschärfen, ob und wann in der nächsten Woche Fastengebote zu beachten waren“, sagt Cantauw. Das könne man noch heute in den so genannten Verkündbüchern nachlesen, die für einige Pfarrgemeinden erhalten geblieben sind. Äußerlich sichtbares Zeichen der Fastenzeit, war das Fastenvelum, ein großes, besticktes Tuch, das ab Aschermittwoch in den Kirchen zwischen den Gläubigen und dem Altar hing. Es wurde als Zeichen der Fastenzeit angesehen und „Smachtlappen“ oder „Hungertuch“ genannt.
Mitmachen oder quer einsteigen in die digitale Fastenaktion kann jeder/jede jederzeit. An Gründonnerstag wird es einen besonderen Abend geben. Unter dem Motto „Come to the table“ (Kommt an den Tisch) wird online gemeinsam Abendmahl gefeiert. „Wir haben das schon einmal gemacht, indem wir allen Teilnehmern eine Brotbackmischung und Traubensaft zugeschickt haben.“ Wer weiß, vielleicht würde ja Jesus heutzutage in Anbetracht von Corona und moderner Medien auch nicht mehr in Präsenzform an die lange Tafel bitten.
Wer bei der Fastenaktion mitmachen möchte, kann sich per Mail wenden an martin.schwentker@kjg-paderborn.de