Hallenberg. Wie die Freilichtbühnen sich nach Corona neu aufstellen und warum ihre Arbeit als Kulturträger so wichtig ist. Der Verband tagte in Hallenberg:

Wie macht man mit wenig Aufwand aus einem ausgemusterten Hofstaatkleid eine festliche Biedermeier- oder Rokoko-Robe? Wie verwandelt man eine junge Frau nur mit Theaterschminke in eine Greisin und berücksichtigt dabei sowohl persönliche Gegebenheiten als auch Lichtbedingungen und Abstände zum Publikum?

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160 Vertreter von 42 Bühnen

Dieses waren nur zwei von unzähligen Fragen, die am Wochenende in Hallenberg beantwortet wurden. Denn hier tagte der Verband der deutschen Freilichtbühnen aus der Region Nord. Dieser Verband umfasst 42 Bühnen in Niedersachsen, Nordhessen und NRW. Von diesen kamen rund 160 Vorstandsmitglieder ins Sauerland, um sich auszutauschen, mit Fachreferenten und Politikern zu diskutieren und an praktischen Workshops rund um das Amateur-Freilufttheater teilzunehmen.

Hervorragende Gastgeber

Fast 100 Helfer der Hallenberger Freilichtbühne waren im Einsatz, um die Gäste zu versorgen, zu betreuen und mit einem Abendprogramm zu unterhalten. Ein Heimspiel war die Tagung für den ersten Vorsitzenden: Heribert Knecht aus Hallenberg, ein Urgestein der örtlichen Freilichtbühne seit fünf Jahrzehnten, steht dem Verband seit elf Jahren vor und ist gleichzeitig Vizepräsident des Bundesverbandes, der auch die 48 süddeutschen Bühnen umfasst.

Verbandstagung der Freilichtbühnen in Hallenberg: Von den 42 Mitgliedsbühnen kamen rund 160 Vorstandsmitglieder ins Sauerland, um sich auszutauschen, mit Fachreferenten und Politikern zu diskutieren und an praktischen Workshops rund um das Amateur-Freilufttheater teilzunehmen
Verbandstagung der Freilichtbühnen in Hallenberg: Von den 42 Mitgliedsbühnen kamen rund 160 Vorstandsmitglieder ins Sauerland, um sich auszutauschen, mit Fachreferenten und Politikern zu diskutieren und an praktischen Workshops rund um das Amateur-Freilufttheater teilzunehmen © WP | Rita Maurer

Verbandsarbeit – das klingt im ersten Moment sehr theoretisch. Wie wichtig diese Arbeit sprichwörtlich hinter den Kulissen ist, wurde jedoch in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren klar. Es glühten unzählige Telefondrähte zwischen dem Verband und den einzelnen Bühnen, ihren Kommunen sowie den zuständigen Ministerien, um nach der Komplettabsage 2020 wenigstens im Sommer 2021 Chancen auf eine angepasste Spielsaison hinzubekommen.

Das war den Bühnen lange verwehrt, weil die Coronaschutzverordnung den Amateuren das Proben im Gegensatz zu den Profis untersagte. Viel Ausdauer, Verhandlungsgeschick und Stoßgebete waren nötig, für manche Freilufttheater reichte die Zeit nach der Regelungsänderung im späten Frühjahr dennoch nicht mehr. Aber es kamen auch so kreative Lösungen wie das Beispiel der Freilichtbühne Stromberg zustande: Die Jugendgruppe hatte Passagen aus ehemaligen Stücken neu einstudiert und spielte diese auf öffentlichen Plätzen oder vor Seniorenheimen, wie Heribert Knecht berichtete.

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Nachwuchsarbeit ist wichtig

Ein wichtiger Aufgabenbereich des Verbandes ist schon immer die Nachwuchsarbeit sowie die Aus- und Weiterbildung aller Schauspieler. Auch die Inhaber von Leitungspositionen können auf fachliche Schulungen wie z.B. zu pädagogischen, steuerlichen und rechtlichen Dingen zurückgreifen. In den vergangenen Jahren habe es eine Verjüngung in vielen Vorständen gegeben. Entsprechend groß sei der Bedarf an Unterstützung.

Eine Szene aus „Sugar“ als Präsent

Typisch fürs Theater sind Drehbücher, an die sich alle Beteiligten zu halten haben, wenn die Abläufe reibungslos ineinander greifen sollen. Ein solches Drehbuch hatte auch Heribert Knecht akribisch für das gesamte Wochenende zusammengestellt. Deshalb winkte er erst ab, als unvermittelt seine Vorstandskollegen Magnus Ronge und Theo Krukenbaum auf die Bühne stiegen: „Ihr seid doch jetzt gar nicht dran!“ Doch, sie waren dran, denn sie wollten sich im Namen des Verbandes für den jahrzehntelangen Einsatz ihres Vorsitzenden bedanken, für den er im August auch den Verdienstorden des Landes NRW verliehen bekommen hatte (wir berichteten). Heribert Knecht bekam als Auszeichnung ein Aquarell mit einer Szene von ihm als Schauspieler in „Sugar“ und der Freilichtbühne im Hintergrund. Die Anwesenden würdigten Heribert Knecht mit lang anhaltenden und stehenden Ovationen.

Dass die ehrenamtlichen Freilichtbühnen für die jeweilige – meistens ländliche – Region ein hohes Gut sind, honorierten Landrat Dr. Karl Schneider und Bürgermeister Enrico Eppner mit ihrer Anwesenheit. Schneider bestätigte dem Verband, seine Mitgliedsvereine in der Pandemie als wohl größte Krise für Kulturschaffende „mit viel Know-How“ begleitet zu haben. Er appellierte an die Verantwortlichen in Land und Bund, die Freilichtbühnen von Bürokratie zu entlasten und ihnen rechtzeitig Planungssicherheit für die nächste Saison zu geben: „Ich vermisse die feierlichen Premieren auf unseren HSK-Freilichtbühnen in Hallenberg und Herdringen, das Reinkommen in den Zuschauerraum, die Platzsuche, die engen Kontakte mit anderen Gästen, die gespannte Vorfreude, das gemeinsame Erleben eines Stückes. Wir brauchen das alles wieder!“

Eine Auszeichnung gab es für Heribert Knecht (Mitte) von seinen Vorstandskollegen Magnus Ronge (rechts) und Theo Krukenbaum.
Eine Auszeichnung gab es für Heribert Knecht (Mitte) von seinen Vorstandskollegen Magnus Ronge (rechts) und Theo Krukenbaum. © WP | Maurer

Einer von uns

„Yeah, einer von uns“, kommentierten einige Teilnehmer die Information von Heribert Knecht, dass Hallenbergs Bürgermeister Enrico Eppner in seinen Jugendzeiten selber aktives Freilichtbühnenmitglied war. Dieser stellte in seinem Grußwort die große Bedeutung der Freilichtbühne für die Wirtschaftskraft und den Tourismus der Stadt dar. Kaum eine andere Marke sei so sehr mit Hallenberg verbunden wie die Bühne. Das ehrenamtliche Engagement dort sei für viele Bürger zu einer Lebenseinstellung geworden.

Diese Aussage unterstrich Simon Isser als Präsident des Bundes Deutscher Amateurtheater aus Berlin. „Förderung der Kultur ist auch gleichzeitig Förderung der Wirtschaft. Aber die größte Förderung für uns ist es, wenn die Menschen wieder in unsere Vorstellungen gelassen werden.“