Wissinghausen. Wenn sie ausschwärmen, wirds dunkel im Wohnzimmer von Zita Lichte. Doch die 82-Jährige liebt ihre Schwalben. Über 70 Nester kleben unterm Giebel.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Und wie sieht das bei weit über 100 Vögeln aus? Zita Lichte aus Deifeld-Wissinghausen hat ein Herz für die eleganten Segler. 1966 sind sie und ihr schon lange verstorbener Mann ins eigene Haus gezogen. Und von Anfang an wohnen seitdem Jahr für Jahr mehr und mehr fliegende Untermieter bei ihr. „Ich weiß nicht, wie viele Nester es sind. Es dürften um die 70 oder mehr sein. Unter den bestehenden Nestern werden zum Teil schon wieder neue gebaut“, sagt die 82-Jährige.

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Während viele Hausbesitzer den Dreck fürchten, den nistende Schwalben rund ums Haus verursachen, hat die Rentnerin die Tiere ins Herz geschlossen: „Der Herrgott hat sie nicht umsonst geschickt. Und wo sollen sie denn bleiben, wenn sie jeder wegscheuchen würde?“

NABU-Auszeichnung für schwalbenfreundliches Haus

Zwei liebenswerte Nachbarinnen von Zita Lichte haben die WP auf die 82-Jährige aufmerksam gemacht, die sich so rührend um ihre Schwalben kümmert und ihnen Jahr für Jahr Obdach gewährt.

Sie hatten wiederum in der WP von einer Aktion des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) gelesen, der Hausbesitzer auszeichnet, die sich als vorbildliche Schwalben-Gastgeber verdient gemacht haben.

Zita Lichte- das hat unsere Nachfrage gestern ergeben - ist von ihren Nachbarinnen beim NABU für diese Auszeichnung vorgeschlagen worden. Und was auch Frau Lichte noch nicht weiß: die Urkunde ist per Post unterwegs zu ihr: „Wir freuen uns immer wieder, wenn Menschen sich auf diese Art für Tiere engagieren und einsetzen. Daher hat Frau Lichte diese Auszeichnung mehr als verdient“, sagt NABU-NRW-Sprecherin Birgit Königs. Im Rahmen der Aktion haben NRW-weit bereits 2000 Bürger diese Urkunde bekommen. Weitere Infos unter nrw.nabu.de

Wenn es warm und sonnig ist, herrscht ein Kommen und Gehen unter dem Dachgiebel. „Manchmal wird es richtig dunkel in Wohnzimmer und Küche, wenn sie scharenweise schwärmen und ihre Jungen füttern. Dafür habe ich nicht eine einzige Fliege in der Stube“, erklärt Zita Lichte. Vor einiger Zeit sollte die Dachrinne am Haus erneuert werden und die Fenster brauchten einen neuen Anstrich. „Kann ich schon kommen oder sind die Schwalben noch da?“, hatten die Handwerker im Herbst gefragt, die die Passion der sympathischen Sauerländerin kennen. Die Vögel verließen ihr Quartier erst spät. Rinne und Fenster mussten daher warten. „Aber auch nicht zu lange, denn ich habe hier zwei Paare, die kommen im Frühjahr immer als Erste. Das ist die Vorhut. Wenn die anreisen, ruft mein Nachbar Helmut schon: ,Deine Schwalben sind wieder da!’“

Mehrfach im Jahr brüten die Schwalben. Wenn man sich vorstellt, dass in einem Nest vier Vögel sitzen, kann man sich ausmalen, wie viele Schwalben in Wissinghausen zur Untermiete wohnen.
Mehrfach im Jahr brüten die Schwalben. Wenn man sich vorstellt, dass in einem Nest vier Vögel sitzen, kann man sich ausmalen, wie viele Schwalben in Wissinghausen zur Untermiete wohnen. © Funke Foto Services GmbH | Fischer

Früher, als Zita Lichte in ihrem Haus noch zweibeinige Pensionsgäste beherbergte, sprachen die Sommerfrischler nicht umsonst vom „Haus Sonnenblick“. Den ganzen Tag über scheint sie auf das Grundstück mit dem gepflegten Bauerngarten samt Gemüse und den herrlich bunten Blumen und Stauden. Die Vögel scheinen den Standort zu mögen. „Der Giebel ist sehr spitz; da können ihnen die Elstern nichts anhaben“, sagt Zita Lichte. Unter dem Küchenfenster rankt eine alte Kletterrose nach oben. „Die blüht schon früh im Jahr; aber ab April/Mai muss ich sie abdecken. Das gilt auch für die Tomaten.“

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Überall hat die 82-Jährige Pappendeckel und Kartons ausgelegt, um Rose und Tomaten vor dem Vogeldreck zu schützen. Mit einem Schälmesserchen kratzt sie den Dreck immer wieder von der Pappe. Die Außenlampe, die Fensterbänke, die Scheiben, der Hausputz, die Garagen-Einfahrt – überall hinterlassen die Schwalben unweigerlich ihre Spuren. Das Baumaterial für die Nester ist hart wie Beton. „Ich komme nicht umhin, mindestens zweimal die Woche die Fenster zu putzen und die Bänke zu reinigen. Aber was soll’s? Die Tiere sind Glücksbringer, die kann ich nicht vertreiben.“

„An Mariä Geburt fliegen die Schwalben furt“

In den Anfangsjahren der Schwalben-Untervermietung hatte Zita Lichtes Ehemann noch versucht, Bretter unter den Dachschrägen anzubringen, um den Vogeldreck aufzufangen. „Doch dann haben sie unter den Brettern ihre Nester gebaut. Das war nicht der Sinn der Sache, also kamen die Bretter wieder weg. Mein Mann hatte auch seine Freude an den Tieren. Und so kommen sie jedes Jahr wieder.“

Schwalbennester über Schwalbennester: Über 70 sind es, die in Deifeld-Wissinghausen unter dem Dach kleben.
Schwalbennester über Schwalbennester: Über 70 sind es, die in Deifeld-Wissinghausen unter dem Dach kleben. © WP | Thomas Winterberg

Bis zu dreimal pro Saison, so die Wissinghäuserin, brüten die Tiere. „Letztes Jahr war die dritte Brut bei den beiden Pärchen, die immer ganz früh kommen, offenbar sehr spät oder der Herbst kam sehr schnell. Die Eltern sind dann gen Süden gezogen und haben die Jungvögel zurück gelassen. Ich habe sie noch zwei Tagen piepen gehört.“ Gesetz der Natur.

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Einer alten Bauernregel nach machen sich die Schwalben am 8. September wieder auf die Reise nach Afrika: „An Mariä Geburt fliegen die Schwalben furt!“ Das kann manchmal auch schon eher sein, weiß Zita Lichte: „Neulich haben sie schon auf der Telefonleitung zusammengesessen.“

Vermutlich haben sie über die Reiseroute gesprochen und sich schon jetzt gesagt. „Macht’s gut bis nächstes Jahr hier bei Zita Lichte in Wissinghausen!“ Dort, wo Schwalben nicht nur geduldet, sondern sogar willkommen sind.