Marsberg. Miriam Vogel ist Ärztin im St.-Marien-Hospital Marsberg. Sie spricht über den zunehmenden Engpass an Intensivbetten und die neue Corona-Variante.

Die Coronalage hat sich in Deutschland in den vergangenen Wochen stark verschlechtert. Krankenhäuser füllen sich auch im Hochsauerlandkreis vermehrt mit erkrankten Patienten. Miriam Vogel ist Ärztin im St.-Marien-Hospital Marsberg und erlebt all das im Berufsleben. Sie erklärt, wie die Situation vor Ort aussieht und was sie innerlich anspannt.

Wie ist die Situation auf der Intensivstation?

Miriam Vogel: Es fühlt sich an wie die „Ruhe vor dem Sturm“. Wir haben aktuell in Marsberg keinen akuten Bettenmangel. Spürbar ist der zunehmende Engpass an Intensivbetten indirekt aber schon. Wir bekommen in den vergangenen Wochen vermehrt Anfragen von außen bezüglich einer Übernahme von intensivpflichtigen „Nicht-Covid-Patienten“. Und wenn wir selbst Patienten, zum Beispiel aufgrund eines akuten Nierenversagens, in spezialisierte Kliniken verlegen müssen, gibt es Absagen, weil es an den dortigen Bettenkapazitäten scheitert. Außerdem ist die Stimmung bei allen Kollegen und mir selbst angespannt. Wir beobachten die Entwicklungen im Infektionsgeschehen sehr genau. Man hört vermehrt von komplett belegten Intensivstationen im Umkreis und natürlich fragt man sich, wann es auch unsere Station trifft und was da auf uns zukommen wird.

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Wie blicken Sie auf den langen Winter mit Blick auf Corona und die neue Variante?

Ich bin innerlich angespannt. Die Neuinfektionen von heute landen ja erst in einer guten Woche im Krankenhaus und wir sind weiterhin im Anstieg der Infektions-Kurve. Auch jetzt ist die Situation in vielen Regionen schon kritisch. Dabei sehe ich nicht nur die absoluten Intensivbetten, sondern schaue insbesondere auch auf die ECMO-Kapazitäten für die Patienten mit schwerem Lungenversagen. Dass nun eine neue Virus-Variante hinzukommt, ist kein gutes Timing. Ganz grundsätzlich ist die Entstehung und Verbreitung von neuen Varianten nur eine Frage der Zeit. Ob oder wie schnell sich Omikron durchsetzen wird und wie relevant diese Variante das Infektionsgeschehen tatsächlich beeinflussen wird, das kann man nur mutmaßen.

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Wie viele Corona-Patienten liegen derzeit auf der Intensivstation?

Wir haben aktuell einen Covid-Patienten auf der Intensivstation. Einen weiteren könnten wir noch aufnehmen. Wie bewältigen Sie den Andrang?Derzeit gut. Ich bezweifele allerdings, dass das bis Weihnachten so bleiben wird.

Zur Person

Miriam Vogel ist Oberärztin der Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie des St.-Marien-Hospitals Marsberg.

Studiert hat die Marsbergerin in Marburg.

Seit Anfang des Jahres ist sie am Marsberger Hospital tätig.

Sie lebt mit ihrem Mann in Helmighausen.

Was heißt das für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen?

Vermutlich kommt eine unruhige Zeit auf uns zu: viele schwer kranke Patienten, viele verzweifelte Angehörige. Die Therapiemöglichkeiten bei Covid-Infektionen sind nach wie vor begrenzt. Sowas geht immer mit einer hohen physischen und psychischen Belastung einher. Ich hoffe sehr, dass wir nicht in die Situation kommen, eine Triage machen zu müssen.

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Wie stehen Sie aus medizinischer Sicht dazu, dass ungeimpfte Personen derzeit ein Risiko darstellen?

Ich persönlich habe zum Thema Impfung eine klare Meinung und würde eine generelle Impfpflicht begrüßen. Vor ein paar Tagen habe ich dazu einen treffenden Vergleich gelesen: „Ich darf sehr viel Alkohol trinken, darf dann aber kein Auto mehr fahren“. Die individuelle Freiheit hat Grenzen, wenn es um den Schutz der Allgemeinheit geht.

Wie hoch ist der Anteil der Ungeimpften auf der Intensivstation?

Die Anzahl an ungeimpften Patienten überwiegt - aber wir sehen auch Impfdurchbrüche. Man weiß natürlich nie, wie schwer deren Verläufe ohne Impfung gewesen wären. Das ist nun einmal das Paradoxon der Prävention.

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Bemerkt man sowas wie Bedauern bei Ungeimpften?

Covid ist ein sehr einsames Leiden. Die Patienten sind isoliert, der Aufwand, das Zimmer zu betreten, ist hoch und Besuch ist nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Da bleibt viel Zeit, um an die Decke zu starren und zu grübeln. Ich glaube, dass Patienten, denen es sehr schlecht geht, mit ihrer Entscheidung gegen eine Impfung hadern. Allerdings - für ein wirkliches Gespräch fehlt ihnen auf der Intensivstation meistens schon die Luft.

Was erwarten Sie von der Politik?

Ich beobachte in allen Lebensbereichen, dass die Maßnahmen gegen Corona wenig stringent sind. Wir laufen der Situation hinterher. Das Ziel muss es sein, vor die Welle zu kommen - wieder zu agieren, statt nur zu reagieren. Dazu braucht es schnelle und klare Vorgaben der Politik. Das ist wie in der Medizin auch: In einer Notfallsituation muss ich handeln. Ich muss die Situation erfassen, schnell zu einer Entscheidung kommen und diese konsequent umsetzen. Und natürlich wünschen wir uns von der Politik, dass sie die Arbeitsbedingungen für die schwer belasteten Pflegekräfte nachhaltig verbessert. Das muss über die Pandemie hinaus auch an deren Kontostand sichtbar werden.