Brilon/Olsberg. Was das Gericht in Brilon nicht herausfand: Warum stach der Iraker auf den Syrer ein? Spekulationen drehen sich um Drogen und religiöse Motive.
Um eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags ist er herumgekommen. Aber mit drei Jahren und neun Monaten Haft wegen gefährlicher Körperverletzungen verhängte das Schöffengericht Brilongegen den 31 Jahre alten Zuwanderer aus dem Irak noch drei Monate mehr, als Staatsanwalt Neulken gefordert hatte. Was an den beiden Verhandlungstagen trotz bohrender Nachfragen völlig im Dunkeln blieb: Was gab an jenem März-Abend in diesem Frühjahr überhaupt den Anlass für den Zwischenfall auf der Ruhrufer-Promenade zwischen Olsberg und Bigge? Dubiose Drogengeschäfte? Oder ein religiöser Hintergrund, weil der Iraker vom Islam zum Christentum konvertierte?
Annäherungsverbot verhängt
Aktenkundig ist: Am Landgericht Arnsberg ist gegen den Iraker ein Verfahren wegen schwerer räuberischer Erpressung anhängig. Das Opfer: wie auch in diesem Prozess der junge Syrer. Dabei geht es um einen Vorfall, bei dem der Iraker den Syrer unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt haben und ihn zusammen mit einem gemeinsamen Bekannten zusammengeschlagen haben soll; außerdem soll der Iraker das Auto des Syrers demoliert haben.
In einem Gewaltschutzverfahren war dem Iraker ein Annäherungsverbot auferlegt worden. Das hatte der Vorsitzende des Schöffengerichts, Neumann, selbst ausgesprochen. Dabei, so sagte der Richter, sei es um Drogenhandel gegangen und dass der Syrer wohl aussteigen und jemanden auffliegen lassen wollte.
§ 224 StGB: „Gefährliche Körperverletzung“
(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, 2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, 3. mittels eines hinterlistigen Überfalls, 4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder 5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Andererseits stehen hohe Schmerzensgeldforderungen im Raum, die der Iraker über einen Anwalt gegenüber dem Syrer und zwei seiner Familienangehörigen geltend macht. Insgesamt geht es um rund 40.000 Euro.
Gerichtsmedizinerin klärt Herkunft der Wunden
Die Aussagen des Angeklagte, dass der Syrer den Streit auf der Ruhrufer-Promenade angefangen und er sich mit einem auf der Straße mal gefundenem Eisenstück nur gewehrt und dabei den 25-jährigen verletzt habe, standen am zweiten Verhandlungstag am Montag (20. September) gar nicht mehr zur Debatte.
Tatwerkzeug, so sagte eine Gerichtsmedizinerin, sei aufgrund des Schnittbildes - „Die Wunden hatten zwei spitze Enden.“ - ein Messer. Ein angespitztes Eisen dagegen hätte „unregelmäßige Wundränder“ hinterlassen.
Lesen Sie auch: Personalnot im Restaurant: Speed-Dating für Kellner in Brilon
Auch das am zweiten Verhandlungstag vorliegende Handy-Video, das der Geschädigte vom Tathergang gemacht hatte, half bei der zentralen prozessualen Frage, ob der Iraker von sich aus von der Tat abgelassen hat oder erst, nachdem das Opfer angefangen hat ihn mit seinem Handy zu filmen. Damit, so hatte der durchtrainierte 25-jährige gesagt, habe er einen Beweis für die Attacke haben wollen.
Wie berichtet, war der 25-Jährige nach dem hinterrücks erfolgten Angriff erst vor dem Iraker weggerannt, hatte aber, nachdem er ihn aufgrund seiner Sportlichkeit leicht abgehängt hatte, gestoppt, sein Handy genommen und angefangen, den Verfolger zu filmen. Der drehte daraufhin ab und lief, wie das verwackelte Video zeigt, recht ungelenk zurück, verfolgt von dem Syrer, der immer wieder laut rief, dass der Iraker mit einem Messer auf ihn eingestochen habe.
Angeklagter steht noch unter Bewährung
An einer Gruppe Jugendlicher blieb der Iraker mit erhobenen Händen stehen und sagte, dass er kein Messer habe. Zu sehen ist auch, wie der Syrer mit dem vorne von oben bis unten durchgerissenen T-Shirt der Gruppe Jugendlicher seinen blutenden Oberarm zeigt. Der Angeklagte war danach verschwunden
Der Angeklagte „hätte seine Tat vollenden können“, sagte Staatsanwalt Neulken. Schließlich hätte er seinem Opfer das Handy mit der Videoaufnahme danach einfach abnehmen können. Insofern sei nicht auszuschließen, dass der Iraker tatsächlich freiwillig von dem Syrer abgelassen habe.
Allerdings: „Wer mit einem Messer auf Nacken und Schulte einsticht, weiß, was er tut und was er in Kauf nimmt.“ Zum Glück habe sich das Opfer gewehrt, so sei es bei drei eher oberflächlichen Verletzungen geblieben. Strafverschärfend sei, dass der Angeklagte derzeit noch unter Bewährung stehe. Wegen tätlichen Angriffs auf einen Vollstreckungsbeamten war er im August vergangenen Jahres zu sechs Monaten Haft verurteilt worden.
Lesen Sie auch:Historische Chance: Willingen will weg von Party-Image
Als Nebenkläger forderte Rechtsanwalt Brock sogar vier Jahre Haft.
„Wem soll man hier glauben?“ stellte Verteidiger Knepper in den Raum. Hier gebe es von „zwei Leuten, die sich seit langem beharken“, zwei völlig unterschiedliche Aussagen. Auffällig sei die Belastungstendenz bei dem Syrer. Und: „Wenn ich mit einem Messer angegriffen werden, dann renne ich doch doch weg, aber nicht hinter dem Täter mit dem Messer hinterher.“ Dem Zeugen könne er „kein Wort glauben“, deshalb plädiere er auf Freispruch.
Gericht verlängert Haftbefehl
In seinem Letzten Wort sagte der Angeklagte, dass er bereue, was er getan habe - „Aber ich musste mich verteidigen.“
Die Verteidigung dürfte gegen das Urteil Berufung einlegen. Der Angeklagte ist seit der Tat in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde vom Gericht verlängert.